Die Sippe der Stinkmorcheln: Kleine Stinker mit Verwesungsgeruch

Stinkmorchel - Hut ohne Gleba (eigenes Foto-31.09.2011-Xanten-Marienbaum).
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  • Stinkmorchel - Hut ohne Gleba (eigenes Foto-31.09.2011-Xanten-Marienbaum).
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von Christel und Hans-Martin Scheibner

Darf ich vorstellen: Die Stinkmorchelfamilie

Die Stinkmorcheln (Phallus) gehören zur Ordnung der Rutenpilze (Phallales) und diese wiederum zur Klasse der Ständerpilze (Phallaceae). Der Name leitet sich vom griechischen Wort "Phallo" ab, weil ihre Fruchtkörper an ein erregiertes Glied erinnern.

Ihre rutenähnlichen Fruchtkörper (Receptaculum) sind hohl und gekammert und entwickeln sich aus einem sogenannten Hexenei, welches von einer gallertartigen Hülle umschlossen ist und einige Tage später aufplatzt. Der Pilz wächst in den frühen Morgenstunden innerhalb von ein paar Stunden zwischen 5 und 7 Uhr aus dem Ei. Das Hexenei ist durch einen derben wurzelartigen Strang mit dem Mycel verbunden. Die eichel- bis kugelförmige vom Stiel deutlich abgegrenzte Spitze ist erst mit olivbraun gefärbtem feuchtglänzendem klebrigem Schleim überzogen, der Gleba. Je nach Spezies ist der Geruch mit zunehmendem Alter mehr oder weniger intensiv. Er zieht Aasfliegen an, die mit ihren Rüsseln und Beinchen die Sporen, welche sich in der Gleba befinden, verbreiten und sie in kürzester Zeit abgetragen haben.

In Mitteleuropa trifft man aus ihrer Familie 3 Hundsrutenarten und die Stinkmorchel an. Man findet sie auf verrottendem Holz und weiteren toten organischen Stoffen vom Frühsommer bis zum Herbst in allen Waldtypen, aber auch Parkanlagen und naturbelassenen Gärten. So wird organisches Material wieder in Pflanzennährstoffe umgewandelt, wobei auch für Tiere unverdauliche Stoffe wie Zellulose und Chitin verwertet werden.

Äußerst anrüchig - Die Gemeine Stinkmorchel

Die Gemeine Stinkmorchel (Phallus impudicus) sieht zwar einer Morchel sehr ähnlich, gehört aber zur Gattung der "Stinkmorcheln" (Phallus). Ihr golfballgroßes Hexenei weist im Jungstadium noch keinen Gestank auf und gilt als eßbar. Später ist sowohl dieses als auch der Pilz ungenießbar. Ihre Rute kann bis zu 20cm lang werden. Die Spitze ist zuerst mit ekelerregend nach Aas stinkender Gleba bedeckt, welche schon aus weiter Entfernung zu riechen ist, später dann weiß. Ihr fingerhutartiger wabenförmiger Hut ist 3cm hoch und besitzt einen kleinen weißen Abschlußdeckel.

Stinkmorchel-Geschichten

Die unmißverständliche Signatur der "Gemeinen Stinkmorchel" brachte ihr auch ihre wissenschaftliche Bezeichnung "Phallus impudicus"ein. Während das lateinische Wort Phallus Penis bedeutet, wird impudicus mit unzüchtig, unkeusch, schamlos übersetzt. Signaturen sind Zeichen, die offensichtlich auf etwas deuten, wenn man es versteht, in den Pflanzen zu lesen. Diese Zeichen sowie seine Anwendungsmöglichkeiten brachten diesem Pilz allerlei Bezeichnungen ein, welche zu Beginn der Bildergalerie zu finden sind.

Es ist also nicht verwunderlich, daß sich viele kuriose Geschichten um die Stinkmorchel ranken.

Eine Sage in Schlesien berichtet, daß der Teufel, als er mal wieder äußerst übel gelaunt war, sich ein altes Weiblein packte und sie in Stücke riß, welche er überall verstreute. Dort, wo diese Stücke die Erde berührten, wuchs eine Morchel, deren Kopf genauso verhutzelt aussah wie das Gesicht der alten Frau.

