Die Chronik der Grubenholzhandlung Küster
Ein Stück Gladbecker Industriegeschichte

Wissenswertes 150 Seiten umfasst das Chronik, in der sich der Gladbecker Priester und Kirchenhistoriker Ralph Eberhard Brachthäuser intensiv mit der Geschichte der Firma A. Küster beschäftigt und bei seinen Recherchen auch Zugriff auf bislang nicht veröffentliche Unterlagen hatte. | Foto: Privat
  • Wissenswertes 150 Seiten umfasst das Chronik, in der sich der Gladbecker Priester und Kirchenhistoriker Ralph Eberhard Brachthäuser intensiv mit der Geschichte der Firma A. Küster beschäftigt und bei seinen Recherchen auch Zugriff auf bislang nicht veröffentliche Unterlagen hatte.
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Fast 100 Jahre lang prägte der Bergbau die Stadt Gladbeck, dominierten die fünf Gladbecker Zechen das örtliche Wirtschaftsleben. Noch heute erinnern die beiden Fördergerüste in Zweckel an die insgesamt fünf Doppelschachtanlagen, auf denen im Laufe der Zeit ungezählte Menschen Arbeit fanden. Häufig vergessen wird dabei jener Industriezweig, ohne den der Bergbau gar nicht denkbar war, der Grubenholzhandel. Millionen und Abermillionen an Festmetern Holz wurden benötigt, um Stollen, Strebe und Strecken, um überhaupt das ganze weitverzweigte unterirdische Wegesystem auszubauen und abzustützen.

Zu einer der bedeutendsten Grubengroßholzhandlungen entwickelte sich das 1871 im benachbarten Feldhausen gegründete Unternehmen von Anton Küster, zu allen Zeiten ganz schlicht bekannt als „Firma A. Küster“. 1891/92 wurde der Werksbetrieb wegen der günstigeren Verkehrsbedingungen nach Gladbeck verlegt, in unmittelbare Nachbarschaft zum Bahnhof Gladbeck-Ost, mit eigenem Gleisanschluss. 1894 bis 1896 wurde an der Buerschen Straße 35, die damals noch Hochstraße hieß, ein „herrschaftliches Wohnhaus“ für den künftigen Firmeninhaber Franz Küster erbaut – mit immerhin 270 Quadratmetern Wohnfläche allein im Erdgeschoss und anschließendem Park. Ein ans Wohnzimmer anschließender Wintergarten wurde 1907 von Otto Müller-Jena, dem Architekten des Gladbecker Rathauses und der Heilig-Kreuz-Kirche, zum Palmenhaus erweitert.

"Villa Küster"

Die prachtvolle alte „Villa Küster“ wurde im Zweiten Weltkrieg ein Opfer der Bombenangriffe, und selbst das Werksgelände kennen nur noch ältere Generationen aus eigener Anschauung. An seine Stelle ist eine dichte Wohnbebauung getreten, in der lediglich noch die Straße „Am Sägewerk“ an die Vergangenheit erinnert.

Eine bislang unveröffentlichte Firmenchronik gibt Einblick in betriebliche Details wie auch in persönliche Schicksale der Unternehmerfamilie – von der Gründung vor 150 Jahren bis zum Ende des zweiten Weltkriegs. Ein führender Mitarbeiter und jahrzehntelanger Zeitzeuge der Firma A. Küster hatte sie 1937 verfasst und später um einige Ereignisse bis 1945 ergänzt. Der Gladbecker Priester und Kirchenhistoriker Ralph Eberhard Brachthäuser hat diese Chronik nun in Buchform gebracht, wissenschaftlich kommentiert, illustriert und mit einem Nachwort versehen.

Zechen im Essener Norden zählten zu den ersten Großabnehmern von Anton Küster. 1906 wurde am Rhein-Herne-Kanal in Essen-Vogelheim ein eigenes Hafensägewerk eingerichtet, das allein der Versorgung der staatlichen Zechen diente, die über Jahrzehnte sämtlich von der Firma A. Küster beliefert wurden. Waldgebiete in nah und fern, bis hin nach Russland, wurden zum Holzeinschlag gepachtet oder gekauft, Geschäftsbeziehungen nach Skandinavien und bis nach Übersee geknüpft.
Die Chronik nennt rund 170 Personen namentlich – Wirtschaftsführer des „rheinisch-westfälischen Industriegebietes“ wie auch „kleine Leute“ im eigenen Unternehmen und auf den Zechenanlagen.

