VfL Bochum erwartet Osnabrück - Reis im Interview über Selbstvertrauen, Hierarchie und mögliche Neuzugänge
VfL-Trainer Thomas Reis exklusiv zum Thema Abstiegskampf: "Da muss der Kopf erstmal mit klar kommen"

Cheftrainer Thomas Reis stellte sich dem Stadtspiegel Bochum zu einem exklusiven und sehr offenen Interview über die Situation beim VfL. Foto: Molatta
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  • Cheftrainer Thomas Reis stellte sich dem Stadtspiegel Bochum zu einem exklusiven und sehr offenen Interview über die Situation beim VfL. Foto: Molatta
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Lob für die Mannschaft, Rückendeckung für den Torhüter und Kritik an zu forschen Talenten - Thomas Reis, Trainer des VfL Bochum, redet im Exklusiv-Interview vor der Partie gegen den VfL Osnabrück Klartext. Mit einem Sieg über den Aufsteiger will der VfL am Freitag (22.11., 18.30 Uhr) nach der Länderspielpause neu durchstarten. Im Vorfeld der Partie spricht Thomas Reis über Abstiegskampf und Verunsicherung, Typen in der Truppe und seine Wunschtransfers für die Winterpause.

Von Dietmar Nolte

Thomas Reis, am Freitag kommt mit dem VfL Osnabrück ein Aufsteiger an die Castroper Straße, der in der Tabelle sieben Plätze vor dem VfL Bochum steht. Wie sehen Sie die Rollenverteilung?
Ich sehe es als Duell auf Augenhöhe. In den letzten Wochen hat sich unsere Mannschaft in eine positive Richtung entwickelt, was die Verteidigung und die spielerischen Dinge betrifft. Das Pokalspiel gegen die Bayern hat dazu beigetragen, unter Wettkampfbedingungen das Verteidigen zu üben. Da hat die Mannschaft gemerkt, dass es nur gemeinsam funktioniert. Das haben wir positiv mitgenommen in die nächsten Spiele. Auf der anderen Seite hat Osnabrück gerade gegen Stuttgart gewonnen. Man sieht, dass die Liga sehr ausgeglichen ist. Zwar sind jene Mannschaften, die andere finanzielle Möglichkeiten haben, gerade oben. Und wir befinden uns dort in der Tabelle, wo wir nicht stecken wollen. Aber wir haben die Möglichkeit, mit einem Sieg mit Osnabrück gleichzuziehen. Das ist das große Ziel!

Der VfL steht nach 13 Spieltagen nur auf Rang 16. Die Ursachenforschung reicht von der Zusammenstellung des Kaders über die personelle Qualität bis hin zur Mentalität. Was sind für Sie die Gründe für den unbefriedigenden Saisonverlauf?
Wenn du unten stehst, ist immer von allem etwas dabei. Man hat gesehen, dass die Truppe in der Lage ist, guten Fußball zu spielen. Sie ist auch in der Lage, Punkte zu sammeln. Wir hätten auch mehr Punkte sammeln können. Gegen Sandhausen zum Beispiel hätten wir schon in der ersten Halbzeit die Weichen stellen können, drei Punkte zu holen. Das ist ein Entwicklungsprozess. Man hat auch gemerkt, dass Verunsicherung da war. Selbst gegen Nürnberg hatte man im Stadion nach dem Gegentor zum 3:1 das Gefühl, dass eine gewisse Unruhe bei den Zuschauern aufkam. Und die Jungs, die dafür verantwortlich waren, haben das auch mitbekommen. Da muss der Kopf erstmal mit klar kommen. Aber die Qualität ist da und ich denke, wir jetzt eine Basis geschaffen haben, sodass wir konkurrenzfähig sind und den Abstiegskampf angenommen haben.

