Dokumentarfilm
Ein Schlaffilmer erzählt

Ich filme gerne Menschen im Schlaf. Um nicht missverstanden zu werden, nicht während ich selbst schlafe oder nebenbei, also im übertragenen Sinn „im Schlaf“, sondern eher doch andere Menschen, während sie schlafen. Und natürlich auf deren ausdrücklichen Wunsch, nicht etwa heimlich. Ich persönlich lebe ja auf der schlafabgewandten Seite der dritten Lebenshälfte, da kommt es nur gelegentlich vor, dass ich selbst einnicke, während die Kamera noch läuft.
Die Schlafdokumentation ist für mich die ideale Tätigkeit im Alter, eine maßgeschneiderte Bettfluchtgestaltung. Ich bin nachts ohnehin knallwach, wenn die Leute mich in ihr Schlafzimmer bestellen, wo ich sorgfältig mein Equipment aufbaue, während sie noch Zähne und anderes putzen.
Und so bleibe ich auch nach ihrem Einschlafen, denn ich werde dafür bezahlt, dass ich z. B. Kameraschwenks, Heranzoomen oder auch schon mal Kamerafahrten rund ums Bett mache. Sonst könnten die Leute ja einfach eine Überwachungskamera laufen lassen, bei der es schon im Wort drinsteckt, dass sie wach ist, ja sogar überwach!
Nein, ich muss stets blitzschnell reagieren können, wenn z.B. plötzlich ein Fuß aus dem Plumo hervorlugt oder der Schläfer/die Schläferin komplett aus dem Bett fällt. Dann komme ich mit meiner Hilfeleistung sogar selbst im Film vor! Häufig haben die Gestürzten keine Erinnerung daran und sind sehr überrascht.
Und manche erinnern auch morgens nicht mehr, dass sie während des Schlafens aus dem Fenster des Dachschlafzimmers gestiegen sind und rund um den Kamin schlafgewandelt haben. Meine Außenaufnahmen (mit Gefahrenzulage) sind dann für den Auftraggeber die einzigen Beweise für meine Rechnungsgestaltung und extrem wertvolle Erinnerungsstücke an Dinge, an die man sich schon nicht mehr erinnert hat, als sie geschehen sind.
Bei meiner Tätigkeit ist viel Geschick und Geduld gefordert, aber man hat dabei auch seine Ruhe. Im allgemeinen. Manchmal sitze ich stundenlang in meinem Regiestuhl am Set neben dem Bett und warte, bis der Auftraggeber eingeschlafen ist. Ich esse dann was und teile es manchmal sogar mit dem Auftraggeber oder der Auftraggeberin. Was ich überhaupt nicht mag, ist, wenn sie sich alle fünf Minuten herumwälzen, um sich schlagen, urplötzlich hochschrecken und die Augen aufreißen. Schon Husten und Strampeln bringt mich durcheinander. Auch Geräusche über und unter der Bettdecke lenken sehr von der Arbeit ab. Obwohl ich ja Schlafdokumentationsfilme mit Ton drehe. Aber ohne Geruch.
Die Auftragslage ist im Moment gar nicht mal so schlecht. Es gibt jede Woche zu tun. Ein Schlaffilm kostet übrigens 500 € pro Einzelperson, Paare 800, - €. Da ist man dann schon zwangsläufig in der oberen Mittelschicht unterwegs. Ich mache es auch für 400 €. Dann muss der Schläfer/die Schläferin aber eine Schlafmütze mit meinem Logo tragen und der Nutzung von Ausschnitten für Werbespots zustimmen.
Warum Menschen ihre sleep-performance festhalten möchten, hat sicher unterschiedliche Gründe: Selbstüberprüfung, Neugierde, Instagramm & youtube. Man kennt filmische Schlafdokumentationen sonst eigentlich nur aus dem medizinischen Bereich. Hin und wieder bin ich deshalb auch für Spezialaufträge im Schlaflabor gefragt.
