"Stellen anzeigen" zeigt die Beziehung zur Arbeit - hier: Menschenbild

Wir von der Initiative „Stellen anzeigen“ haben bei unserer letzten Veranstaltung in der Flora die Beziehung zu Existenz, Talent, Menschenbild und Ehrenamt diskutiert. Da jedes einzelne Thema so tiefgreifend ist, werden wir in vier Teilen über die einzelnen Beziehungen berichten, gerade so, wie wir inhaltlich voran kamen.

Begonnen haben wir die Veranstaltung mit dem Thema „Menschenbild“. Mir war es wichtig, den Teilnehmern drei Fragen zu stellen, um zu verstehen, wie „der Arbeitslose“ als Solcher im Allgemeinen gesehen wird. Grundsätzlich sei vorweggenommen, dass ich über das Feedback positiv überrascht war. Wieso, das wird sich im Laufe des Textes erklären.

Meine erste Frage lautete: „Wie würden Sie Ihr Bild von einem Arbeitslosen beschreiben?“

Es kamen Bilder auf, welche das Jobcenter zeigten und auch das „Schlange stehen“ wurde verbalisiert. Darüber hinaus assoziierte die Gruppe Negativfolgen der Arbeitslosigkeit, wie

- Krankheit
- Abhängigkeit
- Armut
- Verwaltet werden
- Schikane und Vermittlung in miese Zeitarbeit
- Auf sich selbst gestellt sein
- Mangelnde Anerkennung

Ich stellte Empathie fest. Die Stichwortgebung ließ durchblicken, dass keine Unerfahrene anwesend waren. Somit war mir klar, dass das Menschenbild, auf das ich im Weiteren näher eingehen möchte, hier nicht angesprochen werden würde. Eine Besucherin unserer Veranstaltung gab uns zu verstehen, dass sie positiv in die Zukunft blicken möchte. Sie begibt sich auf hoffnungsvolle Suche. Ein Einwand, der grundsätzlich die Stimmung und auch Sichtweise unserer Initiative „Stellen anzeigen“ deckt. Denn wir möchten mit unserem Engagement auch nicht rückgewandt auf die alte Arbeit schauen, sondern herausfinden, wie wir aktiv die Arbeit der Zukunft mit gestalten können.

Die zweite Frage lautete: „Wie sind Sie zu dieser Wahrnehmung gelangt?“

Es liegt nahe, und hier kam auch die Bestätigung, dass persönliche Erfahrungen mit eine Rolle spielten. Wir sprachen darüber, dass sich keiner als Arbeitsloser outen muss. Die Reaktion war jedoch sehr positiv. Mir schien, es wird zur Normalität und die Scham lässt nach, zu sagen: „Ich bin auch im Club“. Diese Offenheit ist wichtig, um auch aktiv sein Leben zu gestalten. Denn es ist keine Schande, von der Erwerbsarbeit abgekoppelt zu werden. Jeremin Rifkin hat schon in seinem Buch „Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft“ vor 20 Jahren beschrieben:

„So zeigt er anhand weltweiter Wirtschaftsdaten mit detaillierten Beispielen auf, dass sich diese Entwicklung in der Zukunft fortsetzen werde. Rifkin stellte in Aussicht, dass bis 2010 nur noch 12 % der Weltbevölkerung in der Produktion arbeiteten; bis 2020 sollen es nur noch 2 % der Weltbevölkerung sein.“

Als weitere Quellen, die zur Wahrnehmung vom oben beschriebenen Bild eines Arbeitslosen führen, wurden uns genannt:

- Medien
- (Berufs-)Umfeld
- Bücher
- Gespräche und Meinungsbildung
- Beobachtung

Auch die Wahrnehmung dahingehend, dass sich die Arbeitsstruktur verändert hat, wurde als Quelle erwähnt. Damit war gemeint, dass immer mehr Pseudo-Jobvermittler aus dem Boden schießen und sich an dem Markt, der durch die Verwaltung der Arbeitslosen entstanden ist, bereichern.

Und nun zur dritten Frage: „Können Sie sich vorstellen, dass Sie in Ihrer Wahrnehmung unbewusst beeinflusst wurden?“

Durch die Runde ging ein klares „ja!“. Die Medien würden bereits ein gewolltes Bild vermitteln.

Ich atmete auf, so hatten wir ein wirklich (selbst)kritisches und aufgeklärtes Publikum. Das ist nicht selbstverständlich, liest man das, was nun kommt und ich im Netz immer wieder in Kommentaren und Foren lese.