Die Stinkmorchel wird auch als Leichenfinger bezeichnet. Eine uralter Volksglaube besagt, daß aus Gräbern, in welchem jemand bestattet wurde, welcher ein ungesühntes Verbrechen begangen hatte, dieser Pilz als Warnzeichen für die Lebenden wächst. Sie sollen so daran erinnert werden, zu Lebzeiten eine begangene Schuld zu begleichen.

Die Prüderie der früheren Gesellschaft des 19. Jahrhundert trieb recht seltsame Blüten. Wegen ihrer obszönen Erscheinung erregte die Stinkmorchel Besorgnis bei Müttern und Sittenwächtern um die jungen Mädchen, was zum Anlaß genommen wurde, diesen Pilz systematisch zu vernichten. Die früh verwitwete und kinderlose Henrietta (Etty) Darwin, keine geringere als die Tochter des Evolutionsbiologen Charles Darwin, fürchtete um die Unbescholtenheit der unschuldig im Wald spazierenden Mädchen und vernichtete darum alle "Stinkhorns", die sie finden konnte. Sie „roch“ sich, bekleidet mit einem Jagdumhang und bewaffnet mit einem Korb und einem spitzen Stock, durch den Wald. Mit Handschuhen entfernte sie die anrüchigen Objekte, um diese dann im Kamin ihres Salons zu verbrennen.

Ein besorgter Waldbesitzer hat in der Nähe von Dresden wegen eines unerklärlichen Gestanks im Unterholz Alarm geschlagen. Eine Leiche könne in seinem Wald liegen, befürchtete der Mann. Als er bei der Suche einen verdächtigen Beutel und einen Herrenslip entdeckte, rief er die Polizei. Zehn Beamte mit Leichenspürhunden durchkämmten das Waldstück in Lungkwitz mehrere Stunden lang - vergeblich. Von einem Toten fanden die Polizisten keine Spur. Die Quelle des widerlichen Gestanks stellte sich schließlich als harmlos heraus: Es handelte sich um einen Pilz. Aus dem Boden wuchs eine 21 Zentimeter hohe Stinkmorchel. Normalerweise lockt der Aasgeruch, den der reife Pilz verströmt, nur Fliegen und Mistkäfer an. Der Hut der Stinkmorchel ist von einer olivgrünen Sporenmasse überzogen, die allmählich abtropft. - Spiegel 29-07.2005

Ein Ehepaar berichtet über ihren Hund "Dakota", welcher eines Tages übel nach Aas riechend ins Haus kam. Sie dachten zuerst, ihr Hund habe sich in einem Kadaver gewälzt. Das Tier war es gewöhnt, mit im Schlafzimmer zu schlafen, und da es für ein Hundebad zu spät war, versuchte man verzweifelt, mit einem nassen Waschlappen sowie Franzbranntwein den Geruch zu tilgen, was nicht ganz gelang. Am nächsten Morgen ging man dann auf die Suche nach dem "Auslöser" dieses Gestanks und fand eine zerdrückte Stinkmorchel vor, mit der sich das Tier begeistert parfümiert hatte. Anschließend bekam der Hund sein Bad, um den üblen Geruch endgültig zu entfernen.
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Auf der Pilzpirsch im Laubwald Savoyens fand ein Pilzsammler zwei Hexeneier, welche er seinen Vereinskameraden zeigen wollte. Da er kein passendes Gefäß dabei hatte, legte er sie zu den überigen Pilzen in seinem Korb. Anschließend stellte er den Korb in den Kofferraum seines Wagen, um ein Restauerant aufzusuchen. 3 Stunden waren nun insgesamt vergangen, und als er zu seinem Fahrzeug zurückkehrte, nahm er sofort einen ekelerregenden Gestank wahr, welcher das gesamte Auto erfüllte. Der Grund: während seiner Abwesenheit waren die Hexeneier aufgsprungen, und zwei Stinkmorcheln waren wie in der freien Natur ausgeschlüpft. Um seinen Fund den Vereinskameraden doch noch präsentieren zu können, wickelte er ihn so dicht wie nur möglich in Alufolie. Viele Kilometer mußte er mit seinem Wagen noch zurücklegen, und trotz der sperrangelweit geöffneten Fenster hielt der Geruch noch lange an. www.vapko.ch/de

Unterschätze niemals die Macht der Pilze ! Die wachsende Stinkmorchel entwickelt unter einer asphaltierten Straße die sehr mächtige Kraft von 1,33 kN (Kilonewton - 1 kN = 1000 Newton) pro Quadratmeter. Drei Stinkmorcheln sind in der Lage, 400 kg zu heben.

