Einmal Apotheker sein

Hinter der Theke, dem Offizin, stehen die meistgekauften Medikamente griffbereit. Fotos: Debus-Gohl
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Zweiter Teil der Serie: West Anzeiger Reporterin vor Ort in der Ehrenzeller Apotheke

Im Herzen Altendorfs, zwischen Marktplatz und Altendorfer Dom, hat seit nun fast einem halben Jahrhundert die Ehrenzeller Apotheke ihre Pforten geöffnet und versorgt den Stadtteil mit Medikamenten. So wie überall im Ruhrgebiet hat auch hier der Strukturwandel seine Spuren hinterlassen, doch Apotheker Ahmed Ali und sein Team haben sich gut für die Zukunft aufgestellt.

Um kurz vor neun kommen die ersten Medikamentlieferungen in der Ehrenzeller Apotheke an, doch als ich um viertel vor neun durch die Tür trete, haben arbeitsame PKAs schon alles verstaut. „Zwei Pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte haben wir“, zählt Filialleiter Ahmed Ali auf, „eine approbierte Apothekerin, Frau Berner, eine PTA (Pharmazeutisch-technische Assistentin) und eben mich, den geschäftsleitenden Apotheker.“ Sind Apotheker vor allem im Verkaufsbereich tätig, arbeiten die PKAs oft fernab von Kundenblicken im hinteren Bereich. Während Stefanie Chabrowski Überweisungen am Computer tätigt, erklärt mir Jacqueline Kwasnitza ihr Arbeitsfeld. „Wir sind auch für den Sichtwahlbereich zuständig“, erzählt sie, verstaut Waren in Kisten und füllt die Bestände vorne wieder auf.
Müssen Pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte eine kaufmännische Ausbildung absolvieren, lernen Pharmazeutisch-technische Assistenten ihr Handwerk auf einer speziellen Schule. „Etwa jede 20. Verordnung enthält eine Rezeptur, diese „rühren“ wir dann selbst an“, so Ahmed Ali, „das macht dann unsere Frau Szameitat.“ Schon seit vielen Jahren rührt die gelernte PTA in der Ehrenzeller Apotheke Salben, Cremes und andere und andere Rezepturen an. Vor allem bei besonderen Mischungen, Problemen bei der Herstellung, oder einer unüblichen Wirkstoffkonzentration, sind die Fähigkeiten von PTA und Apotheker gefragt.

„Wenn der Arzt eine veränderte Dosis aufschreibt, fragen wir aber oft auch noch einmal nach“, erklärt Ahmed Ali das Vorgehen der Filiale, „wir kennen unsere Kunden hier sehr gut und eventuelle Abweichungen oder Unklarheiten werden dann nochmal mit den verordnenden Ärzten besprochen.“ Etwa 90 Prozent Stammkundenschaft habe man hier. Dabei sei der soziale Aspekt und eine intensive Beratung besonders wichtig. "Klar hat sich das Gesicht des Viertels in den letzten 50 Jahren gewandelt, aus dem ehemaligen Bergbau- und Stahlarbeiterviertel ist heute ein lebendiger Multikulti-Stadteil geworden“, so der Apotheker, „und in den letzten Jahren ist der Flüchtlingszulauf immer mehr geworden, da ist es wichtig, dass das Dreieck aus Arzt, Patient und Apotheker an jeder Stelle funktioniert.“ Fünf Sprachen spricht Ahmed Ali. Der Ägyptischstämmige setzt neben französisch und spanisch vor allem auf arabisch, suchen doch immer öfter Syrer und Iraker seine Apotheke auf.

90 Prozent Stammkundschaft

Die multilinguale Beratung kommt gut an, weiß er, denn die Patienten kommen immer wieder her, auch wenn der von ihnen aufgesuchte Arzt ganz woanders im Stadtgebiet liegt. „Unsere Kunden wissen, dass wir ihnen wirklich helfen“, so Ali, "und günstigere Alternative bei freiverkäuflichen Arzneimitteln anbieten können.“ Bonustaler, Mengenrabatte und derartige Marketingaktionen hält er für reine Augenwischerei. „Das weiß auch unsere Kundschaft. Unsere Patienten werden gut beraten, was sie brauchen, vor allem auch, was sie nicht brauchen... das hilft dann wirklich, echtes Geld zu sparen.“

Dass die Apotheke auch mal andere Kundschaft hatte, weiß auch Ahmed Ali zu berichten, obwohl er erst seit 2009 in Altendorf arbeitet. „Früher waren direkt in der Nähe zwei Ärzte“, erzählt er, „und der Markt hat viele Leute angezogen. Nachdem einige örtliche Arztpraxen ohne Nachfolger geschlossen haben, der Markt praktisch nur noch samstags stattfindet, und heutzutage einfach jeder weniger Geld in der Tasche hat als noch vor zehn Jahren, wird der wirtschaftliche Druck natürlich größer, aber wir haben uns gut an die Situation angepasst.“

Schwierigkeiten für kleine Apotheken

Eine Sache bereitet aber auch Ahmed Ali Sorgen. Seit einem europäischen Grundsatzurteil im letzten Herbst brauchen sich ausländische Versandapotheken nicht mehr an deutsche Preisvorschriften zu halten, können zu besseren Konditionen einkaufen und setzen die deutschen Apotheken vor Ort mit Kampfpreisen unter Druck. „Internetapotheken wie DocMorris betreiben Rosinenpickerei: Kostenintensive Dienstleistungen wie Rezepturherstellung oder Notdienst brauchen sie nicht zu leisten, stattdessen reißen sie mit Dumping-Preisen, die deutschen Apotheken verboten sind, die existenzsichernde Dauerversorgung von chronisch Kranken an sich. Auf Dauer kann keine deutsche Apotheke nur von Akut- und Notfallversorgung überleben...“, seufzt Ali, „irgendwann wird sich die Politik einfach entscheiden müssen, ob sie an den bewährten mittelständischen Strukturen festhalten will oder ob sie die Arzneimittelversorgung der deutschen Bevölkerung in die Hände von international operierenden Großkonzernen legen will... Heute ist es DocMorris, morgen dann Amazon und Google, und dann ist Schicht im Schacht.“

Doch weder kennen Internetapotheken ihre Patienten persönlich, noch sind sie des Nachts im Notdienst zur Stelle. Auch gibt kein eingespieltes Team dem Kunden das Gefühl, dass er gut aufgehoben und betreut ist. Und was wäre eine Apotheke ohne eine Personenwaage? „Ganz Altendorf stand hier schon drauf“, lacht Ahmed Ali und zeigt auf eine Waage, die wohl schon seit der Gründung der Apotheke vor über 45 Jahren im Sichtbereich steht, „und immer sagen die Leute, sie stimme nicht.“

Autor:

Julia Hubernagel aus Essen-Süd

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