Buch der Woche: Das Leben als lange Spätpubertät

Frank Goosens neuer Band „Raketenmänner“

Der Titel von Frank Goosens neuem Band, eine Mischung aus abgeschlossenen Erzählungen und Romanfragment, ist dem Song „Rocket Man“ von Elton John entlehnt, in dem es um Männer geht, die nicht das erreicht haben, was sie sich einst vorgestellt haben. Auf den Lebenswegen von Goosens „Raketenmännern“ hat es irgendwann eine Fehlzündung gegeben, und es ging von der Überholspur geradewegs auf den Standstreifen.

Der 47-jährige Autor hat es einst mit seinem langjährigen Partner Jochen Malmsheimer als kabarettistisches Tresenleser-Duo im Ruhrgebiet zu respektabler Popularität gebracht und fand erst relativ spät zur Literatur, startete dann aber mit seinem später erfolgreich verfilmten Romandebüt „Liegen lernen“ (2001) sofort richtig durch. Das Ruhrgebiet war für den waschechten Bochumer, seit einiger Zeit ist Goosen sogar Mitglied des Aufsichtsrates beim Fußball-Zweitligisten VfL, so etwas wie Köln für Heinrich Böll und Danzig für Günter Grass: Heimat und gleichzeitig Handlungsschauplatz der eigenen Werke.

Charme der Verlierer
Insofern heben sich die 17 Erzählungen des neuen Bandes, die durch wiederkehrende Figuren lose miteinander verbunden sind, ein wenig von den bisherigen Werken ab. Die Schauplätze liegen einige Male (explizit benannt) sogar außerhalb des Ruhrgebiets, und die neuen Geschichten leben diesmal weniger vom Lokalkolorit, sondern von der Authentizität und vom Charme, den die Figuren versprühen. Falls man im Reigen der vielfältig beschriebenen Verlierer überhaupt von Charme sprechen kann. Es sind zumeist Männer in den sogenannten besten Jahren, die auf unterschiedlichste Weise beruflich wie privat gescheitert sind und deren vermeintliche Weltoffenheit nicht selten in exponierte Spießigkeit umschlug, die sich als Personen in den mittleren Jahren an fragwürdigen Schönheitsidealen abarbeiten und eine seltsame Melange aus Nostalgie und Melancholie versprühen. „Für ihn war das Leben eine lange Spätpubertät“, heißt es durchaus programmatisch für das Gros der Goosen-Figuren.

Tragikomische "Normalos"
Ob der Journalist Kamerke, dem der letzte „Punch“ fehlt und dessen Date damit endet, dass er aus „Madame Bovary“ vorliest, ob die Protagonisten Wenzel, Frohnberg, Kobusch oder Sabolewski heißen: sie taugen alle als Musterbeispiele des tragikomischen „Normalos“. Sie rühren in ihrer Hilflosigkeit zu Tränen, ihre Lebenswege führten in Sackgassen, Partnerschaften und Arbeitsverhältnisse gingen zu Bruch. Was bleibt diesen bemitleidenswerten Goosen-Figuren in ihrer jämmerlichen Existenz? Der Wunsch, eine Frau zu betrügen, die diesbezüglich „vorgelegt“ hat oder eine verwegene Existenzgründung, ausgerechnet mit einem Schallplattenladen. Die gewählten Alternativen, die letzten Strohhalme, nach denen sie greifen, erweisen sich zumeist auch als Irrwege. „Früher hatten Männer keine Krise, sondern nur schlechte Laune“, bekannte Frank Goosen in einem Interview über seine gestrandeten Protagonisten, die er trotz all ihrer Marotten mit großer Sympathie behandelt.

Stil ist Geschmacksache
Nicht immer gelingt es dem Autor allerdings in seinen neuen Texten, die stilistische Balance zu halten. Er bewegt sich mit seinem derben Ruhrgebietshumor bisweilen haarscharf an der Gürtellinie des guten Geschmacks entlang: „Ich glaube, du kriegst Assauer“, heißt es in Anspielung auf den demenzkranken Ex-Manager von Schalke 04. Auch Goosens Metaphorik wirkt nicht immer zielsicher: „Das Jackett seines grauen Anzugs lastete ihm auf den Schultern wie Plutonium.“
Gäbe es diesen Frank Goosen mit all seinen Facetten nicht schon in der Realität, man wäre geneigt, den Autor selbst als Kunstfigur für einen modernen Ruhrgebietsroman erfinden zu wollen. Ein gebildeter „Ruhri“ zwischen Weltoffenheit und Bodenständigkeit, zwischen Melancholie und Selbstironie, zwischen Aschenplatz und Sitzplatztribüne – mit ausgeprägten Affinitäten zu Witz, Kalauer und Schlagfertigkeit.

Frank Goosen: Raketenmänner. Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2013, 233 Seiten, 18,99 Euro.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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