Futurina's Erinnerungen

Eine ganze Weile lang konnte Futurina von der Leichtigkeit und Befreiung zehren. Sie nahm sich und die Signale ihres Körpers wahr und sorgte gut für sich. Die Selbstfürsorge wurde endlich einmal gross geschrieben und beachtet. Denn ging es dem Körper gut, dann auch konnte ihre Seele davon zehren.
Auch nutzte sie ihr Potential und erschuf vieles Neues für ihr Leben. Sie wollte sich nun wichtig nehmen und zu dem stehen was sie konnte. Auch wollte sie endlich ihren Namen zu den ihren machen, denn bislang gab er ihr nicht wirklich viel und schon gar nichts Gutes.
Sie erschuf neue Werke, bekam Lob, Anerkennung und Zuspruch, wenn nötig auch Trost und Sicherheit. So lebte sie lange Zeit mit vielen guten Gefühlen und Gedanken.

Dann aber sollte es für Futurina noch einmal sehr schwer werden.
Durch ihren Mut, mit all den Menschen abzurechnen, die ihr nichts gutes getan hatten, kamen mit der Zeit üble Erinnerungen an die Oberfläche. Diese Erinnerungen verfolgten sie über einen langen Zeitraum, in der Nacht wie auch am Tage. Und sie wusste sich nicht davon zu befreien oder gar zu erholen. Die Erinnerungen waren so heftig und liessen keinerlei Erholung oder Distanz zu. Sie waren einfach zu schwer beladen mit Gewalt, Druck, Aggressionen und Angst...psychisch wie auch pysisch.
Wie sollte sie sich nur daraus befreien?
Futurina fand keine Lösung für dieses Problem.

Je länger es anhielt, desto dünnhäutiger und erschöpfter wurde sie, auch die Selbstfürsorge blieb wieder einmal auf der Strecke. Der Körper wurde nicht mit dem versorgt was er dringend brauchte und somit hatten es die schrecklichen Bilder um so leichter, die Macht über Futurina zu erlangen.
Auch in der Nacht fand sie keine Ruhe. Die Nächte waren sehr anstrengend und immer wieder musste sie kämpfen und sich gegen Unrecht wehren. Jeden Morgen fühlte sie sich in keinster Weise erholt oder ausgeruht.
Die Erinnerungen an diese schlimme frühe Zeit machten ihr deutlich, dass sie nie wirklich Sicherheiten hatte, auch das Bett welches eigentlich Erholung und Ruhe bieten sollte war nie sicher für sie. Immer wieder musste sie damit rechnen, das entweder jemand zu ihr kam und Hand an sie legte, oder aber sie wurde in der Nacht mit Gebrüll und wutverzerrten Gesicht aus dem Bett gezerrt. Kam es dazu, dann war zu diesem Zeitpunkt die Nacht für sie vorbei, und den Rest der Nacht musste sie arbeiten, Beschimpfungen und Erniedrigungen erleiden und durfte nicht mehr schlafen gehen.
Hier wurde ihr auch wieder bewusst warum sie über einen langen Zeitraum mit wenig Schlaf auskam. Denn immer wieder gab es Situationen und Nächte, in denen sie nicht schlafen durfte oder konnte.

Einen grossen Teil der Erinnerungen konnte sie ja schon auslöschen, doch nun kam es noch einmal sehr heftig über sie.
Es ging nun bei den Erinnerungen um ihre Mütter, also um die Menschen, die es eigentlich gut mit ihr meinen sollten. Vor allem ging es aber um die, die ihr nach so viel Unsicherheit eigentlich Sicherheit und Schutz geben sollten. Die sie stark machen sollten für das Leben. Doch das war weit gefehlt. Futurina war verschüchtert aufgrund ihrer Vergangenheit, und nun erntete sie Gewalt und Druck. Das trug nicht gerade dazu bei, dass sie sich für wertvoll und gut ansah.
Durch die Erinnerungen fand sich Futurina wieder in diese Zeit zurück versetzt und konnte dieser Zeit nicht entfliehen.
Auch wenn sie sich bemühte sich klar zu machen, dass es eine frühere Zeit war, und dass ihr so etwas in dieser Form nicht wieder geschehen würde, so entkam sie den Bildern der Vergangenheit nicht. Es ging so weit, dass sie sich nicht mehr allein fühlte, sondern ihre Mutter nahm so viel Raum ein, dass sie das Gefühl hatte sie säße neben ihr und permanent hörte sie ihre Stimme, die vor Wut zitterte.
Das machte ihr grosse Angst, denn nun fühlte sie sich nirgends mehr sicher, denn überall tauchte wieder die Mutter auf.

