"Vögelsche" tut Wunder
Bekehrung am Martinsabend

Chudd Frau, chew us watt! | Foto: Coverbild: The Buddy's, Sint Maarten Liedjes
  • Chudd Frau, chew us watt!
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Heute gibt's eine (rührende) Geschichte, in der das Lied „Ssinter Mätes Vögelsche“ eine entscheidende Rolle spielt.Sie handelt vom reichen Rentner Meiser, der erst die an der Tür singenden Kinder mit Wasser überschütten lässt und dann doch noch zum Guten bekehrt wird.

Karl Broermann schrieb 1926 diese Geschichte um das Mülheimer Martinslied herum, die ich hier um den ganzen ersten Teil verkürzt wiedergebe:

Nachdem der reiche Mülheimer Rentner Meiser die singenden Kinder bei sich mit Wasser statt mit Gaben hat überschütten lassen, beobachtet er bei einem anschließenden Spaziergang durch die Nachbarschaft, wie seine arme Waschfrau die Kinder beschenkt.

„Wieviel Gutes hast du denn getan?“ – Wer hatte das gesagt? Ganz verwirrt drehte sich der Alte um, aber nur schwarze Hausmauern gähnten ihn an. „Verflucht,“ murmelte Meiser, „ich hätte die Kleinen doch nicht mit Wasser beschütten sollen. Dieser Wasserpolacke, die Kathinka! Ein Gemüt wie ein Metzgerhund!“ Der Rentner blieb stehen. – War das dahinten nicht das baufällige Fachwerkhaus seiner Waschfrau, der alten Witwe Silberkuhl? Zum Kuckuck, war er denn so in Gedanken gewesen, dass er gerade hier landen musste? – Da bog auch schon der Trupp der Singenden hinter ihm aus der Gasse hervor, leise, verstohlen, wie wenn man jemanden mit einer Liebesgabe überraschen will. Und stellte sich wahrhaftig vor der Haustreppe der armen Witwe Silberkuhl auf. Wie gebannt blieb der Rentner stehen. So spielte sich denn das ganze Schaustück vor ihm ab. Das Lied erscholl breit, behäbig, wie ein Lastkarren, der durch ausgefahrene Geleise fährt:
„Gudd Frau, gewt us watt,
Ahl die Hönnerkes legge watt!“
Ein milder Lichtschein quoll vom Fenster der Witwe aus um die Gesichter der singenden Kinder. Die kleinsten Mädchen und Buben standen auf der Treppe. Kleine Mädchen, deren Stimmchen sich überschlugen vor Freudegefühl. Rotglühende Pausbäckchen von innigem Entzücken gemalt. Selig blickende Unschuldsaugen! Und die kleinen Buben dahinter, dralle Jungen, die sich in Erwartungsfreude stolz aufreckten wie krähende Hähnchen.
„Pack wahl nit dernewe,
Se sall us wahl watt gewe!“
Da sprang plötzlich das Licht aus der geöffneten Haustüre über die fröhliche Singeschar. Wahrhaftig, da stand die Witwe Silberkuhl mit ihrem Marktkorbe im Heiligenschein des Türrahmens. Warf aus ihrer Armut voll Martins-Gebefreude mit zitternden Händen unter die bettelnde Schar. „Un hie, un do, un hie noch watt, un do noch watt. Un et scheint noch ni genug te sien.“ Die Witwe Silberkuhl drehte sich erregt um zu ihrer im Flur stehenden Tochter:
„Anneke, hol me doch dat kle-in Körwken ouk noch, et sind doch su völl liew Pöhste!“
So opferte die Arme fürwahr auch noch den Rest von Obst, den sie für sich und ihre Tochter zurückgelegt hatte. Da war es dem Rentner Meiser, als sei in seiner Brust etwas geschmolzen. Er stürzte mit einem ganz verklärten, aufgeregten Gesichte die Straße hinunter und zu seinem Hause. „Kathinka,“ brüllte er in seinem Hause treppauf, „hol mir das Obst herauf, das noch im Keller ist! Hol mir Äpfel! hol mir Nüsse! Hol mir Birnen! Heute feiern wir auch Sinter Mätes!“
Als Kathinka mit offenem Munde vor ihrem Herrn stand und nicht begriff, wie ihr geschah, da stieß er sie zur Kellertür hinein. Stand dann aufgeregt am Fernsprecher“ „Ein Sack Äpfel . . ., ein Sack Nüsse . . ., nur schnell, schnell!“
An diesem Abend geschah, was die Mülheimer Jugend bis dahin noch nicht erlebt hatte. Es wurde allüberall reichlich gegeben, aber als man zuletzt auf Geheiß einer dicken Dienstmagd noch einmal vor Meisers Haus sang, da ergoss sich eine wahre Springflut von Martinsgaben über die bettelnde Singeschar. Als dann der Gabensegen vorbei war, reichlicher als irgendwo, da musste die Jugend noch einmal von vorne singen: „Sinter Mätes Vügelsche.“
Nach dem „Padsfut“ fragte der Rentner von der Treppe herunter: „Ist auch jemand von euch heute hier nass geschüttet worden?“ Worauf alle riefen, sie seien schon längst wieder trocken.
Bei der nächsten Wäsche im Meiserschen Hause wandte sich Frau Silberkuhl beim Mittagessen – es gab ihr Leibgericht, Sauerkraut mit einer ganzen Mettwurst – einigermaßen unmutig an Kathinka: „Ik we-it nit, wat den aulen Meiser vamorgen het. He üs vandag all dre-imol an de Waschküke vorbe-igekommen un het me jedesmol en Oigsken tu geknepe. Un statt en ganz kle-in Stückske Woß, wie süß ümmer, sett’he’me verhaftig hiedä ganze Rängel Mettwoß vür de Nas. Ja, nä, jo, ja, nä, ick segg ouk: me wädd ut de Mannslüht nit kluk.“
(„Ich weiß nicht, was heute Morgen in den alten Meiser gefahren ist. Er ist heute schon dreimal an der Waschküche vorbeigekommen und hat mir jedes Mal zugezwinkert. Und anstatt ein ganz kleines Stück Wurst wie sonst immer, setzt er mir wahrhaftig diesen ganzen Prügel vor die Nase. Ja, nein, ja, ja, nein, ich sage immer: man wird aus den Männern nicht klug!“)

aus: K.Broermann: „Das Mülheimer Schelmenbuch“, 1926

Autor:

Franz Bertram Firla aus Mülheim an der Ruhr

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