Allerlei rund um das Hexenei

Da die Pilze so anders waren als andere Lebewesen, hat man sie lange Zeit ins Reich des Bösen, Unheimlichen, der Hexen und Zauberer verbannt. So auch die Stinkmorchel, welche durch ihr eigenartiges Aussehen, ihren Geruch, aber auch wegen ihrer "Hexeneier" mit Hexen und bösen Geistern in Verbindung gebracht wurde. Diese "Hexeneier" oder auch „Teufelseier“ galten als mißgebildet, da sie keine Dotter wie normale Hühner-, Gänse- oder Enteneier enthalten. Frauen, welchen eine Beziehung zu diesem Pilz nachgesagt wurde, wurden der Hexerei bezichtigt und landeten auf dem Scheiterhaufen.

In einigen Teilen Deutschlands glaubte man anhand der Erzählungen von Jägern, in welchen es hieß, daß diese phallusähnlichen Pilze an den Brutplätzen der Hirsche wachsen, daß davon eine aphrodisierende Wirkung ausgehen müsse, wie auch seine Signatur es vermuten ließ. So wurden sie regelmäßig als Zutat zu Liebestränken oder als Aphrodisiakum benutzt, wie auch Wolfram von Eschenbach in seinem "Parzival" beschrieb. Diese Getränke braute man nicht nur, um Liebe zu erzeugen, sondern auch, um die Folgen ungesetzlicher Liebe zu beseitigen. Allerdings soll diese Wirkung nur das rohe Hexenei auslösen. In Bayern wurden Hexeneier an Kühe, welche nicht in die Brunst kamen, verabreicht, jedoch auch, um diese zu verstärken. Nachforschungen haben allerdings bisher nicht den Beweis für die libido- und potenzsteigernde Wirkung dieses Pilzes erbracht.

In der Traditionellen Chinesischen Medizin gelten viele Pilze schon seit Jahrtausenden als Heilmittel. In Europa werden diese Kenntnisse zum Teil noch in den Kräuterbüchern des Hieronymus Bock, Peter Melius und Adam Lonitzer erwähnt. So wurde im Mittelalter das Hexenei auch zur Zubereitung von Öl und Salben, welche bei Gicht und Rheumatismus helfen sollte, verwendet.

Man erntet dieses bovistartige Ei, solange der Pilz noch nicht geschossen ist. Es kann allerdings mit diversen Giftpilzen verwechselt werden. Rohe Hexeneier haben den Geruch und Geschmack von mildem Rettich oder Radieschen. In der Hand glibbern sie unter der weißen Haut seltsam, und sie sind schwer wie ein Golfball. Man muß vor dem Braten die Glibberschicht nicht unbedingt entfernen, da sie sich beim Braten auflöst. Geschält bleiben nur noch kleine, an Trüffel erinnernde geruchs- und geschmacksneutrale mattgraue Knubbel übrig, welche in Scheiben geschnitten und in Butter in der Pfanne gebraten werden, ähnlich wie Röstkartoffeln. Der Geschmack dieser Delikatesse wird als nicht pilzig, eher als leicht bitter - nußartig bis mild rettichartig beschrieben. Ich muß gestehen, daß ich sie bisher nicht probiert habe.

Das Innere des Hexeneis mußte als "Falsche Trüffel" als Beigabe zu Leberpasteten und Trüffelleberwurst herhalten.

Nicht ganz so geruchsintensiv - die Gemeine Hundsrute

Das taubengroße, mit einer Schleimhülle umgebenen Hexenei ist wie die aus ihm sprießende 1cm breite und 8 bis 12cm lange Rute ungenießbar. Der weißlich bis hellrosa gefärbte Stiel ist flach und nicht sehr stabil, weshalb er sich schnell umlegt. Ihre Spitze ist nach Verschwinden der Gleba, welche bei der Gemeinen Hundsrute (Mutinus caninus) zwar unangenehm süßlich nach Verwesung riecht - aber längst nicht so intensiv - signalrot. Sie treten gern in Gruppen auf.

Im Anschluß finden Sie eine Bildergalerie mit von Wikipedia freigestellten Fotos mit der Auflage der nicht kommerziellen Verwendung sowie eigenen Aufnahmen.

Autor:

Hans-Martin Scheibner aus Xanten

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