Was musste Futurina noch alles erleiden?
Sie versuchte sich an gute Begebenheiten in ihrer Kindheit zu erinnern, doch ihr wollten keine in den Sinn kommen.
Immer tauchten nur Bilder auf, die mit Gewalt und Tod zu tun hatten.
Nun fragt man sich sicher warum denn der Tod immer wieder auftauchte. Da gibt es eine ganz einfache Erklärung.
Schon in jungen Jahren musste Futurina erfahren, was es heisst so krank zu werden, das man stirbt und trotz aller Bemühungen nicht die Krankheit besiegen kann.
Nein, nicht Futurina selbst erkrankte, sondern eine Freundin ihrer Mutter. Sie litt sehr unter dieser Krankheit und Futurina musste sie immer trösten und auch begleiten wenn die Freundin besucht wurde. Mit Futurina aber wurde nie über die Krankheit oder den Tod geredet, auch nicht darüber was das Erleben der Krankheitsphasen mit ihr machte. Sie musste nur stark sein und die Mutter stützen.
Doch war das die Aufgabe eines Kindes?
Gehört es wirklich zu den Pflichten des Kindes, die Mutter zu stützen und zu trösten?
Oder sollte es nicht umgekehrt sein?
Dann kam der Tag, an dem die Freundin verstarb....und Futurina musste wieder Verständnis und Trost für die Mutter und ihre Launen aufbringen.
Futurina versuchte der Mutter alles recht zu machen und ihr vieles abzunehmen, damit sie nicht mehr so traurig war. Doch wer fragte einmal nach wie es Futurina mit dem Tod erging?
Sie war noch viel zu jung, um allein damit zurecht zu kommen. Doch das sah keiner. Und niemand fand, dass es vielleicht zu viel für sie war einen Menschen sterben zu sehen.

Ein anderes Mal, als es auch wieder um den Tod ging, da war Futurina auch noch sehr jung, und wieder musste sie stark sein und wieder wurde nicht mit ihr darüber geredet. Futurina musste mit diesem schweren und traurigen Thema ganz allein umgehen. Doch eigentlich war sie noch viel zu jung dafür.
Eines Nachts gab es einen Suizidversuch der Mutter. Sie fand das Leben zu schwer und wollte gehen, obwohl sie vier Kinder im Haus hatte. Nachdem sie ausreichend Alkohol getrunken hatte und dann allerlei Tabletten genommen hatte, da rief sie aber im letzten Moment noch eine Freundin an und dann brach sie zusammen.
Diese Freundin alarmierte den Notarzt, bestellte ein Taxi und kam zu Futurina’s Haus.
Ein Bruder wurde aufgeweckt und ihm wurde aufgetragen, dass er am Morgen Futurina den Auftrag erteilte Kleidung ins Krankenhaus zu bringen. Das Krankenhaus war in der Kreisstadt, in der Futurina auch die Schule besuchte.
Als Futurina am Morgen aufstand erfuhr sie also dass die Mutter im Krankenhaus sei und sie vor der Schule eine Tasche dorthin bringen sollte. Also packte sie ein paar Sachen für die Mutter zusammen. Das war gar nicht so einfach, denn was benötigt man alles im Krankenhaus, und wie lang wird sie dort bleiben müssen? Ausserdem war auch wieder Angst da etwas falsches einzupacken....

