EINE ERZIEHERIN ÜBER CORONA, HYGIENESTANDARDS UND ARMIN LASCHET
IN DER KITA GIBT ES KEINEN ABSTAND

Lisa Tosi* geht es nicht gut. Die sympathische Enddreißigerin ist enttäuscht von der Politik, besser gesagt von der Politik Armin Laschets. 
"Die Politik von Frau Merkel gefällt mir gut. Sie hat uns bisher mit Vorsicht und Besonnenheit gut durch die Krise geführt", sagt die Erzieherin und gleichzeitig Leiterin einer Kindertageseinrichtung in NRW. Die Politik von Herrn Laschet dagegen gefalle ihr gar nicht mehr. Es mache den Anschein, dass er alles tue, sobald die Wähler, zum Beispiel die Eltern von Kindergartenkindern, es fordern. 

Frau Tosi liebt ihren Beruf, ist mit Herzblut Erzieherin. Doch die letzten Monate haben ihr zugesetzt. 
"Als Erzieherin fühlt man sich nicht gut behandelt und verstanden. Völlig schutzlos haben wir in den vergangenen Wochen dafür gesorgt, dass unser System aufrecht erhalten wird. Und ab Montag werden wir dann ganz zum Abschuss freigegeben. Als Erzieherin habe ich momentan das Gefühl, der Politik als Mensch nichts wert zu sein."

Während unseres Gespräches bekommt Lisa Tosi einen Anruf von ihrem Vater. Nach dem Telefonat wirkt sie noch bedrückter. Ihre Eltern sehe sie nur noch ganz selten und wenn dann nur im Freien mit viel Abstand. Keine Umarmungen mehr, keine gemeinsam verbrachten Stunden mehr mit den gleichen Hobbys. 
Frau Tosi erklärt: "Ich habe große Angst davor andere Menschen, die ein erhöhtes Risiko haben, wie zum Beispiel meine Eltern, anzustecken."

Auf meine Frage, ob sie Angst habe, sich selbst zu infizieren, sagt die bescheidene Frau: "Etwas, aber ich bin fit und gesund. Somit hoffe ich natürlich, dass es für mich nicht schlimm wäre. Neben den Sorgen um meine Familie kommt die Angst um meine Arbeitskolleginnen hinzu. Da gibt es die ein oder andere mit Vorerkrankungen, die ab Montag wieder arbeiten kommt."

Lisa Tosi weiß natürlich auch wie wichtig andere Berufsgruppen während der Pandemie für unser Land sind." Zu Recht wurde viel über Prämien und Wertschätzung für Supermarktverkäufer und Pflegekräfte geredet, aber warum nie für die Erzieher/innen? Machen wir uns nichts vor. In der Kita gibt es keinen Abstand. Was die Landesregierung uns jetzt als Schutz verkaufen will, scheint mir völlig sinnfrei zu sein."

Viele Kinder hat sie wochenlang nicht gesehen, dennoch war ihre Einrichtung immer bemüht mit den Familien durch Telefonate, E-Mails und kleinen Aktionen in Kontakt zu bleiben. 

"Gerade nach so einer langen Pause wollen wir für die Kinder da sein. Meine Befürchtung ist aber, dass wir ab dem 08. Juni keine Bildungseinrichtung mehr sind, sondern eine Aufbewahrungsanstalt. 
Durch die Vorgaben zum Infektionsschutz wird die Pädagogik viel zu kurz kommen. Wir werden natürlich die vorgegebenen Hygienestandards so gut es geht erfüllen. Ich frage mich allerdings, wie dies funktionieren soll. Da wir die Gruppen strikt trennen sollen, können wir morgens und nachmittags keine Sammelgruppen bilden. Alle Gruppen müssen permanent mit zwei Mitarbeitern besetzt sein. Wir müssen mit jedem Kind bei dessen Ankunft ausgiebig die Hände waschen und ihm beim Umziehen helfen. Zudem soll jedes Kind zur Toilette begleitet werden. Alle Kontaktflächen und Spielmaterialien sind regelmäßig zu reinigen."

Fakt ist, es kommt eine Menge Belastung auf die Erzieher/innen zu. 
Personalmangel und Unterbesetzung gab es schon vor Corona. 
Jetzt aber fehlen Erzieher/innen aufgrund von Risikofaktoren, Urlaube kommen hinzu und sicher auch der ein oder andere Krankenschein. 
"Wenn ich es richtig verstanden habe, können die Träger nun irgendwelche Hilfskräfte einstellen, zum Beispiel auch Kita-Mütter. Hauptsache sie haben ein Führungszeugnis. Für meine Kita hat sich bisher niemand gefunden." 

Man fragt sich auch, ob das wirklich sinnvoll und so erleichternd für die Erzieher/innen ist. Zum einen wertet es den Beruf der Erzieher/innen ab. Demnächst kann jeder ohne pädagogische Ausbildung in die Kinderbetreuung einsteigen. Zum anderen wird sich zeigen, ob die Hilfskräfte wirklich Entlastung oder zusätzliche Belastung sind. 

Frau Tosi würde sich wünschen, dass Herr Laschet oder Herr Stamp mal persönlich in die Kita kommen und die Betreuung unterstützen. Einfach mal live vor Ort sein und sich angucken, was und unter welchen Bedingungen die Erzieher/innen täglich leisten, anstatt bei der Pressekonferenz ihre "One Man Show" abzuziehen. 

Die aufgeschlossene Kita-Leitung wird mit ihrem Team versuchen das Beste aus der Situation zu machen. 
Am wichtigsten ist doch, dass die Kinder und die Kita-Mitarbeiter gesund bleiben. 

* Name geändert

Autor:

Nina Benninghoff aus Oberhausen

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