Seit 25 Jahren ist der Hochofen kalt - Ehemalige erzählen

In Hattingen gab es noch eine gute Kameradschaft unter der Belegschaft. Die Arbeit sei zwar hart gewesen, aber der Spaß sei nicht auf der Strecke geblieben. Auf dem Foto vorne von links: Gerd Leiendecker, Dieter Straube und Eckhard Preuß. Hintere Reihe (v.l.): Rainer Georgie, „Konya“, Bulut Hanifi, „Mustafa“ und Michael Kojakarenko. Foto: privat
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  • In Hattingen gab es noch eine gute Kameradschaft unter der Belegschaft. Die Arbeit sei zwar hart gewesen, aber der Spaß sei nicht auf der Strecke geblieben. Auf dem Foto vorne von links: Gerd Leiendecker, Dieter Straube und Eckhard Preuß. Hintere Reihe (v.l.): Rainer Georgie, „Konya“, Bulut Hanifi, „Mustafa“ und Michael Kojakarenko. Foto: privat
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(von Cay Kamphorst)

“Im Grunde wussten wir bis zum Schluss nicht wirklich Bescheid“, erzählt Dieter Straube, ehemaliger erster Schmelzer an einem der Hochöfen in Hattingen.

"Nur die Oberen wussten längst, dass das Werk geschlossen wird, doch wir haben noch bis zum Schluss geglaubt, wir werden von den Schließungen verschont“, erzählt der vormals als Bergarbeiter tätig gewesene Dieter Straube. „Jedes Mal, wenn ein anderes Werk geschlossen wurde, glaubten wir, dass wir dadurch überleben würden. Wir wussten nicht, dass längst alles eine beschlossene Sache war.“
Sein Kollege am Hochofen und Freund Eckhard Preuß erinnert sich: „Eigentlich hätten wir es merken können. Die Hochöfen waren alt und ausgemergelt, es wurde aber nichts daran getan. Dann wurde der Betrieb der Öfen langsam runtergefahren. Während sie sonst durchgehend brannten, wurden sie auf einmal freitags ausgemacht und sonntags abends wieder an.“
Sie haben demonstriert und gehofft, gekämpft und doch verloren. „Trotzdem waren die Demos gut, auch wenn sie für den Erhalt der Öfen nichts gebracht haben. Aber so wurde die Öffentlichkeit aufmerksam und wir konnten nicht einfach still und leise entlassen werden“, beschreibt der 75jährige ehemalige Schlacken- und Wassermann die damalige Situation. „Wir wurden dann gefragt, ob wir in Duisburg-Hamborn auf dem Werk arbeiten wollen.“ Ältere Mitarbeiter, die kurz vor ihrer Rente standen, wurden noch für die letzten Aufräumarbeiten eingesetzt. Entlassungen habe es nicht gegeben, alle Mitarbeiter der Henrichshütte wurden übernommen.
„In Hattingen waren wir eine tolle Truppe“, weiß Dieter Straube Positives zu berichten. „Aber in Duisburg war das alles anders. Da war die Kameradschaft sehr schlecht. Auch die Arbeitsbedingungen waren nicht so gut, wie in Hattingen. Der Stundenlohn lag zwar etwas höher, aber es kamen auch höhere Kosten dazu.“ Der 66jährige, der vom Schmelzer zum Springer befördert wurde, erinnert sich eher ungern an die Duisburger Zeit, die für ihn noch 13 Jahre dauerte. „Wir mussten ja täglich hin- und zurückfahren, das waren insgesamt 120 Kilometer. Viele blieben damals psychisch auf der Strecke und haben den Wechsel nicht verkraftet. Einige gingen vorzeitig in Rente.“
Auch schwere Unfälle habe es während der Arbeiten an den Hochöfen gegeben, teilweise mit tödlichem Ausgang. „Ich erinnere mich an einen schweren Unfall 1973, das war am Geburtstag meines Sohnes. Ich stand mit dem Kollegen noch kurz vorher zusammen. Das waren nur Sekunden zwischen meinem Gehen und dem dann tödlichen Unfall des Kollegen. Er wurde von der Gießmaschine mitgerissen und geriet zwischen Wand und Maschine. Ihm fehlte das halbe Gesicht.“ Eine Begebenheit, die man nie vergisst. Es klingt wie ein Schuldgefühl, wenn der 66jähige weiter sagt: „Wäre ich nur zehn Sekunden länger stehengeblieben, dann hätte ich ihn noch wegreißen können oder wenn ich vorher gesagt, wir machen die letzte Fuhre nicht mehr.“ Doch so Unglücke passieren und niemand trägt Schuld. Das weiß auch Dieter Straube: „Nein, ich fühle mich nicht schuldig und ‚hätte‘ bringt auch nichts, aber man denkt dann schon mal darüber nach.“
Auch Eckhard Preuß kann über Unfälle berichten. „Bei einem Unfall fiel einem Kollegen etwas auf die Beine und von den Knien abwärts waren sie total kaputt. Da sah man dann sämtliche Knochen, aber er hatte den Unfall überlebt. Ein anderes Mal habe ich miterlebt, wie ein großes Eisenblech auf einen Kameraden fiel, der war sofort tot.“
Die Arbeiten am Hochofen waren lebensgefährlich. „Erfahrungen waren sehr viel wert. Immer, wenn etwas passierte, wussten wir, was wir beim nächsten Mal vermeiden oder wo wir aufpassen mussten.“ Die Hitze an den Öfen war immens und die Arbeiter trugen spezielle Schutzanzüge. Gegen Staub und freigesetzte, gefährliche Gase gab es Masken und Mundschutz. „Aber wir haben das oft nicht getragen. Dann eher mal die Luft angehalten und schnell wieder raus. Ging dann auch schneller, als sich jedesmal die Maske aufzusetzen. Klar war das gefährlich und wenn wir nur etwas von dem Stickstoff, der sich stellenweise bildete, eingeatmet hätten, wären wir umgehend tot gewesen.“
Woher die „Ratte“ für die Kinder auf dem heutigen Hüttenmuseum ihren Namen hat, vermutet Eckhard Preuß. „Wir bekamen damals sogenannten Büchsenschrott angeliefert, teilweise auch aus den Niederlanden, da waren oft schon die Ratten mit an Bord. Wir haben die manchmal sogar von oben gefüttert“, lacht der 75jährige.
Freunde sind Dieter Straube und Eckhard Preuß bis heute geblieben und können gemeinsam über die eine oder andere Anekdote aus ihrer Zeit als Hochofenmitarbeiter lachen.

Autor:

Roland Römer aus Hattingen

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