Besinnliches von Wilfried Ranft: "Blick in den Spiegel"

Pfarrer Wilfried Ranft, ­Krankenhausseelsorger im Ev. Krankenhaus Hattin­gen und der Klinik Blankenstein
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  • hochgeladen von Roland Römer

Liebe Leserin, lieber Leser,
der Klassiker: Ich stehe in einer x-beliebigen Warteschlange und möchte irgendetwas kaufen. Die Schlange ist lang und ich stehe unter Zeitdruck.

Da drängelt sich jemand vor und meint, ich merke es nicht. Ich spüre, dass in mir Wut aufsteigt. Ich ärgere mich über die Unverschämtheit dieses Menschen und könnte auf der Stelle aus der Hose springen. ‚Wie kann der es wagen‘? ‚ Frechheit‘!, schäumt es in mir. Und dann reagiere ich…
Szenenwechsel.
Ich habe etwas getan, was die Kritik eines anderen Menschen hervorruft. Dieser schnauzt mich unfreundlich an, wird sogar ausfällig und beleidigend. Ich schalte in den Verteidigungsmodus und gehe kurze Zeit später zum Gegenangriff über: wie es in den Wald hineinruft, so schallt es heraus…
Vermutlich kennen Sie auch solche unschönen Begebenheiten und die aggressiven Gefühle, die dabei entstehen können. Und vermutlich werden Sie ähnlich aggressiv reagieren wie ich.
Wie wäre es, einmal den Blickwinkel zu ändern? Wie wäre es, wenn Sie dankbar wären für solche Begegnungen?
Dankbar???
In den beschriebenen Begegnungen halten uns die Menschen einen Spiegel vor. Sie spiegeln uns die dunklen Seiten unserer Seele wider, unsere noch nicht geheilten Schatten.
Warum rege ich mich über den Vordrängler auf? Weil ich neidisch auf ihn bin, dass er das tut, was ich auch gerne getan hätte, mich aber nicht getraut habe. Die ‚unverschämte Tat‘ ist auch in mir. Und der Anpöbler? Er kränkt mein stolzes Ego und weckt die Aggression, die in mir steckt und sich ausdrücken will. Wären meine Schatten in Licht verwandelt, würde ich mich nicht aufregen und dem Aggressor mit Freundlichkeit begegnen.
So wie Jesus es uns in der Bergpredigt gelehrt hat, dem Angreifer auch die andere Backe zum Schlag hinzuhalten oder im Rechtsstreit dem eingeklagten Rock noch den Mantel obendrauf zu geben, um damit das Gegenüber zu irritieren und die Situation zu deeskalieren.
Zugegeben: Nicht alle vergleichbaren Erlebnisse spiegeln mir mein dunkles Innerstes. Aber wenn mich etwas aufregt, dann lohnt sich zunächst auch der Blick in den Spiegel, um mich selbst zu ertappen und an meinen eigenen Fehlern und Defiziten zu arbeiten.
Oder, mit Worten des Psychiaters C. G. Jung gesprochen: „Wer zugleich seinen Schatten und sein Licht wahrnimmt, sieht sich von zwei Seiten und damit kommt er in die Mitte.“
Ich wünsche ihnen mutige Blicke in den eigenen Spiegel und einen guten Start in die zweite Jahresarbeitshälfte!
Ihr
Pfarrer Wilfried Ranft,
­Krankenhausseelsorger
im Ev. Krankenhaus
Hattin­gen und der
Klinik Blankenstein

Autor:

Roland Römer aus Hattingen

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