Sommerinterview mit OB Frank Baranowski: Gelsenkirchen - nicht nur Problem- auch Modellstadt

Die Dachterrasse vor dem OB-Büro im Hans-Sachs-Haus ist traditionell Ort des Stadtspiegel-Sommerinterviews mit Frank Baranowski, der verraten hat, dass er sonst ohne Sitzkissen auf dem Terrassen-Stuhl sitzt (wenn überhaupt!). "Die Kissen gibt es nur, wenn sie kommen." Tja. Kaffee, Kekse und einen tollen Sommerstrauß auf dem Tisch gibt es auch immer. Nur an Datteln im Speckmantel arbeitet der OB noch...Fotos: Stadt GE
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  • Die Dachterrasse vor dem OB-Büro im Hans-Sachs-Haus ist traditionell Ort des Stadtspiegel-Sommerinterviews mit Frank Baranowski, der verraten hat, dass er sonst ohne Sitzkissen auf dem Terrassen-Stuhl sitzt (wenn überhaupt!). "Die Kissen gibt es nur, wenn sie kommen." Tja. Kaffee, Kekse und einen tollen Sommerstrauß auf dem Tisch gibt es auch immer. Nur an Datteln im Speckmantel arbeitet der OB noch...Fotos: Stadt GE
  • hochgeladen von Silke Heidenblut

Die Ferien sind fast zu Ende, was nach diesem Wahnsinns-Sommer noch fehlt im Stadtspiegel, das ist das Sommerinterview mit Oberbürgermeister Frank Baranowski. Bei gewohnt gutem Wetter traf sich Redakteurin Silke Heidenblut mit dem ersten Mann der Stadt auf der Innenhof-Terrasse im Hans-Sachs-Haus.

Da der Sommer so außergewöhnlich gut war, ist das Thema Klimawandel plötzlich wieder in aller Munde. "Den gibt es nicht", grinst der OB. "Das ist eine Erfindung der Chinesen." Gemeinschaftlich wird über dieses Trump-Zitat, das wohl selbst die US-Amerikaner nicht glauben, gelacht. "Den Klimawandel werden wir nicht verlangsamen können, solange die Großen - wie die USA und China - nicht mitmachen", ist sich Baranowski sicher. "Wir waren im Urlaub in Kanada und besuchten einen Ort in den Rocky Mountains mit Blick auf ein Gletscherfeld und wie sehr sich das verkleinert hat, das macht mich schon sehr nachdenklich." Viele Dinge spielen eine Rolle, CO2, der Kohle-Ausstieg, die Treibhaus-Gase, ... "Klima ist nicht begrenzbar, deshalb ist es dramatisch, dass die USA aus allen Programmen aussteigen. Die Chinesen sind ja inzwischen sogar umweltbewusster", wundert sich der 56-Jährige.

Fahrverbot auf der Kurt-Schumacher-Straße?

Beim Thema Umweltverschmutzung in Gelsenkirchen geht es vor allem um ein drohendes Fahrverbot für die Kurt-Schumacher-Straße. "Die gute Nachricht ist, dass unsere Maßnahmen wie die Begrünung der Straßenbahn-Gleise, das Umleiten der LKWs, der Fünf-Minuten-Takt der 302 und die Reduzierung der Geschwindigkeit von 70 auf 50 Stundenkilometer dazu geführt haben, dass die Feinstaubwerte inzwischen dauerhaft im Rahmen der Grenzwerte liegen. Bei den Stickoxiden sind die Werte allerdings nur leicht runtergegangen und liegen immer noch oberhalb." Es stehen diverse Gerichtsurteile aus. "Deshalb ist das Fahrverbot leider nicht vom Tisch, obwohl wir als Stadt alles getan haben, auf das eine Kommune Einfluss hat." Dass die Auto-Industrie hinterherhinkt, aber nicht zur Verantwortung gezogen wird, ärgert Frank Baranowski. Und dass er vor der Bundestagswahl bei zwei "Diesel-Gipfeln" mit Kanzlerin Angela Merkel in Berlin war, seit der Wahl aber nichts mehr von dort zu diesem Thema gehört hat, wundert ihn eigentlich nicht. "Wir führen nach den Ferien den Fünf-Minuten-Takt auf der Linie 302 fort und sobald die E-Busse geliefert werden, werden sie auf der Linie 380 eingesetzt", verspricht er. "Die hohe Belastung der Luft ist nicht gesundheitsfördernd, deshalb bleiben wir an dem Thema dran."