"Wir könnten uns das Leben einfacher machen"

Manuel Riemann hat nach dem Nürnberg-Spiel kritisiert, gefühlt spiele der VfL immer nur eine Halbzeit gut. Ist das auch eine Frage von Verunsicherung und Selbstvertrauen?
Ich sehe es nicht so, dass immer nur eine Halbzeit gut ist. Irgendwann hat der Gegner auch nichts mehr zu verlieren. Das haben wir im umgekehrten Fall selbst gegen Dresden gemerkt, wenn du 0:2 hinten liegst, alles nach vorne wirfst und Druck machst. Gegen Nürnberg hatten wir auch in der zweiten Halbzeit gute Umschaltmomente, ohne das vierte Tor nachzulegen. Auch die Partie gegen St. Pauli fand ich über 90 Minuten okay. In manchen Situationen könnten wir uns das Leben einfacher machen. Auch gegen Karlsruhe hätten wir nach der 3:2-Führung das Tor zum 4:2 machen können. Stattdessen bekommen wir in der 93. Minute ein Gegentor nach einem Standard. Daran versuchen wir zu arbeiten. Ich finde, man sieht, dass es in die richtige Richtung geht.

Und in Sachen Selbstvertrauen macht die Mannschaft auch Fortschritte?
Ich denke schon. Wir wollten das Spiel gegen die Bayern nutzen, um wieder ein positiveres Gefühl zu bekommen. Das haben wir gemacht, auch wenn wir ausgeschieden sind. Aber da hat die Mannschaft gemerkt, dass wir schwer zu bespielen sind, wenn man zusammenhält, wenn die Abstände passen und wenn einer für den anderen da ist. Unser Aha-Erlebnis war dann Nürnberg. Ich habe den Jungs gesagt: Wenn du vier Tage später nicht annähernd so spielst wie gegen Bayern, wenn du nicht versuchst, die Zweikämpfe zu gewinnen - dann fliegt es dir wieder um die Ohren. Diese beiden Spiele waren die Hinweise darauf, zu sagen: Das ist der richtige Weg, den wir gehen wollen. Dann ist es klar, dass auch der Kopf freier wird. Den Auftritt in St. Pauli fand ich auch gut. Ich hatte nicht das Gefühl, dass es ein Auswärtsspiel war, weil uns 2500 Fans unterstützt haben. Das zeigt, dass alle auch in schwierigen Situationen für den Verein da sind.

"Du brauchst Typen in der Truppe"

Wie ist es nach dem personellen Umbruch im Sommer um das Mannschaftsgefüge und die Hierarchie im Kader bestellt, gerade auch mit Blick auf die jüngeren Spieler?
Auch in dieser Hinsicht ist die Entwicklung gut. Wenn junge Spieler meinen, sie seien schon weiter, dann haben ältere Spieler nach meiner Auffassung das Recht, sie auch wieder einzunorden. Ich hatte den Eindruck, dass einige junge Spieler etwas forscher waren, die Leistung aber nicht immer entsprechend gepasst hat. Das hat man versucht, innerhalb der Mannschaft zu klären – ohne groß draufzuhauen. Ich bin jemand, der viel spricht mit den Jungs. Und den einen oder anderen muss man auch stärken. Aber du brauchst Typen in der Truppe. Wir haben einen Torwart, der sicher eine eigene Art hat, Dinge zu regeln. Und wenn du jede Woche mehrere Gegentore bekommst, dann hast du auch mal das Recht, deine Vorderleute zu korrigieren. Oder, anderes Beispiel, Toto Losilla – das sind schon Jungs, die haben mein absolutes Vertrauen. Wenn die den anderen Spielern etwas sagen, haben sie absolut das Recht dazu. Wobei Toto das in einer anderen Ausdrucksweise rüberbringt als Manu.

