Auf ein Wort: Das Derivate-Desaster

Was könnte eine überschuldete Stadt wie Lünen mit 34 Millionen Euro nicht alles anfangen? Schulen und Kitas bauen, das Bildungs- und Kulturangebot verbessern, Sport und Ehrenamt fördern.

Ca. 34 Millionen Euro – diese Feststellung war das Ergebnis der Vorberatungen im Haupt- und Finanzausschuss am letzten Donnerstag – fehlen in der Stadtkasse. Das sind die bitteren Folgen eines Ausflugs der Stadt in spekulative Finanzgeschäfte, die in den Jahren 2007 bis 2011 getätigt wurden.

Seit 2012 hat sich die Stadt gegen die Verluste aus diesen so genannten Derivatgeschäften mit insgesamt drei Klagen gewehrt. Nach mehreren Instanzen haben die ehemaligen Vertragspartner nunmehr einen Vergleich geschlossen, um einen Schlussstrich zu ziehen. Das hatte der Rat der Stadt in seiner Sitzung vom 08.03.2018 mit breiter Mehrheit so beauftragt.

Die Auswirkungen des Vergleichs machen es notwendig, den Haushalt der Stadt anzupassen. Wenn der Rat dazu in der nächsten Woche einen entsprechenden Beschluss fasst, wird angesichts einer Verschlechterung der Haushaltslage um ca. 34 Mio. € niemand eine echte Erleichterung empfinden. Aber man kann schon sagen, dass wir es geschafft haben, eine größere Krise abzuwenden. Dabei ist es letztlich unvorhersehbaren positiven Effekten auf der Einnahmeseite zu verdanken, dass wir sogar unser Ziel, bis 2020 unsere Überschuldung (mehr Schulden als Vermögen) zu beenden, halten können. Andernfalls wären wir nicht mehr handlungsfähig.

Mein Dank gilt an dieser Stelle unserem Kämmerer Uwe Quitter, der einen noch größeren Schaden abgewandt hat, indem er uns seit seinem Amtsantritt 2012 in enger Abstimmung mit dem Rat durch mehrere Gerichtsverfahren bis zum derzeitigen Vergleich „navigiert“ hat.

Derivatgeschäfte waren schon seit Anfang der 2000-er Jahre gerade bei „klammen“ Kommunen weit verbreitet. Sie waren nicht unumstritten, wurden aber immerhin sogar von der Gemeindeprüfungsanstalt NRW als Instrument der Zinsoptimierung empfohlen. Auch in unserer Stadt wurde heftig und mit unterschiedlichen Ansätzen über diese Art der Anlageform diskutiert. Nach einem Grundsatzbeschluss Ende 2002, mit dem der Rat sich für ein „Aktives Zinsmanagement“ ausgesprochen hatte, warnten spätestens seit der Finanzkrise 2008 nicht wenige vor den Risiken, die dann tatsächlich auch eintraten.

All diese Diskussionen und Entscheidungen haben in der Vergangenheit in öffentlichen Sitzungen stattgefunden. Genauso wie die weiteren Schritte, die Politik und Verwaltung ab 2012 zur Schadenbegrenzung gegangen sind. Insofern ist es nicht richtig, der Stadt oder ihrer Verwaltung mangelnde Transparenz vorzuwerfen. Generell sind sowohl der städtische Haushalt als auch die Jahresabschlussberichte, in denen die Entwicklung der Kredite dargestellt werden, für jedermann einsehbar.
Was den aktuellen Vergleich betrifft, verpflichtet nicht nur die bindende Zusatzvereinbarung, ohne die er nicht zustande gekommen wäre, zur Verschwiegenheit über die Inhalte. Es entspricht auch allgemeinen Rechtsgrundsätzen, Vertragsangelegenheiten zum Schutze des jeweiligen Vertragspartners nicht in öffentlicher Sitzung zu beschließen. Stellen Sie sich vor, Sie würden ein Grundstück an die Stadt verkaufen: Dann würden Sie ggfls. auch nicht wollen, dass der von Ihnen erzielte Kaufpreis anschließend in der Zeitung bekannt gemacht wird.

Aus der Wahrung solcher Gepflogenheiten nun aber den Schluss zu ziehen, besser keinen Vertrag abzuschließen als einen solchen, wo ein „Außenstehender“ (!) nichts über die Vertragsdetails erfährt, ist aus meiner Sicht völlig unverständlich. Auch für die Beantwortung der Frage, ob die Vereinbarung für die Stadt wirklich günstig ist, bedarf es keiner Veröffentlichung des Vergleichsinhalts: Der Rat hätte andernfalls sicherlich keine Zustimmung zu dem Vergleich erteilt. Insofern können die Bürgerinnen und Bürger davon ausgehen, dass die von ihnen gewählten – und damit legitimierten – Ratsmitglieder mehrheitlich davon überzeugt waren, dass eine Zurückweisung des Vergleichsangebots wirtschaftlich am Ende teurer gewesen wäre.

Die öffentlich nachvollziehbare Anpassung des Haushalts verdeutlicht, dass das Ganze ein nicht zu beschönigendes Finanzdesaster ist. Wir werden es zwar verkraften. Aber es tut uns sehr weh.

Autor:

Jürgen Kleine-Frauns aus Lünen

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