"...weil es unsere Stadt ist": Schon Müllsünder ertappt!

Genauso wie an der Kampagne "...weil es unsere Stadt ist - Gelsenkirchen für Sauberkeit und Ordnung" - obwohl es doch eigentlich selbstverständlich sein sollte, dass man seine Stadt nicht verdreckt? "Das ist es aber leider nicht mehr", ist Baranowski sich sicher. "Das liegt an vielen Dingen, unter anderem hat sich das Freizeitverhalten verändert. Als ich Kind war, hat niemand einen Einweggrill gekauft und ist in den Park gegangen, um den dort zu benutzen. Das gab es nicht. Ich habe auch überhaupt nichts dagegen, dass es heute so ist. Nur wer es macht, muss eben zum Schluss hinter sich aufräumen." Und weil das nicht alle tun, hat die Stadt Gelsenkirchen im Bereich "Kommunaler Ordnungsdienst" ordentlich Personal aufgestockt, damit man den Müllsündern auf die Spur kommt. "Und das funktioniert", erklärt der OB. "Rund 500 Knöllchen haben städtische Mülldetektive in den vergangenen zwei Jahren bereits verteilt. Es ärgert mich sehr, wenn ich durch die Stadt fahre und solche Müllecken sehe", sagt der OB. "Es ist eine Minderheit, die sich nicht an die Regeln hält. Die Mehrheit darf nicht darunter leiden, dass es einige wenige Schlimmfinger gibt." Und die kostenlose Sperrmüllabfuhr der Stadt Gelsenkirchen sowie die selbst samstags geöffneten Wertstoffhöfe machen die Abfallentsorgung wirklich leicht. "Übrigens haben wir das Personal bei der Verkehrsüberwachung sogar verdoppelt, weil auch so Dinge wie ‚in der zweiten Reihe parken‘ oder ähnliches immer mehr einreißen", fügt er hinzu. "Das führt nicht nur zu Freude. Vor allem bei denen, die erwischt werden..."

Bevölkerung verändert sich - nicht nur in Horst

Als Horster weiß Frank Baranowski natürlich auch sehr genau, was der Bevölkerung sauer aufstößt. Die Auseinandersetzungen in der Markenstraße haben hohe Wellen geschlagen. "Natürlich merkt man in Horst - wie in anderen Ecken der Stadt - dass sich die Bevölkerung verändert. Die Probleme mit den Süd-Ost-Zuwanderern sind allerdings in anderen Stadtteilen noch deutlicher spürbar als in Horst. Trotzdem gehen wir aktiv und entschlossen mit den Sachverhalten um und tun als Stadt - mit unserem behörden-übergreifenden Einsatzteam - alles, was wir können, um die Regeln, nach denen wir in Gelsenkirchen leben, zu erklären. Wir verhängen Strafen, wir reden mit den Leuten und wir führen Gespräche mit Vermietern, um auch die an ihre Verantwortung zu erinnern. Viel mehr können wir nicht tun. Das Grundproblem mit der Zuwanderung aus den armen EU-Ländern können wir in Gelsenkirchen nicht lösen, das muss in Brüssel und Berlin geschehen", führt Baranowski aus. Sorge bereite ihm, dass sich die Stimmung in den Quartieren ändere, sie bedenklich nach rechts driftet. "Hiermit dürfen die Städte nicht allein gelassen werden. Auch die Diskussionen um die Kindergeldzahlungen haben das wieder gezeigt. Doch dafür scheint auf überörtlichen Ebenen zu wenig Sensibilität vorhanden zu sein."