Am Krankenhaus angekommen erkundigte Futurina sich an der Pforte nach der Mutter. Und dann kam der Schreck...ihre Mutter sei nicht dort im Krankenhaus, sie sei nicht auf der Liste zu finden. Futurina sagte dass sie in der Nacht eingeliefert worden sei. Daraufhin wurde sie zur Intensivstation geschickt.
Intensivstation? Die kannte sie noch von der kranken und verstorbenen Freundin der Mutter, hiess dass, das auch die Mutter sterben wird?
Dort angekommen musste sie klingeln und als eine Krankenschwester öffnete fragte Futurina nach ihrer Mutter. Sie musste einen Kittel anziehen und auch einen Mundschutz, das machte ihr wirklich grosse Angst.
Als sie dann in das Zimmer kam erschrak Futurina unheimlich. Da lag die Mutter, die ihr sonst solche Angst machte, an Schläuchen und Apparaten und war so sehr blass. Futurina kämpfte mit den Tränen, nur nicht weinen, keine Schwäche zeigen, sie musste jetzt ganz stark sein, für die Mutter und die Brüder, also bloss nicht weinen, denn weinen ist verboten. Das Motto lautete schliesslich...immer hart sein, immer stark sein und niemals Schwäche zeigen.
Ja, da lag die sonst so starke und dominante Frau und sah nur elend und klein aus.
Futurina ging so vieles durch den Kopf und sie machte sich weiterhin Sorgen, dass die Mutter noch sterben könnte. Andererseits war die Mutter noch nicht kräftig genug zu kontrollieren was Futurina mitgebracht hatte und somit konnte sie auch nicht mit ihr schimpfen.
Futurina machte sich dann auf zur Schule, denn sie sollte und wollte nicht zu spät kommen.
Doch in der Schule konnte sie sich gar nicht konzentrieren, denn sie war mit ihren Gedanken noch auf der Intensivstation.
Am nächsten Tag besuchte Futurina die Mutter wieder, und als sie zur Intensivstation kam und klingelte, da sagte die Schwester dass die Mutter nicht auf der Intensivstation sei.
Oh Schreck, was war passiert?
Ist sie doch noch gestorben?
Als die Schwester den Schrecken in Futurina’s Gesicht sah, beruhigte sie die Kleine und erklärte das sie eben auf ein anderes Zimmer verlegt worden sei.
Erleichtert begab sich Futurina zur Station und fand dort ihre Mutter und auch deren Freund. Sie lachten miteinander und planten gleich in ein nahe gelegenes Restaurant zum essen zu gehen. Futurina sollte direkt wieder nach Hause fahren.
Also gut, so machte Futurina sich auf den Weg zum Bus, doch der kam erst viel später und so wartete sie fast zwei Stunden und sah ihre Mutter mit dem Freund zum Restaurant gehen.
Das war ein ziemlich heftiges Erlebnis für die Kleine, doch auch nachdem die Mutter wieder zu Hause war, da hatte sie nie mit ihr darüber geredet. Und somit blieb Futurina allein mit den schweren Gedanken und der Angst um den Tod.

