Historisches Dokument
Erstmalig in Hochdeutsch: Aus der alten Schneppenbeck

Hier - wie versprochen - die hochdeutsche Übertragung der Festschrift „50 Jahre Schneppenbeck“ von Emilie Jansen us dem Jahr 1928
Ein paar Worte seien zuvor noch gestattet:
Mich fasziniert das Wort „Schneppenbeck“, seit ich es in dieser Jubiläumsschrift zum ersten Mal las. Die Autorin ist in der Mölmsch-Platt-Literatur bekannt und soll sich laut Dr. Heinrich Küpper um Erhalt und Pflege des Mölmsch Platt in Heißen bemüht haben. Deshalb wohl auch die sicher auch damals schon ungewöhnliche Form einer Schuljubiläumsschrift op Platt. Eine Nähe zu Rektor Klewer und seinem Plattdütschen Krink konnte ich aber nicht feststellen.
Was bedeutet nun das Wort, das hier für eine Siedlung in der Nähe der Zeche Rosendelle verwendet wird?
Schneppe ist die Schnepfe, die Beek oder Beck ist der Bach. Ergibt: Schnepfenbach!
Mit ä geschrieben, ist es nicht nur ein Türschließer, sondern auch eine Vogelart.
War an der Blumendelle, die zu Frau Jansens Zeiten noch Luisenstraße hieß, ein Bach?
Beck kann aber auch ein Becken, einen Kasten meinen, z.B. Chrisbeck=Kohlenkasten
An einen Flöznamen ähnlich wie der benachbarte Kreftenscheer (Krebsschere) oder Mausegatt (Mauseloch) ist ebenfalls zu denken.
Es müssen auch nicht wirklich Schnepfen den Bach bevölkert haben, es könnte auch nur der gebogene Verlauf des Gewässers gemeint sein. Die Bedeutung „eingebildetes Frauenzimmer“ scheidet eher aus.
Ich mußte auch an die Redewendung im inoffiziellen Mölmsch Platt denken: „Se heet all wi-er cheschnapp“ = sie ist schon wieder schwanger. Es ist im Text ausführlich vom Klapperstorch die Rede. Aber „Schwangerkasten“ für eine Siedlung?
Auf die Deutung als Bach kam ich auch zurück, als ich im Reeser-Platt-Lexikon von Agnes Jay auf den Zusammenhang mit angeln stieß. schneppen = angeln. Reeser Platt hat seine Wurzeln genau wie Mölmsch Platt im Niederfränkischen, obwohl ich es hier noch nirgendwo gelesen habe.
Es gibt zwei völlig unabhängige Dokumente für den Namen, es kann sich also nicht um einen Geheim- oder Scherznamen handeln. Dennoch fällt es merkwürdig schwer, einen weiteren Beleg zu finden.

Ut der aulen Schnäppenbäck, 1928

Festschrift 50 Jahre Schule an der ehemaligen Luisenstraße (Blumendeller Str.) in Heißen

