Justinus Kerner und der unselige Traum vom Fliegen-1845

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Der Maultrommelspieler, Dichter und Seher Justinus Kerner hat 1845 ein Gedicht in einer schwäbischen Zeitung veröffentlicht, über das nicht nur seine Mitschwaben, sondern sogar ein Schweizer den Kopf schüttelte, nämlich Gottfried Keller.
Er schrieb im Folgejahr im gleichen Rhythmus eine zukunftsoptimistische Replik nach dem Motto „Wird alles nicht so schlimm werden.“

Heute müssen wir leider Kerner Recht geben, der sogar voraussah, dass Flugzeuge hin und wieder Kerosin ablassen, wenn man sein „Öl“ so deuten mag. Er sah bereits den Schiffsverkehr (Britannia) als Gütertransport unter den Himmel verlegt. Dass aber gleichzeitig so viele Menschen hin- und herfliegen, konnte er sich vielleicht noch nicht vorstellen.

Ein anderer Titel des Gedichts lautet „Im Grase“, was ja die Situation des Visionärs klarstellt, der in die blaue Stille schaut und sich gleichzeitig um diese fürchtet.

Hundert Jahre vor dem Beginn der Geschichte der Luftfracht (Cargo) ahnt der Umweltverschmutzungsvisionär Kerner bereits die Folgen der Luftfahrt, die erst 1891 mit maximalen Flugweiten von 25 Metern beginnen sollte: Otto Lilienthal.

Justinus Kerner: Unter dem Himmel

Morgenblatt 1845

Lasst mich in Gras und Blumen liegen
Und schaun dem blauen Himmel zu,
Wie goldne Wolken ihn durchfliegen,
In ihm ein Falke kreist in Ruh'.

Die blaue Stille stört dort oben
Kein Dampfer und kein Segelschiff,
Nicht Menschentritt, nicht Pferdetoben,
Nicht des Dampfwagens wilder Pfiff.

Lasst satt mich schaun in dieser Klarheit,
In diesem stillen, sel'gen Raum:
Denn bald könnt' werden ja zur Wahrheit
Das Fliegen, der unsel'ge Traum.

Dann flieht der Vogel aus den Lüften,
Wie aus dem Rhein der Salmen schon,
Und wo einst singend Lerchen schifften,
Schifft grämlich stumm Britannias Sohn.

Schau' ich zum Himmel, zu gewahren,
Warum's so plötzlich dunkel sei,
Erblick' ich einen Zug von Waren,
Der an der Sonne schifft vorbei.

Fühl' Regen ich beim Sonnenscheine,
Such' nach dem Regenbogen keck,
Ist es nicht Wasser, wie ich meine,
Wurd' in der Luft ein Ölfass leck.

Satt lasst mich schaun vom Erdgetümmel
Zum Himmel, eh' es ist zu spät,
Wann, wie vom Erdball, so vom Himmel
Die Poesie still trauernd geht.

Verzeiht dies Lied des Dichters Grolle,
Träumt er von solchem Himmelsgraus,
Er, den die Zeit, die dampfestolle,
Schliesst von der Erde lieblos aus.

Man beachte bitte meine kongeniale Vertonung...

Gottfried Keller 1846 als Antwort auf Kerners „Unter dem Himmel“:

Dein Lied ist rührend, edler Sänger!
Doch zürne dem Genossen nicht,
Wird ihm darob das Herz nicht bänger,
Das, Dir erwidernd, also spricht:

Die Poesie ist angeboren,
Und sie erkennt kein Dort und Hier;
Ja, ging' die Seele mir verloren,
Sie führ' zur Hölle selbst mit mir.

Inzwischen sieht's auf dieser Erde
Noch lange nicht so graulich aus;
Und manchmal scheint mir, Gottes: Werde!
Ertön' erst recht dem «Dichterhaus.»

Schon schafft der Geist sich Sturmesschwingen
Und spannt Eliaswagen an –
Willst träumend Du im Grase singen,
Wer hindert Dich, Poet, daran?

Ich grüße Dich im Schäferkleide,
Herfahrend, – doch mein Feuerdrach'
Trägt mich vorbei, die dunkle Haide
Und Deine Geister schaun uns nach!

Was Deine alten Pergamente
Von tollem Zauber kund Dir thun,
Das seh' ich durch die Elemente,
In Geistes Dienst, verwirklicht nun.

Ich seh' sie keuchend sprühn und glühen,
Stahlschimmernd bauen Land und Stadt:
Indeß das Menschenkind zu blühen
Und singen wieder Muße hat.

Und wenn vielleicht, nach fünfzig Jahren,
Ein Luftschiff voller Griechenwein
Durch's Morgenroth käm' hergefahren –
Wer möchte da nicht Fährmann sein?

Dann bög' ich mich, ein sel'ger Zecher,
Wol über Bord, von Kränzen schwer,
Und gösse langsam meinen Becher
Hinab in das verlassne Meer!

G. K.

Autor:

Franz Bertram Firla aus Mülheim an der Ruhr

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