Gerade ihren Anteil am Erfolg des Unternehmens suchte der Chronist herauszustellen. Hinzu kommt eine ganze Reihe von Firmen im Ruhrgebiet und weit darüber hinaus. Dazu gehört beispielsweise das von Anton Küster mitbegründete Bankhaus „H. Küster, Ullrich & Co.“, das bis zu seiner Zerschlagung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1938 das führende Kreditinstitut in Gladbeck gewesen war. Über 130 dieser genannten Personen und Firmen lässt der Herausgeber in Biogrammen wieder Gestalt annehmen.

Der Firmenchronist von 1937 betont die bäuerliche Herkunft Anton Küsters, verweist aber zugleich auf seine guten Beziehungen zu Adel und Großgrundbesitzern als eine Ursache seines wirtschaftlichen Erfolgs. Ein Blick in den von Brachthäuser erstellten genealogischen Abriss belegt tatsächlich schon für Mitte des 18. Jahrhunderts bemerkenswerte gesellschaftliche Kontakte zwischen der Familie Küster und den regionalen Adelshäusern.

Der Herausgeber geht zudem den Fragen nach Überlieferung, Autorenschaft und Abfassungszeitraum der Chronik nach. Zudem werden Freundschaften und Beziehungsgeflechte von Anton Küster und seines Sohnes Franz belichtet. Spannend ist ein Abschnitt mit der Überschrift „Heiratspolitik?“, in dem an ausgewählten Beispielen nachvollzogen wird, wie die Familie Küster seit dem 19. Jahrhundert offenbar auf wirtschaftlich vorteilhafte Eheanbahnungen bedacht war. Dabei wird auch erstmals eine Tochter Anton Küsters ins Licht gerückt, die in den Orden der Dominikanerinnen eintrat und in ihrem viel zu kurzen Leben als Ordensfrau auch dort „Karriere“ machte.

Ein ganz besonderes Augenmerk legt Brachthäuser auf das im Landesarchiv NRW entdeckte Testament von Anton Küster und seiner aus Rentfort gebürtigen Frau Elisabeth „Lisette“ Kleinhager aus dem Jahr 1878. Im Wortlaut abgedruckt belegt es eine außergewöhnliche Gleichberechtigung zwischen den Eheleuten in der doch sehr patriarchalisch geprägten Gesellschaft des frühen Deutschen Kaiserreichs.

Zur Sprache kommt auch das soziale Engagement der Familie Küster. So geht beispielsweise das Antonius-Hospital in Kirchhellen auf eine großzügige Schenkung Anton Küsters zurück, und zahlreiche Menschen verdankten den Küsters in Zeiten persönlicher Not stille und vollkommen unbürokratische Hilfe. Die Forschungen Brachthäusers brachten zudem Hinweise zutage, nach denen die Familie Küster in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre in Gladbeck eine bislang ziemlich unbekannte Kulturszene tatkräftig förderte, mit Malern, Bildhauern, Schauspielern, Sängern und anderen, die häufig auch in der alten „Villa Küster“ für eine Zeit lang die Gastfreundschaft der Unternehmerfamilie genießen konnten.

Wohlhabend

Und wie reich waren die Küster nun? Dazu gibt es in Brachthäusers neuem Buch lediglich vereinzelte Hinweise. Immerhin zwei Zahlen aus den ersten beiden Jahrzehnten der Firmengeschichte weisen auf äußerst wohlhabende Verhältnisse hin. In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts dann lieferten sich in Gladbeck die „Firma A. Küster“ und das Bankhaus „H. Küster, Ullrich & Co.“ quasi einen Wettlauf um die höchsten Gewerbesteuerzahlungen, übertroffen lediglich von der Bergwerksgesellschaft „Graf Moltke“.

Wer sich über das Buch hinaus für die Geschichte der Firma A. Küster und ihrer Protagonisten interessiert, sei auf den Vortrag von Ralph Eberhard Brachthäuser in der VHS Gladbeck verwiesen: „Ganz groß in Holz. Eine Chronik der Firma A. Küster – von der Gründung vor 150 Jahren bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs“, Vortrag und Diskussion ab 19.00 Uhr im Studio der Stadtbücherei, Friedrich-Ebert-Straße 8. Anmeldungen nimmt die VHS unter Tel. 02043-992415 entgegen. Der Eintritt ist frei.

Infos: Ralph Eberhard Brachthäuser (Hrsg.): Chronik der Firma A. Küster. Großhandlung in Grubenholz und Nutzholz mit Dampfsägewerken, Gladbeck 2021, 150 Seiten, 32 Abbildungen, ISBN 978-3-9824049-0-5, 19,80 Euro.
Erhältlich in Gladbeck: im Stiftshaus Gladbeck, gerne mit Widmung (post@stiftshaus.de oder Tel. 02043-789935) sowie in der Gladbeck Information, im Stadtarchiv, in der Humboldt-Buchhandlung und in der Mayerschen Buchhandlung.

Autor:

Uwe Rath aus Gladbeck

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