Flüchtlinge sind keine EU-Süd-Ost-Zuwanderer

Schwierig sei auch die Vermischung der Themen "Zuwanderung Süd-Ost" und "Flüchtlinge". "Warum schickt die Stadt "die" ausgerechnet in unseren Stadtteil?" sei zum Beispiel eine Frage, die der Oberbürgermeister häufig hört. "Doch die Stadt hat keinen Einfluss darauf, wo sich EU-Bürger ansiedeln. Die dürfen das - wie jeder andere Bürger der Stadt - selbst entscheiden. Flüchtlinge hingegen, die einen Asylantrag stellen, haben einen ganz anderen Rechtsstatus und werden zunächst von der Stadt in Wohnungen verteilt. Das funktioniert ganz gut. Erst wenn der Antrag bewilligt wurde, dürfen sie selbst entscheiden, wo sie wohnen möchten." In Gelsenkirchen gibt es rund 7.200 Flüchtlinge, von denen die meisten aus Syrien kommen, und 7.300 EU-Süd-Ost-Zuwanderer. "Auch rund um diese Herausforderungen wäre es nötig, dass in Berlin ein ordentliches Einwanderungsgesetz gemacht würde. Das fehlt der Bundesrepublik nämlich. Das könnte sehr eindeutig regeln, wer kommen darf, wer nicht und würde sehr viele Umgehungsversuche unnötig machen."

Positive Entwicklung Bochumer Straße

In Gelsenkirchen gibt es eine ganze Reihe von Entwicklungen, die positiv sind. So schreitet die Revitalisierung der Bochumer Straße voran. "Der Umbau der Heilig Kreuz-Kirche steht kurz bevor, im Umfeld konnten wir eine ganze Reihe von Immobilien kaufen, um sie herzurichten. Es gibt bereits eine WG für Studierende, die gut ankommt. Die mobile Kita im ehemaligen Sportgeschäft ist da, woanders wird noch umgebaut, aber ja - auch wenn es vielen nicht schnell genug geht - die Revitalisierung dort nimmt Fahrt auf und wird bald für jeden sichtbar sein."
In Buer gibt es das integrierte Entwicklungskonzept, das aber noch im Anfangsstadium ist. "Wir haben im laufenden Haushalt Geld bereitgestellt für ein Citymanagement und hoffen, dass dieses Geld auch ausgegeben wird, wenn sich die Kaufleute entsprechend beteiligen. Es laufen Gespräche mit Immobilien-Eigentümern, es werden gemeinsam mit Bueranern Vorschläge für die verkehrliche Situation, aber auch für die Aufenthaltsqualität geführt. Ich weiß, dass es viele Gerüchte um weitere Geschäftsschließungen gibt, hoffe aber, dass es Gerüchte bleiben." Die Auseinandersetzungen um die Lautstärke der Außengastronomie hat Frank Baranowski natürlich zur Kenntnis genommen. "Das hat was mit Miteinander zu tun, da sind als erstes die betroffenen Menschen gefordert." Und er erinnert daran, dass es einst drei Anläufe gab, um die alte Domplatte, die beinahe ein Angstraum war, herzurichten. "Erst der vierte Anlauf war erfolgreich, und zwar nur, weil es Fördermittel für barrierefreie Wohnbebauung gab", erinnert er. "Das war damals die einzige Möglichkeit, etwas für den Ort zu tun. Wir können jetzt nur an Anwohner und Gastronomen appellieren, dass sie miteinander Lösungswege finden. Aber das ist ja immer ein Dilemma, vor dem wir Großstädter stehen: Wir wollen städtisches Leben, aber nicht mit den Begleiterscheinungen..."

Internationale Gartenausstellung 2027?