Die Tage nach dem Krankenhaus bemühte sich Futurina noch mehr die Mutter zu entlasten, und ihr zu helfen soviel und so gut sie nur konnte. Doch das reichte immer noch nicht aus.
Egal was Futurina auch tat, es war nie genug oder gut genug. Sie musste stattdessen erleben was es heisst unbändige Wut mit zu kriegen.
Kam Futurina einmal zu spät nach Hause, weil sie nach der Schule noch mit einer Freundin sprach und sich verabreden wollte, so wurde sie angeschrien und zur Rede gestellt sobald sie nach Hause kam. Und natürlich durfte sie sich nicht mit der Freundin treffen bevor sie ihre Aufgaben im Haus erledigt hatte und natürlich musste sie auch etwas für die Schule tun. Meist war es dann schon zu spät um noch zum spielen zu gehen.
Und war sie am Wochenende bei ihrer Freundin und erlebte dort ein harmonisches Familienleben, so konnte sie sich aber auch sehr sicher sein, dass dies zu Hause wieder zunichte gemacht wurde.
So war es auch oft, denn irgendetwas gab es immer an Futurina auszusetzen. Entweder hat sie ihre Pflichten nicht ordentlich genug ausgeführt oder aber ihr Zimmer war nicht ordentlich genug, oder sonstiges, und das natürlich aus der Sicht der Mutter.
Wenn dies eintrat, dann konnte Futurina sich sicher sein, dass sie angeschrien würde oder gar geschlagen, oder aber das ihr Gegenstände entgegen flogen, denen sie stets versuchte auszuweichen.
Durch diese Handlungen aber wurde die Angst in Futurina nur noch mehr geschürt. Sie hatte oft Angst nach Hause zu kommen, und sie überlegte den ganzen Heimweg lang, ob sie etwas vergessen hatte zu erledigen und ob es Grund gab, sie zu beschimpfen.
Meist war sie der Meinung das alles in Ordnung sein müsste, doch zu oft wurde sie eines besseren belehrt.
Sie konnte sich einfach nicht auf das kommende einstellen, denn sie wusste nie wie die Stimmung der Mutter war.
Das war sehr schwierig für Futurina, denn so hatte sie wirklich täglich Angst den Heimweg anzutreten.
Die Angst wurde so gross, dass wenn sie nach Hause kam und sich den Händen und Schlägen der Mutter ausgesetzt sah, da konnte sie nicht einmal mehr ihr Wasser halten. Das beschämte sie sehr, und bekam die Mutter es mit, so wurde diese nur noch wütender und schlug wie im Rausch weiter zu.
Futurina lag meist am Boden und gab keinen Laut von sich, sie versuchte nur ihr Gesicht zu schützen, denn sie wollte verhindern das man am nächsten Tag Spuren erkennen konnte.
Aber auch das Futurina alles still ertrug schürte die Wut weiter und Futurina konnte nur abwarten bis es vorbei war.
Auch wenn sie nach einer solchen Attacke in ihr Zimmer ging verlor sie keine Träne, aus Angst man würde es sehen und es würde noch einmal einen Grund zum schlagen geben.
Denn das hat sie schon früh erfahren müssen; weinte sie, dann gab es noch einen drauf, und so kam es das Futurina auch schon einmal mit einem blauen Auge herumlaufen musste. In der Schule wurde sie dafür gehänselt und sie musste sich eine gute Ausrede ausdenken woher das Veilchen stammte. Das sollte ihr aber nicht noch einmal passieren, die Scham war zu gross.

Immer wieder kam es zu Situationen, in denen Futurina unbändige Wut abbekam, und meist wusste sie nicht einmal warum sie diese nun mitbekam.
So verbrachte sie ein Wochenende bei einer Freundin, dort fühlte sie sich wirklich wohl, denn dort durfte sie Familienleben erleben. Doch das war ihrer Mutter auch ein Dorn im Auge, und immer wieder hänselte sie Futurina für diese Freundschaft.
Dass das aber sehr weh tat, das hatte sie nie gesehen. Genauso wenig wie die Angst. Selbst Freunde von Futurina hatten Angst vor deren Mutter.
An diesem einen Wochenende aber rief die Mutter bei der Freundin an und zitierte Futurina nach Hause. Da Futurina die Wut hörte und spürte fragte sie ihre Freundin, ob diese sie nach Hause begleitete. Das tat sie auch, doch als sie dort ankamen, da wurde die Mutter nur noch wütender weil Futurina nicht allein kam. Sie schickte die Freundin in Futurina’s Zimmer und zerrte Futurina mit zum Anlass der Wut. Da Futurina diese Wut dennoch nicht verstand und nachvollziehen konnte, da wurde die Mutter so rasend das sie auf Futurina einschlug, und als diese am Boden lag auch auf sie trat. Futurina versuchte sich so gut es ging gegen diese Tritte und Schläge zu schützen. Und da passierte es wieder...die Hose wurde nass...wie schrecklich...wenn das die Mutter mitbekäme...und dann auch noch die Freundin die im Zimmer auf sie wartete...Futurina wäre am liebsten gestorben...
Ja, das war das erste Mal, dass sie sich wünschte zu sterben.

