Interview mit Schiedsrichter Claas Steenebrügge über verändertes Klima und Videobeweis
Gewalt geht gar nicht

Schiedsrichter Claas Steenebrügge vom FC Neuruhrort. Foto: privat
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Claas Steenebrügge (39) ist seit 24 Jahren als Schiedsrichter aktiv, leitete Spiele bis zur 3. Liga. Heute ist er als Referee in der Westfalenliga und als Assistent in der Regionalliga auf dem Platz. Im Stadtspiegel-Interview gibt der Polizeibeamte, der Mitglied im FC Neuruhrort ist, Auskunft über seine Rolle als Schiedsrichter, über veränderte Umgangsformen und auch zum Thema Videobeweis im Profifußball.

In den letzten Monaten gab es immer wieder Berichte über zunehmende Gewalt auf Fußballplätzen. Wie sind deine Eindrücke? Hat sich das Klima verändert?
Ich kann das aus meiner Sicht nicht bestätigen. Die Berichte über die immer exzessiver werdende Gewalt gegenüber Schiedsrichtern habe ich auch nur aus der Presse. Der Respekt vor Regeln oder einem friedlichen Miteinander, bei dem der Sport im Mittelpunkt steht, geht immer weiter zurück. Ich bin aber froh, dass ich Gewalt gegenüber meiner Person oder meinen Assistenten noch nicht erleben musste, und hoffe, dass das auch so bleibt. Ich glaube, in einem solchen Fall würde ich sofort aufhören.

Wie kann man aus der Perspektive der Schiedsrichter präventiv und deeskalierend arbeiten? Ist das überhaupt noch möglich im Amateurfußball?
Ich finde, es steht und fällt mit dem eigenen Auftreten und der Kommunikation. Wenn man sich auf der Ebene nicht angreifbar macht, ist das die halbe Miete. Begibt man sich auf ein emotional aufgeheiztes Niveau, macht man sich selbst angreifbar. Ich lebe glücklicherweise davon, schon sehr lang Schiedsrichter zu sein. Daher kennen mich viele und wissen, wie ich ticke. Aber es ist ein schmaler Grat, wenn du jemandem gegenüberstehst, der sich mit einer Roten Karte in der Ehre gekränkt fühlt und das mit Gewalt beantwortet. Hier stoßen wir an unsere Grenzen und es sind andere Stellen gefordert. Insbesondere die Sportgerichtsbarkeiten, die zur Abschreckung harte Strafen aussprechen müssen.

Gab es für dich als Schiedsrichter ein besonderes Negativerlebnis?
Ich habe in einem Spiel einen Dialog mit einem Spieler gehabt, den es jedes Spiel mehrfach gibt. Der Spieler meckert, auch mal intensiver, es gibt einen Spruch zurück und im Anschluss ist alles vergessen. Das war hier anders, mir wurden die Worte im Mund umgedreht und Dinge vorgeworfen, die ich nie gesagt habe. Das führte am Ende sogar zu einem Polizeieinsatz, einer Anzeige wegen Körperverletzung und einem Artikel in der Bild. Hier hab ich mich hilflos gefühlt und war kurz davor hinzuwerfen, weil niemand die Aussage des Spielers in Frage gestellt hat und ich gar nicht erst befragt wurde. Die Sache wurde glücklicherweise eingestellt.

Wie würdest du selbst deinen Stil, Spiele zu leiten, beschreiben?
Ich würde mich als großzügiger, kommunikativer Spielleiter bezeichnen. Allerdings immer nur bis zu einer bestimmten Grenze, hier bin ich dann konsequent und lasse auch nicht mit mir verhandeln. Allerdings behaupte ich niemals von mir, fehlerfrei zu sein, und stelle auch gern nach dem Spiel meine Entscheidungen in Frage. Ich bin am Ende immer zufrieden, wenn man gemeinsam nach dem Spiel ein Bier trinken und entspannt nach Hause fahren kann. Es ist und bleibt ein Hobby, das Spaß machen muss. Tut es das nicht mehr, werde ich aufhören.

In der letzten Woche ist wieder viel über die Vorbildfunktion der bekannten Profi-Trainer diskutiert worden und in diesem Zusammenhang auch über die Einführung der Gelben und Roten Karten gegen die Coaches. Wie stehst du dazu?
Ich finde die Entscheidung, Trainer und Offizielle zu verwarnen, absolut richtig. So wird Fehlverhalten auch nach außen sichtbar dokumentiert und bei mehrfachen Aktionen sanktioniert. Es gibt immer wieder Kandidaten, die mehrfach negativ auf sich aufmerksam machen. Zuvor hatte man nur das Mittel des Innenraumverweises, jetzt kann man mit der Gelben Karte zunächst ein Signal setzen. Dann versteht auch jeder, wenn es im Anschluss Rot gibt.

Fußball lebt auch von Emotionen, auf dem Feld und auch auf den Rängen. Wo sind für dich Grenzen erreicht? Was sind absolute No-Gos?

Hier sind klar Gewalt und Diskriminierung zu nennen. Da hört auch bei mir die Kompromissbereitschaft auf und Vorkommnisse werden konsequent geahndet.

Im Profifußball erlebt man nach der Einführung des Videobeweises eine zunehmende „Diskutierfreudigkeit“ auf dem Platz. Ist der Videobeweis Fluch oder Segen für den Fußball?
Ich finde den Videobeweis grundsätzlich eine gute Sache, das Problem ist die Anwendung. Hier werden Szenen zu oft zu unterschiedlich bewertet. Bei der WM in Russland gab es komischerweise kaum Diskussionen, weil die Eingriffe klar geregelt waren und alle sich daran gehalten haben. In der Bundesliga und auch seit diesem Jahr in der 2. Liga ist es zu oft unklar, wann Köln sich meldet und warum. Manchmal erwartet man es und es passiert nichts, in anderen Fällen werden Szenen angeschaut, die keinem auffallen. Hier ist noch Potential, denke ich.

Läuft man nicht Gefahr, den Fußball durch die Einführung von immer mehr Technik für den Stadionbesucher immer unattraktiver zu machen, weil Entscheidungen nicht nachvollziehbar sind?
Absolut, die langen Wartezeiten, bis eine Entscheidung getroffen wird, nerven. Man freut sich, man jubelt, um dann wieder verunsichert zu werden. Das hat dem Fußball ein Stück Unbeschwertheit genommen. Ich glaube, hier wäre weniger mehr. Grundsätzlich muss es ja im Interesse jedes Fans sein, dass Entscheidungen gerecht sind. Ohne Videobeweis wurde über die Entscheidungen gemeckert, mit passiert das Gleiche. Dem Fan ist es aber, glaube ich, grundsätzlich schwer recht zu machen.

Zum Abschluss – was macht für dich nach so vielen Jahren immer noch den Reiz der „Schiedsrichterei“ aus?

Es ist die Arbeit im Team, gemeinsam mit meinen Kollegen Entscheidungen zu treffen, einen Sport zu begleiten, den Millionen von Fans anschauen, und Teil davon zu sein. Für mich kommt dazu, meine Erfahrung auch an jüngere Schiedsrichter weiterzugeben und diese voranzubringen. Für mich ist es toll, als Schiedsrichter-Assistent bei Leuten zu sein, die vor zehn Jahren bei mir waren, und deren Entwicklung zu begleiten. Letztlich ist es auch mein Sport, ich bewege mich und bleibe fit.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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