Rund um die geplante Internationale Gartenausstellung 2027 gibt es noch keine klaren Fakten. "Es ist eine streckenweise mühselige Diskussion", seufzt Baranowski. "Ich glaube, eine solche Gartenausstellung im gesamten Ruhrgebiet wäre ein schönes Projekt, um das Ruhrgebiet in der neuen Dekade positiv ins Schaufenster zu stellen. Doch bevor man über ein schlüssiges, gutes Konzept redet, wird schon über Finanzierung und "wer darf was?" diskutiert." Das sei sehr zäh. "Wir haben beste Erfahrungen mit der Bundesgartenschau vor 20 Jahren gemacht und können uns gut vorstellen, die IGA ausgehend vom Nordsternpark bis zum Hafen Hugo auszudehnen." Entscheidungen erwartet Frank Baranowski bis Ende September/Anfang Oktober. Vorher noch könnte eine Fußball-Europameisterschaft in Gelsenkirchen Halt machen, falls Deutschland den Zuschlag für 2024 erhält. "Viele in unserer Stadt erinnern sich sicher - wie ich - gern an 2006, als die WM-Gäste ein tolles Klima in die Stadt gebracht haben. Daran kann man anknüpfen, da hätte ich nichts dagegen."

Die richtige Reaktion: #401GE

Dass das ZDF eine Prognos-Studie veröffentlicht hat mit einem Städteranking, bei dem Gelsenkirchen auf Platz 401 und damit dem letzten Platz landete, das hat der Oberbürgermeister zur Kenntnis genommen. "Das #401GE-T-Shirt von Olivier Kruschinski konnte ich allerdings noch nicht bestellen, weil ich im Urlaub war“, erklärt er. "Aber ich finde diese ironische Reaktion in Privatinitiative sehr schön!" Diese so genannte wissenschaftliche Studie hingegen ärgere ihn eher. "Würde das ZDF mit all seinen Arbeitsplätzen von Mainz nach Gelsenkirchen ziehen, hätten wir einen weiteren großen Schritt im Strukturwandel erledigt", sagt er. "Mainz hätte dann aber wohl ein Strukturproblem..."

Modellstadt Digitalisierung

Doch als gebürtiger Gelsenkirchener ist Frank Baranowski natürlich abgehärtet, was die Meinung über seine Stadt, für die er Tag für Tag arbeitet, angeht. "Da rede ich doch lieber darüber, dass Gelsenkirchen "Modellstadt Digitalisierung" ist, und zwar als eine von nur fünf Städten in NRW." Die Förderrichtlinien liegen jetzt vor. "Es wird ein Projektbüro eingerichtet und das erste Projekt kann - in Kooperation mit der Westfälischen Hochschule - starten. Da geht es um so Dinge wie die Identifizierung mit dem Handy." Also das Handy als Personalausweis... "Außerdem soll der ganze Arenapark als offenes Labor genutzt werden, um Möglichkeiten der Digitalisierung wirklich auszuprobieren", schwärmt Baranowski. "Man muss die Dinge anwenden, um herauszufinden, wie sie funktionieren und wie sie den Menschen nützen." Gemeint sind digital gesteuerte Laternenbeleuchtung, autonomes Fahren, intelligente Parksysteme oder Ampelschaltungen. Das klingt wie Zukunftsmusik und das ist gut so.

Die Dachterrasse vor dem OB-Büro im Hans-Sachs-Haus ist traditionell Ort des Stadtspiegel-Sommerinterviews mit Frank Baranowski, der verraten hat, dass er sonst ohne Sitzkissen auf dem Terrassen-Stuhl sitzt (wenn überhaupt!). "Die Kissen gibt es nur, wenn sie kommen." Tja. Kaffee, Kekse und einen tollen Sommerstrauß auf dem Tisch gibt es auch immer. Nur an Datteln im Speckmantel arbeitet der OB noch...Fotos: Stadt GE
Autor:

Silke Heidenblut aus Essen

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