von Emilie Jansen, Lehrerin unter Rektor Simon


Aus der alten Schneppenbeck


Die Zeit läuft so dahin, nun sind schon fünfzig Jahr vergangen, seit die Schneppenbecker Schule steht. Zuerst waren es nur „die große“ und „die kleine Schule“; wie es auch nur „den großen“ und „den kleinen Lehrer“ gab. Wer hätte es gedacht, dass der kleine Lehrer, der doch ein stämmiger Mann war, so früh ins Gras hat beißen müssen? Es war ein gerechter Mensch, der Lehrer Beling, manch einer wird sich seiner noch erinnern können. Er schläft nun schon lange Jahre „hinterm Wiescher Steinhaufen“. Aber der große Lehrer, der lebt noch, und wohnt er auch nicht mehr in dem kleinen Häuschen in der Schneppenbeck, er ist noch da, die alten Schüler freuen sich, daß er das goldene Jubelfest noch so rüstige mitfeiern kann.
Der Lehrer und seine Familie waren bei den Schneppenbeckern gut gelitten, besonders in der Nachbarschaft. Setzten irgendwo die Wehen? ein, dass der Klapperstorch ein kleines Kindchen gebracht hatte, schickten sie aus der Schule ein Krüglein Wöchnerinnensuppe, und nach ein paar Wochen schaute sich der Lehrer dann auch mal seinen zukünftigen Schüler , oder Schülerin an, und bei seinen Spaziergängen, die er jeden Tag machte, strich er hie und da einem kleinen Dotz, der auf der Straße spielte, über den Kopf.
Die großen Kinder rissen die meiste Zeit aus, die hatten fast immer was auf dem Kerbholz. Als nun aber nach Jahren der Klapperstorch auch mal auf dem Schuldach klapperte und dem Lehrer ein kleines Mädchen brachte, da ließen es sich die Nachbarfrauen aber auch nicht nehmen, ihrerseits die Wöchnerinnensuppe zur Schule zu schicken. Da hat Frau Simon wohl ihr Bestes tun müssen, um die alle zu bewältigen.
So ging es all die Jahre, Freud und Leid wurde gemeinsam getragen, und besonders Frau Hormann, des Lehrers Schwiegermutter, verstand es, mit den Schneppenbeckern umzugehen.
Da wurde bei dem einen oder anderen über die Hecke geschaut, ob es im Garten gut stand, und mit den Leuten ein Schwätzchen gehalten über die Melde und dicke Bohnen, oder über Salat und kleine Kartoffeln, oder ein schönes Blumenbeet gelobt, weil sie selbst Spaß am Garten hatte und den ganzen Tag drin herum kröste. Sie freute sich immer, wenn ihr jemand ein Blumensträußchen oder einen Ableger brachte, den sie nicht hatte, für vorne in ihrem Blumengärtchen. Auch, als langsam das Alter kam, war sie nicht zu bewegen, die Gartenarbeit zu lassen. Vor nicht allzulanger Zeit hat sie die Augen für immer geschlossen, aber, das ist gewiß, wird in der Schnäppenbeck von Simons gesprochen, wird auch Frau Hormann nie vergessen. Damals war es in der Schneppenbeck anders als heute, das waren fast alles alteingesessene Familien, einer kannte den anderen, und einjeder wußte vom anderen, wo er herkam. Bei „alte Liese Gehne“ Frau Meyer, wurde Bibelstunde abgehalten, Reih um in der Schule. Da traf sich dann die ganze Schneppenbeck.Und dass die Männer dann auch saubere weiße Vorhemden umlegen konnten, dafür sorgte Hermann Keienburgs Frau. Seine Dora hatte die Hände voll zu tun, die gestärkte Wäsche zu bügeln. Fast jeden Tag kamen Kinder, die wieder was brachten, ein paar Vorhemden, Kragen und Manschetten, und Sommertags mußte Hermann aufpassen, dass ihm die Kleinen nicht in den Garten entwischten und sich über die Pfirsiche hermachten; und die Kirschen in Keienburgs Garten die waren, die waren so rot und so süß. Hermann und seine Dora lebten in glücklicher Zufriedenheit und fast jedes Jahr kam was Kleines, sie haben ein ganzes Trüppchen Mädchen zur Schule geschickt.
Kurz neben der Schule wohnten auch Gerd und Trautchen Bruckhoff. Die hatten immer Last mit den Schulkindern, die ihnen über das Land liefen. Es war aber auch ein Leid mit den verflixten Blagen!
Trautchen hatte vom Garten aus schon mal mit der geballten Faust gedroht, aber
es wurde immer diese Richtung genommen, und Gerd drohte mit dem Schaufelstiel, aber es wurde ein platter Weg übers Land gelaufen, es half nichts.
Da bekam Trautchen die Wut und als die Schule aus war, fegte es hinter den Kindern her. „Saublagen! Nichtsnutzige kleine Strolche! Wartet, ich werde euch helfen, ihr Bengel! Immer übers Land zu laufen, könnt ihr nicht den Weg benutzen? Ich werde es dem Lehrer sagen, der soll euch was hinten drauf geben,“ schrie sie. Kurze Zeit half das, zwar vergatterte der Lehrer die Schuldigen auch, es dauert aber nicht lange, und der Weg übers Land war wieder da, es half nichts, dass Gerd ihn umgraben ging und Dornsträucher entlang pflanzte. Heute ärgern sich andere Leute drüber, die Schulkinder sind um nichts besser geworden.
Trautchen in der Schneppenbeck kannten sie alle, eigentlich hieß sie Frau Keienburg, und dann wieder Frau Keienburg, und dann Frau Wertges und dann Frau Haferkamp. Ja, was guckt Ihr den alle so? Gewiß doch, sie hat viermal geheiratet! Was meint ihr, bang? Nein, die war nicht bang vor Männern, na und ob! – Und Jan, ihr letzter Mann, der in jungen ‚Jahren das Glück mit ihr wagte, hatte es gewiß nicht zu beklagen. Sie ist von den alten Schneppenbeckern wohl die einzigste, die viermal vorm Traualtar gestanden hat, und dabei ist sie bis kurz vor ihrem Ende rüstig gewesen und hat mit ihrem jungen Mann die Silberne Hochzeit noch gefeiert und hatte en nettes Trüppchen Enkelkinder, alle zusammengestellt können sie wohl eine Schulklasse abgeben.