Was ist eigentlich ein Menschenbild? Nun kommen wir eher in die psychische Ebene. In diesem Wort steckt Mensch und Bild. Ich habe ein Bild vom Menschen und ich bilde mir ein Bild vom Menschen. Zum einen handelt es sich um einen Fokus, den man schafft – das Bild. Zum anderen wird dies von innen heraus durch Erfahrungen, Eindrücke und auch Hinterfragen, Neugierde und Wissen gebildet. Wie sich also ein Menschenbild entwickelt, ist ganz individuell und abhängig davon, wie weit ein Mensch sich in Beziehung zu seinen Mitmenschen begibt.

Erst kürzlich las ich in der Presse: „Jeder Zehnte in NRW bekommt Leistung zum Leben vom Staat“. Es war keine Ausnahme, was ich dann als Kommentar von Lesern ertragen musste:

„NRW sollte als erstes mal versuchen seine Ausländischen Sozialschmarotzer zu entsorgen. Schwer genug. Aber jetzt kommen täglich hunderte von Asylbewerbern, die natürlich auch Ihre Hand aufhalten."

weiter geht es mit einer anderen Person, die schreibt:

"...nicht nur die ausländischen Sozialschmarotzer sondern auch gleich die deutschen Sozialschmarotzer entsorgen. Dagegen fallen die paar Ausländer gar nicht auf - asoziales deutsches Schmarotzerpack raus !! Das lohnt sich dann richtig!!!"

Nebenbei sei erwähnt, dass ich diese Kommentare wegen Hetze gemeldet habe und diese auch gelöscht wurden. Dennoch zeigen sie, was in den Köpfen der Menschen vorgeht. Da nützt auch kein Löschen der Kommentare. Die Festplatte im Kopf rattert weiter. Nur bleibt die Frage, wo dieses Menschenbild herkommt?

Ich lese gerade ein Buch, das heißt: „Eine Erdbeere für Hitler“. Es ist sehr bedrückend, wie durch Entmenschlichung der nationalsozialistischen Propaganda Menschenbilder geprägt wurden. Da ging es nicht nur im Juden. Auch Menschen mit Behinderung, Homosexuelle, ach die Liste ist lang – Menschen, die nicht in die Konformität der damaligen Gesellschaft passten, wurden ausgegrenzt, beschimpft und wohin das führte, können wir in den Geschichtsbüchern nachlesen. Das kann heute nicht mehr passieren, meinen Sie? Na dann hören Sie sich um und lesen Kommentare im Internet zu Berichten, die sich mit Arbeitslosigkeit, Flüchtlingen und Migranten befassen. Es spielt für diese Menschen, die so verachtend über andere Menschen reden und schreiben keine Rolle, welcher Minderheit die Zielgruppe angehört.

Und da sind wir bei den Parallelen des Nationalsozialismus. Menschen werden auseinandergetrieben. In Zeiten der Armut, des Mangels wird Hass geschürt. Irgendwer muss ja Schuld sein. Und da passen Flüchtlinge, die ihre Heimat verlassen müssen, weil auch der Westen Waffen liefert, die Rüstung Profite macht, die Despoten vor Ort Macht über das Volk bekommen und sie in die Armut treiben, sehr gut ins Bild. Ich mag mich jetzt nicht zu sehr in die Außenpolitik vertiefen, das würde zu weit gehen, aber kein Mensch verlässt seine Heimat, Familie und Freunde einfach nur so und begibt sich durch die Flucht in Lebensgefahr. Ebenso ist ein Arbeitsloser kein Schmarotzer der Gesellschaft, sondern passt nicht mehr in das alte Modell der Arbeit, welches von der Politik noch immer hochgehalten wird.

Wir haben als Beispiel in Gelsenkirchen ca. 55.000 Arbeitslose, die Quote liegt bei 30%. Wie, sie glauben das Märchen von den 12-13%? Nun, es mögen auch wieder Medien sein, die dieses Bild vermitteln wollen. Vergessen werden sehr gerne die Unterbeschäftigten, die in Maßnahmen stecken. Zwischen den ALG-II-Beziehern und Unterbeschäftigten findet doch nur ein Austausch statt. Mal ist man ohne Maßnahme, mal mit. Dennoch ist der Arbeitslose stets im Bezug und erhält keine Perspektive für den ersten, zweiten, dritten, vierten,.... Arbeitsmarkt. Die Zeiten der Vollbeschäftigung sind vorbei. Das wird den BürgerInnen unzureichend mitgeteilt und mit ihnen kommuniziert. Aber gerne werden Kampagnen gestartet, die dem Volk suggerieren sollen, man kann es schaffen, wenn man nur will.

