Tage wie keine anderen

Jürgen Frömmel im Partnertraining
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Wohl wissend, welche Strapazen und Herausforderungen uns erwarten würden, begab ich mich am 29. Juli, mit 11 Karateka des Shotokan Wesel e.V. auf den Weg zum weltgrößten Karate-Sommerlager (Gasshuku) im schönen Konstanz am Bodensee.
Ca. 1400 Sportler(innen) aus dem In-und Ausland vereinnahmten das Umfeld der am Rhein liegenden Schänzlehalle bis einschließlich 04.August als Treffpunkt der internationalen Karateszene, mit bisher unerreichter Ausweitung. Hunderte Zelte, Wohnwagen und Caravans säumten nicht nur das unmittelbare Rheinufer mit anliegendem Sportplatz, auch die vierspurige Flussbrücke bot für diesen Zeitraum den Campingfreunden willkommene Unterstellplätze. Andere belegten, Monate zuvor gebuchte Ferienwohnungen und Hotelzimmer aufs Letzte.

Europas Chefausbilder, Shihan Ochi (8. Dan Bottrop) bewältigte diese, nur selten erreichte Teilnehmerzahl, mit vier weiteren hoch qualifizierten japanischen Instruktoren, sowie sieben heimischen Spitzentrainern aus Deutschland.
Obgleich die vierfach Schänzle-Sporthalle über reichlich Kapazität verfügte, hatte ein Teil der gesamt 15, nach Schüler- und Meistergraden aufgeteilten Gruppen, auf eine unweit gelegene Nebensporthalle auszuweichen, in welcher ebenfalls dreimal täglich von 7.00 bis 18.00 Uhr, dem Geist des Karate begegnet wurde.

Die technische Bandbreite der angebotenen 14 Trainingseinheiten erstreckte sich von „einfachen“ Grundstellungen, über Block- und Fausttechniken, Trittkombinationen, sämtlichen Partner-Übungsformen und höchsten Kataläufen, bis hin zum freien Kampf. Anzahl und Umfang der im Stand, vorwärts, rückwärts, seitwärts, im Sprung oder im Kumite (Freikampf) abgeleisteten Techniken, ließen alle Aktiven, immer und immer wieder, ihre persönliche Leistungsgrenze deutlich erkennen.
Und dieses, Training für Training!
Interessant wäre gewesen, den Sauerstoffgehalt der Hallenluft, nach einem anderthalb stündlichen Training mit ca. 400 Teilnehmern zu messen. Auch eine weit aufgesperrte Notausgangstür, spendete der aktiven, sowie nachfolgenden Gruppe, zu diesem Zeitpunkt nur wenig Trost.
Aber wir traten hier ja nicht an um Urlaub zu machen! Vielmehr sollte die Überwindung des „Inneren Schweinehundes“ mit neuen Erkenntnissen in aller Tiefe verschmelzen.
Dieser Herausforderung begegneten alle Weseler Karateka und darauf bin ich als Trainer mächtig stolz, mit einer respektvollen Verbeugung und einem lautem „OSS!“, dem Grußwort japanischer Kampfkünste.

Würde man die untereinander ausgetauschten „Gedanken und Gefühlswelten“ einzelner Karateka in einem Tagebuch zusammenfassen, wäre wahrscheinlich folgendes zu erfahren.