Ich persönlich fände ja interessanter, wenn man einen Traum filmen könnte. Aber soweit sind wir noch nicht. Die Traumphase ist in den frühen Morgenstunden sehr leicht zu erkennen, und zwar am Pupillenrasen. Dann zittern die Augäpfel hin und her, als ob die Träumenden durch die Augenlieder etwas sehen könnten. Das sieht ehrlich gesagt doof aus! Aber man nennt es „REM-Phase“ völlig ohne Latein, aber mit Englisch. (REM =Rapid Eyes Movement = Rapide Augenbewegung)
Obwohl wir meinen, die ganze Nacht über einen Traum gehabt zu haben, dauert er nur sehr kurz. Ich muss also bei meiner Kamera nicht zwischendurch einen Film wechseln oder eine neue Speicherkarte ,wie die Filmrolle heute heißt, einlegen.
Man kann dann mit einiger Erfahrung raten, was der Schläfer da träumt. Oft muss ich den Film hinterher aber noch dreimal anschauen, bis ich aus den Augenbewegungen rekonstruieren kann, dass der Schläfer wohl geträumt hat, mit seinem Schläferhund hinter einer Antilope her zu sein. Denn Herzusein bedarf es wenig, doch wer her ist, ist ein König! Entschuldigung, bin gleich zurück.
Wichtige Hinweise sind Sprachfetzen während des Traumes, die ich natürlich mit aufnehme. Die meisten sind aber so undeutlich, dass sie alles mögliche bedeuten können. Gewisse Beinstellungen können allerdings Auskunft darüber geben, ob womöglich von einer Fahrt mit dem Treppenlift geträumt wird.
Sind nun Frauen im Schlaf besser zu filmen als Männer? Ja und nein. Aber Frauen haben meist schon ihr Handy ausgestellt und weggelegt, wenn sie einschlafen.
Manche brauchen ihre Schlaffilme zum Einschlafen, andere verschenken sie zu Geburtstagen ihrer Kinder oder Enkel: „Sleeping Dad“. Schnarcher wünschen oft eine Musikunterlegung. Immer noch ungeschlagen gut für gefilmte Schlafwandeleien: „Sleep walk“. Das ergibt eine wunderbare Spannung zu den an den Tierfilmer Andreas Kieling erinnernden riskanten Mondschein-Szenen in nächtlicher Dachrinne.
Natürlich sind nicht alle Schlaffilme so atemberaubend, aber im Durchschnitt können sie mit den im Fernsehen gezeigten, stets mit den hinlänglich bekannten Gesichtern und Handys besetzten “Schlaffilmen“, durchaus mithalten.
Ich werde auch immer wieder gefragt, ob ich denn die ganze Nacht am Bett-Set verbringe. Ja, mein Auftrag endet erst nach dem Erwachen in den Morgenstunden. Senioren ab 4 Uhr, alle anderen ab 6 Uhr.
Und dann die Frage, ob ich mich zu den Schlafenden - mehr als beruflich erlaubt-  hingezogen fühle. Ich bin ein alter Mann und nicht Gotthold Ephraim Lessing bei der Entdeckung der schlafende Laura. Auch hatte ich nie die schlafende Venus von Paul Delvaux oder die nur schlummernde von Giorgione vor der Linse. Erlebt hat man einiges, aber alle Annäherungen würde man im Film dokumentiert sehen, oder das Gelöschte würde unplausible Lücken hinterlassen.
Und schließlich die Frage, ob es jemanden gibt, der wie aufgebahrt im Bett liegt und sich bis zum Aufwachen nicht bewegt. Ja, das habe ich wirklich dokumentieren können. Es führt uns vor Augen, dass Hypnos und Thanatos Brüder sind. Wobei ich für Schlafes Bruder bisher noch keinen Auftrag erhalten habe.

Autor:

Franz Bertram Firla aus Mülheim an der Ruhr

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