So wurde durch die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) eine Studie in Auftrag gegeben: „Chancengleichheit durch Aufstiegsmobilität“. Der Tenor dieser Studie war, den Menschen zu zeigen: Sozialer Aufstieg in Deutschland ist sehr wahrscheinlich. Nur eine Minderheit verharre dauerhaft in der unteren Einkommensschicht. Wer die INSM ist und welchen Einfluss sie auf unsere Medienwelt hat, können Sie gerne hier nachlesen. Dazu habe ich bereits einen Bericht geschrieben.

Die INSM arbeitet mit der PR-Agentur „Serviceplan Public Opinion“ zusammen, welche bereits an der „Chance 2020“ arbeitet. Die Chance 2020 versteht sich als zweite Auflage der Agenda 2010. Was diese Reformwut der Neoliberalen mit dem Arbeitsmarkt und der Gesellschaft anstellte, ist der Grund, wieso es Armut, Arbeitslosigkeit und aufkeimenden Faschismus gibt. Die Bevölkerung wird durch diese Studien und Kampagnen manipuliert und bekommt gar nicht mit, wer oder was hinter diesen Thesen steckt. Es ist ein schleichender Prozess von immer wiederkehrenden Parolen, die nicht richtiger werden, nur weil man sie wiederholt. Bezahlte Arbeit, von der die Menschen leben können, gibt es nicht mehr für alle. Das muss unsere Gesellschaft begreifen. Stattdessen beginnt sie, menschenverachtend mit Langzeitarbeitslosen umzugehen. So geschieht es gerade in Essen.

Im Oktober 2014 schrieb die WAZ: „Putzen für Bier - Projekt für Abhängige startet in Essen"

„Das bundesweit einmalige Projekt „Pick up“ in Essen startet am Mittwoch mit zehn Teilnehmern. Es handelt sich um Menschen, die schwerst drogenabhängig sind. Sie werden die Szeneplätze sauber halten und erhalten dafür Bier – nicht als Belohnung, sondern als Anreiz, betont die „Suchthilfe Direkt“. (…)"

Was Therapeuten und Suchtkliniken nicht schafften, soll nun die Arbeit wieder heilen. Unter dem Deckmantel der Strukturgebung will man Süchtigen eine Hand reichen. Arbeit als Heilmittel! Dass die Menschen jedoch ganz individuelle Gründe für ihre Erkrankung haben, wird mit der Bevölkerung nicht kommuniziert. Was musste ich mir im Netz anhören, als ich meine Position öffentlich machte. Provozierend frage ich, ob Rollstuhlfahrer künftig im Park picken sollen? Immerhin sind sie näher dran. Oder Menschen mit Downsyndrom können ja Bahnhofstoiletten putzen. Die merken eh nix. Was Bitteschön passiert in der Bevölkerung, dass sie sich über Menschen erheben und sie mit Arbeit therapieren wollen? Zumal es auch Arbeiten sind, die richtige Jobs verdrängen. Wieso haben diese Menschen nicht zuvor vom Jobcenter Aufgaben vermittelt bekommen? Wieso passt gerade das Modell mit dem Bier? Es ist nicht zu fassen, was für ein Menschenbild hier von einer Kommune vorgelebt wird und die Meute ruft: Hurraaaa! Es gruselt mich, denke ich an die Geschichte.

Wie der Mob über kranke Menschen, Langzeitarbeitslose und Migranten denkt, zeigt folgender Kommentar, den ich zu diesem Thema fand:

„So tun die Trinker wenigstens wieder etwas Positives und erhalten den Lohn, den sie bevorzugen. Niemand hat das Recht, sich abwertend in diesen Vertrag einzumischen. Wer das bezahlt? Natürlich der Lohn- und Steuersklave. Aber der bezahlt ja auch für die Untätigen Hartz 4 Empfänger, z.B. aus der Dom Rep und Kuba. Da kenne ich einige. Die arbeiten schwarz und überweisen die Hälfte vom Hartz 4 monatlich in ihr Heimatland.“