Es gab noch so viele ähnliche Situationen in Futurina’s jungen Leben, und meist wusste sie nicht warum die Mutter so wütend auf sie war. Sie versuchte doch alles gut und ihr recht zu machen. Doch so sehr sie sich auch anstrengte, sie erreichte es nie, dass die Mutter einmal stolz auf sie war oder ihr Lob und Zuspruch zukommen liess.
Egal ob im Haushalt oder in der Schule, es gab immer einen Anlass zu Wutausbrüchen.
Futurina war immer ein sehr pünktliches Kind, im Gegensatz zu ihren Brüdern, doch selbst das gab der Mutter einen Anlass zur Wut. Sie warf Futurina allerlei vor, wie z. B. dass sie es absichtlich mache um sie zu ärgern...aber wieso sollte Futurina sie durch Pünktlichkeit verärgern?
Futurina verstand das alles nicht.
Warum nur wurde so mit ihr umgegangen?
Würde es immer so weiter gehen oder durfte sie auch einmal eine bessere Zeit erleben?
Vielleicht irgendwann einmal in ihrem Leben...

Immer und immer wieder musste sie sich auch anhören wie dumm und unfähig sie sei. Sie sei einfach zu dumm irgend etwas einmal richtig zu machen.
Verstand sie in der Schule etwas nicht und fragte zu Hause nach und bat um Hilfe, so wurde sie nur angeschrien und es wurde ihr gesagt, dass wenn sie das nicht könne dann sollte sie in der Schule besser aufpassen.
Aber was war, wenn sie in der Schule alles gab und dem Lehrer lauschte?
Es konnte doch nicht richtig sein, dass man immer alles sofort verstehen muss.
Aber warum wurde ihr das dann angekreidet?
Sie bemühte sich doch wirklich.
Doch auch damit fand Futurina sich ab und versuchte weiterhin alles allein zu schaffen.
Was blieb ihr auch anderes übrig?
Nur wie soll ein junger Mensch lernen an sich und seine Fähigkeiten zu glauben, wenn ihm immer wieder das Gegenteil gesagt wurde?

Futurina zog sich immer mehr in ihre eigene Welt zurück. Sie sprach kaum noch und kam gar nicht mehr aus sich heraus. Aus Angst sonst wieder etwas falsch zu machen und somit die Wut der Mutter zu schüren. Doch auch das war nicht richtig, und fortan hiess es, sie sei nicht nur dumm und unfähig, sondern auch bockig und verklemmt.
Hatte Futurina einmal eine Frage oder ein Problem, dann erntete sie Hohn, Spott oder Wut. Es war wirklich ein Teufelskreis in dem sie sich befand, immer musste sie auf der Hut sein und achtsam nach aussen hin, so dass sie nicht mehr achtsam sich gegenüber war. Denn wenn sie es war, dann wurde sie als egoistisch hingestellt, und war sie unachtsam, dann konnte aus dem Nichts heraus unbändige Wut auf sie einstürmen.
Also wurde sie nach aussen hart und innen verschlossen. Nichts und niemand durfte etwas von ihr mitbekommen, damit sie nicht weiter angreifbar wurde.