Nicht allzuweit von der Schule war auch ein Laden. Da führte Robert Zobel das Regiment. Sein Mariechen half ihm da treu bei, ob es aber über ihn das Regiment hatte,
- das haben wir Blagen nie erfahren. – In dem Laden konnte man für einen Groschen dreierlei kaufen, und bei Zobels waren immer so leckere Bonbons. Für ein paar Pfennige kriegte man eine ganzes Tütchen voll, und holte man sich da eine neue Tafel, kriegte man einen feinen bunten Griffel dazu, und bei einem neuen Schreibheft ein paarf süße Bonbons. Ob der gute Robert, der immer gleich fidel war und mit den Schulkindern auf du und du stand, wohl ahnte, dass es mit so einem Schreibheft wohl eine dumme Sache war? Wollte er es wohl im voraus wieder gut machen? – Der Lehrer konnte es ja nun einmal nicht lassen, mit seiner roten Tinte Striche zu machen – und, waren es derer dann viel in so einem Aufsatz - - - strich der Knüppel danach über den Buckel, ja!
Ein bißchen oberhalb Zobels wohnten Held und Steffen sich gegenüber.
Bis zu den Kotten verlief eine Hecke. Die Schulkinder, die unten vom Hunschet kamen, mußten durch die Felder, da pfiff Wintertags der Wind nicht schlecht. Da lief man dann darauf zu, dass man oben zwischen die Hecken kam zu dem „Pottöwken“, wie man sagte. Da packte der Wind nicht, und es wurde eine kleine Pause gemacht. Malchen Steffen schaute öfter durch das Fenster, sie wußte garnicht, warum die Schulkinder da immer stehenblieben. Von Helds gingen jahrelang drei, vier zur Schule und Ludwig Steffen seine, und gegenüber Malchen Steffen ihre Trabanten und Helds ihr Trüppchen. Das war ein ganzer Korb voll, da musste die Schule schon ein paar Bänke freihalten.
Peter Helling kannte auch jedes Kind, er ging am Stock immer zum Luftschacht, und halbswegs wußte man wie spät es war, wenn er kam. Von der anderen Seite der Schule, die Schnäppenbeck runter, wohnten Strötes. Ihr Land ging das Tal hinunter bis an das Roßkother Wäldchen. Die Schüler strichen gerne am Backhäuschen vorbei und liefen dann in das Wäldchen. Kattrin Strötes wollte das aber nicht haben, immer fremde Kinder durch den Hof laufen, und was vertrampelten die das Land, Kattrin war schlau, sie machte den Kindern Angst.
„Im Büschken wäre ein Kerl, der ungeborene Gerd, unten vom Dickswall, sie sollen aber ja nicht daher laufen, der lief hinter den Kindern her und wollte sie kriegen“, erzählte sie den Kindern. „Ein Kerl im Wäldchen?!“ Junge, den Kindern stiegen die Haare zu Berge, sie machten, dass sie heimkamn und erzählten, dass ein Mann im Wäldchen saß, Strötes Tante hatte ihn gesehen.Samstags hatte die ein oder andere Mutter ihre Last, die Blagen wollten den Weckteig nicht zu Strötes zum Backen bringen. Kattrin hatte nun Ruhe, die Schulkinder liefen nicht mehr zum Wäldchen.
Noch weiter herunter auf die Rosendelle zu, war Willbrands Häuschen, da standen dicke Speckbirnbäume vor der Tür, und im Herbst, wenn das Obst zu reifen begann, bekamen die Schulkinder ihr Teil davon mit.
Wie überall auf dem Land, waren viele Familien in der Schneppenbeck verwandt. „Die gehen uns was an“ hieß es. Aber die Kinder konnten so eine Verwandtschaft noch nicht auseinanderhalten. Da saßen auch mal unten bei Uhlenbruck ein paar kleine Mädchen oben vom Hunschet im Grashof (bei Vaters Vetter), als ein großes Mädchen vorbei kommt, das durch Helwegs Hof zur Bahn will. „Anna, weißt du, wer das ist?“ „Nein, wer denn?“ „Das Mädchen da, das ist Vaters Onkel“, sagt Mariechen. Sie hatte was läuten hören und kannte das Mädchen. Es war die Tochter von Vaters anderem Vetter. Heute halten die Leute die Verwandtschaft so weit nicht mehr nach.
Bus Männen, getauft war er Hermann Höffchen, wohnte auf dem Hunschet, er war Musiker und spielte in einer Kapelle mit. Sommertags saß er draußen vor der Tür mit seinem Horn, da fing er auch mal an zu blasen (es war weit hin zu hören!). Bei seinem Nachbarn Herkrath war die Ziege im Grashof Weide), als sie dasTuten hört, kriegt sie es mit der Angst zu tun, wirft den Kopf in den Nacken, stellt sich auf die Hinterbeine und will ausreißen. Das war eine verrückte Sache, die Sprünge der Ziege!
Als sie hinterher gemolken werden sollte, stieß sie die Milch um und wollte wieder fort. Da hat Mutter Herkrath geschimpft, dass er ihr mit der Tuterei die Ziege wild gemacht hat.
Das alte Margritschen in der Schneppenbeck war bis in ihr hohes Alter, 89 Jahre, noch rüstig, sie hatte ein Dutzend Kinder. Mit 84 Jahren kletterte sie noch auf die Milchkarre und brachte Gemüse aus dem Garten nach Essen, nach „Neu-Berlin“ wie es damals hieß.
So könnte man noch viel von alten Schnäppenbecker Leuten erzählen, nicht mehr viele davon leben noch; wie überall, hat auch hier die Zeit alles umgekrempelt, und wer vor dreißig, vierzig Jahren auf Klumpen zur Schneppenbecker Schule ging, und nachher noch vom Leben in der Welt herumgeworfen wurde, der wird sich wundern, wie es heute in der Schneppenbeck aussieht.

Autor:

Franz Bertram Firla aus Mülheim an der Ruhr

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