Da haben wir es wieder. Diese undifferenzierte Verallgemeinerung, geschaffen durch die Propaganda, die mittlerweile mit Kampagnen und reißerischen Studien, bezahlt von Wirtschaftslobbyisten, in die Köpfe der Menschen dringt. Bei meinen Recherchen fand ich noch eine Brisanz, die ich nicht unerwähnt lassen möchte. Die oben genannte PR-Agentur „Serviceplan Public Opinion“ erhält nicht nur Aufträge von der INSM. Auch ARD und ZDF sind mit im Boot. „Service-Plan öffentliche Meinung“, schon wieder gruselt es mich, wenn man dahinter vermuten kann, dass diese Meinung gemacht werden soll. Und das durch das öffentlich rechtliche Fernsehen. Klar erkennbar ist auch die Nähe zur Bertelsmannstiftung, welche immer wieder gerne im WDR als Quelle angegeben wird. Die Bertelsmanstifftung hat übrigens ebenfalls bei der Schaffung der Agenda 2010 und dem Harzt-IV-Gesetz fett die Finger im Spiel gehabt. Die Machenschaften dieser Stiftung sind ähnlich der INSM. Der neoliberale Sermon wird verbreitet, so weit es nur möglich ist. Besonders gerne in Eliteschulen und Privatuniversitäten. Ganz aktuell habe ich eine Anfrage beim WDR zur der Sendung „Mut gegen Macht“ laufen. Denn auch hier steckt allem Anschein nach eine PR-Agentur hinter. Natürlich werde ich bei Erkenntnissen darüber berichten.

Wieso erheben sich Menschen, um über andere Menschengruppen so undifferenziert zu urteilen? Ich kann diese Frage nur mit Vermutungen beantworten. Aber mir scheint, es geht um Angst. Sie haben Angst, in die selbe Situation zu gelangen. Angst, ins Abseits zu geraten, selbst so behandelt zu werden, wie sie es tun. Dann schreit man lieber lauter, damit das niemand merkt. Und die Armut ist so nahe. Sie braucht nur 15 Monate. 3 Monate Kündigungsfrist, 12 Monate Arbeitslosengeld I. Danach ist Schicht im Schacht. Danach droht Hartz IV. Zumeist geht der Absturz noch viel schneller.

Eine weitere Vermutung ist, die Angst vor dem Mangel. Denkt man an die Bedürfnispyramide von Masslow, so ist ein gesellschaftliches Miteinander friedlicher, je mehr Bedürfnisse gedeckt sind. Dazu gehören die Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken, Wärme. Dazu kommen noch Bildung, Sicherheit und auch soziale Bedürfnisse. Wenn jedoch schon die Grundbedürfnisse wegbrechen und ein Mangel entsteht, wird das Individuum ängstlich. Es hat Angst vor Hunger, Durst. Eben Existenzangst. Und wir sehen, es wird nach Schuldigen gesucht. Diese werden dann bei Flüchtlingen und Arbeitslosen gefunden. Denn in den Augen der Ängstlichen nehmen sie der Masse die Existenzgrundlage weg. Würde es keine Flüchtlinge und Bezieher von Transferleistungen geben, hätten die Ängstlichen mehr zur Verfügung. Das glauben sie und woher das kommt, wird in meinem Bericht über die INSM, PR-Agenturen, Kampagnen, etc. näher erläutert. Die Gesellschaft bricht auseinander. Jeder kämpft nur noch um seine Existenz, individualisiert sich, meint, alleine geht es einfacher.

Ich sage Stopp! Die Gesellschaft muss sich hinterfragen und eruieren, wo sie hin will. Wir haben es alle in der Hand für uns zu entscheiden, ob wir gute oder schlechte Menschen sein wollen. Wollen wir zu dem Mob gehören, der nach unten tritt? Oder wollen wir Zukunft mitgestalten?

Finden Sie für sich heraus, wie Sie sich in der Gesellschaft positionieren möchten. Fragen Sie sich: „Was für ein Menschenbild habe ich?“

Weiterer Bericht zur Veranstaltung: Talent und Begabung

Hier noch ein Link zu einem Bericht eines lieben Menschen und seinen ebenso lieben Freunden, die wir von „Stellen anzeigen“ im Sommer besucht haben. Hier entstehen Ideen, Gedanken, tiefgreifende und perspektivweisende Gespräche.

Autor:

Sandra Stoffers aus Recklinghausen

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