Da Futurina das älteste Kind in der Familie war, wurde sie mit vielen Aufgaben betreut. Wurden diese Aufgaben oder die Aufgaben der Geschwister nicht ordnungsgemäss geleistet wurde Futurina zur Verantwortung gezogen.
War die Mutter aus dem Haus, was recht häufig war, dann war Futurina für alles verantwortlich. Alles was die Mutter ungern tat, das musste Futurina übernehmen. Sei es Wäsche waschen oder bügeln oder auch Fenster putzen.
Natürlich konnte sie all das nicht zu Beginn zur vollen Zufriedenheit der Mutter erledigen, doch dann musste sie beispielsweise ein Fenster auch mehrfach putzen, so lange bis es ein gutes Ergebnis war. Und natürlich war sie währenddessen wüsten Beschimpfungen ausgesetzt, oder gar Schlägen.
Es konnte auch passieren, dass ihr plötzlich etwas entgegenflog, und da war es egal was der Mutter gerade in die Hände kam. Ging etwas dabei zu Bruch, dann bekam Futurina noch mehr Theater.
Futurina musste also permanent ihre Antennen und all ihre Sinne geschärft haben, um schlimmeres zu verhindern.
Das war auf Dauer sehr anstrengend und doch war es ihr ins Blut über gegangen. Sie war ganz mechanisch immer wachsam, wenn ihre Mutter in der Nähe war.

Stellten die Geschwister etwas an, oder gab es Streit, wie es bei Geschwistern nun einmal vorkommt, dann gab es richtig Theater. Und Futurina durfte so erfahren, dass sie ein Sargnagel für die Mutter war. Und sie würde unendlich froh sein, wenn Futurina erst einmal aus dem Haus sei. Die Mutter wollte dann täglich eine Kerze in der Kapelle anzünden zum Dank für ihre schwere Zeit mit Futurina.

Wenn man so auf Futurina’s Vergangenheit zurück schaut, dann wird deutlich aus welchen Gefühlen ihr Leben bisher bestand....aus Angst, Einsamkeit, Ekel, Scham, Schuld und Schmerzen. Alles negative Gefühle, mit denen sie umzugehen wusste und auch umgehen konnte. Und so entstand dann auch das Gefühl, dass sie nichts wert und unwichtig sei, denn wie sollte und konnte sie das Gegenteil glauben, wenn sie es doch niemals anders erfahren hatte.
Dass es nun anders sein sollte, das wollte und konnte Futurina kaum glauben, und damit umzugehen war auch viel schwerer, denn das musste sie neu lernen. Das alte und bekannte Muster, ja damit konnte sie gut leben, und es war so einfach damit, also warum sollte man es komplizierter machen und ändern?
Das alt Bekannte, damit konnte sie umgehen, darauf konnte sie sich einstellen, und sie war nie so verwirrt und verzweifelt wie heute, denn sie kannte die andere Seite ja gar nicht. Es war ja alles so normal für sie wie es war. Sie war ein Nichts, weniger als ein Tier, denn mit denen wurde besser umgegangen als mit Futurina. Bei Tieren wurde kontrolliert in welche Familie sie vermittelt werden und es finden auch weitere Besuche statt.
Doch was hat man in dem Fall Futurina getan?
Nichts, oder fast nichts. Stattdessen musste Futurina alles über sich ergehen lassen und zusehen dass sie allein zurecht kam.
Und so blieb es auch nicht aus, dass sie zur Einzelkämpferin wurde, sich immer hart und stark zeigte, und das besonders gegen sich.
Was hatte Futurina nur verbrochen?
Diese Frage stellte sie sich immer wieder.
War es denn ein Verbrechen das sie lebte?
Warum konnte und durfte sie nicht eine normale Kindheit erleben?
Ohne Gewalt und Übergriffe, stattdessen mit Wärme, Sicherheit und Zuspruch.
Und kann man bei all diesen Erlebnissen und Erinnerungen es Futurina verübeln, dass sie sich selbst nicht wertschätzen kann?
Und dass sie glaubt keine Berechtigung auf ein ganz normales Leben zu haben?

Autor:

Dagmar Hallerbach aus Mülheim an der Ruhr

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