29.07., Tag X -1: 610 km Anreise von Wesel nach Konstanz. Zelte und Wohnmobile in Position gebracht, eingerichtet, Infomaterial der Umgebung und Trainingszeiten besorgt. Kollektive Euphorie und Freude auf die
bevorstehende Woche nahmen uns ein. Im Großzelt ein Bierchen getrunken, Leute begrüßt.
Alles ist OK!
Tag 1: 6.00 Uhr Wecken! Morgentoilette, gemeinsame Vorbereitung aufs Geschehen, ab 7.00 Uhr, dreimal Training. Abends zum Treffpunkt ins Großzelt, Bierchen getrunken.
Alles ist OK!
Tag 2: 6.00 Uhr Wecken! Irgendetwas fühlt sich anders an. Die Beine? Egal!
Ab 7.00 Uhr, dreimal Training. Abends Campingessen mit Fachgespräche, 100m Spaziergang zum Großzelt, Bierchen getrunken, 100m zurück und schlafen gelegt. Es sind die Beine!
Ob alles OK ist? Weiß ich nicht!
Tag 3: 6.00 Uhr Wecken! Heute ist Halbzeit, nur 2x Training! Super! Alles fühlt sich deutlich anders an als gestern. Nacken, Schultern, Arme, Bauch, und Rücken schmerzen, die Beine sowieso! Egal, wird schon gehen! Ab 7.00 Uhr zweimal Training. Mit zunehmend brennenden Oberschenkeln und qualmenden Füßen, meldet sich der „Innere Schweinehund“! Was mache ich hier überhaupt? Ich muss doch bescheuert sein! Morgen setze ich einmal aus! Fällt doch gar nicht auf, wenn einer nicht da ist. Nachmittags, Sauna, schwimmen im Rhein, sonst nichts tun. Abends essen und trinken am eigenen Zelt. Kein Bock 100m zu laufen. Noch zweii Tage! Nichts ist OK!
Tag 4: 6.00 Uhr Wecken! Wurde ich Opfer einer „Kinderlähmung“? Nichts geht mehr! Guuute Ausrede, kann mich nicht mehr bewegen, ich setze aus! Was machen denn die anderen, wie fühlen die sich? Wenn ich
jetzt jedoch, als einziger liegen bleibe, habe ich einen Stempel weniger in meiner Trainingskarte und alle würden mich als „Flasche oder so“ titulieren. Das geht gar nicht! Oder? Sollen sie doch sagen, was sie wollen. Ich bin gelähmt! Meine Mitstreiter machen sich indes durch lautes Rufen bemerkbar. „Wo bleibst du? Noch 10 Minuten!“ Hätte ich doch nur Schule! Also gut, heute noch einmal um sieben, aber morgen nicht! Gleiche Gedanken kommen zwischen den Einheiten auf, aber es wird durchgezogen. Der Schmerz lässt nach, Stolz kommt auf. Gut dass ich nicht ausgesetzt habe. Geht doch!
Abends, Besuch des Ländervergleichskampfes, Tschechische Republik – Deutschland, wir gewannen mit 2:10. Punkten. Das war super! Nur zuschauen, nicht bewegen. Danach gemeinsames Vereinsessen mit Burgern, Steaks und netten Gesprächen in der Innenstadt.
3 km Heimweg bis zum Zelt, heftiger Regen, alles wurde nass!
Nichts ist wirklich gut, aber alles ist OK!
Denn morgen ist der letzte Tag.
Tag 5: 6.00 Uhr Wecken! Ich glaube, ich bin aus Stahl, scheinbar unbeweglich, dennoch irgendwie biegsam und zudem, „schmerzunempfindlich“. Auf geht es zur letzten Runde. Heute Abend Party und morgen zurück nach Wesel, es sind ja „PPP-Tage“. Mit dem Erreichen meiner aufrechten Körperhaltung wich jedoch schlagartig meine Selbstsuggestion. Ich stelle fest, ich bin aus Holz, edlem, aber sehr altem Holz! Egal!
Bushido ist halt der Weg des Kriegers und des Ertragens! Auf geht`s, die anderen werden sich auch nicht besser fühlen. Geteiltes Leid ist halbes Leid!
Ab 7.00 Uhr, dreimal Training. Kann kommen was will, heute ziehe ich durch, denn ich bin der Größte! Leider waren diese Schmerz verdrängenden, wohl Endorphin gesteuerten Emotionen nicht von anhaltender Stärke und schon gar nicht hielten sie den letzten 240 Min. im Ganzen stand. Zwischenzeitlich auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt, erkenne ich, dass jeder hier seine eigene Olympiade bestreitet und zwar zur selben Zeit dieser und so gut es irgendwie geht. Deshalb liebe ich diese Gemeinschaft! Nach dem letzten Training machen sich Stolz und Leere gleichermaßen breit. Ist schon alles vorbei? War das, das Gasshuku 2012? In einer Flut von Glücksgefühlen kam kurzzeitig der Gedanke auf, dass es hätte ruhig mehr sein dürfen. Denkste! Das hat gereicht! Was mache ich nur morgen ohne Karate? Ach ja, PPP-Tage, ob ich da wohl hingehe?
Werde nach voraussichtlich 7 Std. Autofahrt froh sein, die inzwischen angenommene Form des Fahrersitzes verlassen zu können.
Im nächsten Jahr bin ich jedenfalls wieder dabei und stelle mir keine unnötigen Fragen mehr!
Oder?

So oder ähnlich, ließen sich die Gedanken bzw. Empfindungen einzelner Karate-Akteure zusammenfassend beschreiben und sicherlich beliebig ergänzen. Man könnte noch die Millionen von Mücken erwähnen, die deutliche Spuren in Form von dicken hässlichen Beulen, an sonst sehr ansehnlichen Stellen unserer weiblichen Karateka hinterließen. Auch permanentes Aufstechen und Verpflastern von Wasser- und Blutblasen an den Füßen könnte ein weiteres Thema sein.
Ich möchte hier jedoch meine Eindrücke vom 40. Gasshuku schließen.

Dafür, dass die Weseler Vereinsfarben (Tiger), des Shotokan Karate Wesel e.V. würdevoll vertreten wurden, möchte ich mich als 1. Vorsitzender recht herzlich bei Beate u. Maren Kolb, Anja Maibach, Anne Bucher, Janine Müller, Hannah u. Thomas Grüttgen, Marc Pollmann, Jürgen Frömmel, Gert u. Torsten Kolb, sowie Christoph Hospital, der zudem am letzten Tag seine 4. Kyu Prüfung bestand, bedanken.
Es war ne super Woche mit euch!

Wer mit dem Gedanken spielt, im kleinen, familiären und einfühlsamen Kreis, ins Karate reinzuschnuppern, ist immer herzlich willkommen. Sporthalle der Hansaringschule Wesel, Rheintorstraße,
Mo. ab 16,30 Uhr, Mi. ab 19.00 Uhr, Fr. ab 18.30 Uhr.
Infos im Netz, www.karate-wesel.de

Autor:

Michael Jarchau aus Wesel

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