Sehen Sie neben Losilla und Riemann weitere Führungsspieler, auch unter den Neuzugängen oder den Jüngeren?
Um das zu erklären, muss man sich noch einmal die Gesamtsituation vor Augen halten: Man ist in einer Situation, die nicht einfach ist. Es wurde vieles aus einem negativen Blickwinkel gesehen. Es hieß nicht, du hast fünfmal nicht verloren, sondern, du hast nur einmal gewonnen. Das zu verarbeiten fällt nicht jedem leicht. Aber auch da entwickeln wir uns. Danny Blum zeigt sich mit Leistungen, die auf einem richtig guten Niveau sind. Er ist kein Lautsprecher, aber man sieht auf dem Platz, dass er vorangeht. Patrick Fabian ist ein Führungsspieler, auch wenn er diese Rolle derzeit noch nicht wieder auf dem Platz hat. Er kennt den Verein, er kennt ähnliche Situationen. Auch Robert Tesche bringt viele Erfahrungen mit. Von solchen Spielern erwarte ich, dass sie vorangehen. Es gibt Spieler, die mit Gegenwind mehr Probleme haben. Fußballspielen können sie alle, aber mit Drucksituationen umzugehen ist eine andere Sache. Das ist auch ein Lernprozess. Ist der abgeschlossen, hat man einen Kader, der voll konkurrenzfähig ist, um in andere Tabellenregionen zu kommen.

"Junge Spieler bekommen heute alles abgenommen"

Sie haben das etwas problematische Innenverhältnis zwischen jüngeren und älteren Spielern angesprochen. Ist es heute generell schwieriger geworden?
Auf jeden Fall! Junge Spieler bekommen heute nahezu alles abgenommen. Machst du es nicht, macht es der nächste Verein. Ich gehöre in der Hinsicht zur alten Schule. Ich musste mir alles selbst erarbeiten. Talent habe ich gehabt, aber es war auch viel Herz und Einstellung dabei. Das erwarte ich heute auch von den Spielern. Wenn alles für dich geregelt wird und du Schwierigkeiten hast, eine Überweisung zu tätigen, ist man auf dem falschen Weg.

Ist Jordi Osei-Tutu ein Beispiel dafür, weil er aus seiner Zeit bei Arsenal gewohnt war, dass ihm alles abgenommen wird?
Bei Spielern wie Jordi muss man generell berücksichtigen, dass sie eine gewisse Eingewöhnungszeit brauchen. Auch, weil er in ein komplett fremdes Land gekommen ist. Behördengänge möchte ich in England auch nicht machen. Trotzdem kann ich Dinge wie Pünktlichkeit verlangen. Und es kann mir auch keiner erzählen, dass der Junge bei uns nicht unterstützt wird. Ich habe von Forderungen nach einem Integrationsbeauftragten gelesen – Blödsinn! Alle Leute hier im Verein helfen ihm und den anderen Jungs, ob es das Trainerteam, die Mannschaft oder die Mitarbeiter sind. Er wird sich dahin entwickeln, dass er gewisse Dinge hier auch selbständig macht. Dass er in Sachen Fußball Potenzial hat, hat man gesehen.

Auf welcher Position sehen Sie seine sportliche Zukunft?
Ich sehe ihn definitiv in der Abwehr. Es ist aber auch eine Frage des Systems. In einem 3-4-3 wäre er sicher auch in der Lage, mit seiner Dynamik nach vorne die ganze Außenbahn zu bespielen. Allein sein Tempo hilft ihm. Selbst bei einem Stellungsfehler gibt es kaum jemanden in der Liga, der ihm davonläuft. Durch seine Dynamik kann er gewisse Dinge wieder ausmerzen. (lacht) Das ist ein Riesenvorteil, den ich zu meiner Spielerzeit nicht hatte. Ich musste gut stehen. Jordis Entwicklung sehe ich sehr positiv. Gamboa ist ausgefallen, dann Celozzi – dann wirfst du Jordi rein und er kann das spielen. Das Vertrauen, das er sich im Training erarbeitet hat, hat er gegen St. Pauli bestätigt.

"Schön zu wissen, dass man solche Talente hat"

Welche Rolle können andere Talente kurzfristig spielen? Im Test gegen Viktoria Köln hat mit Lars Holtkamp ein 17-Jähriger auf sich aufmerksam gemacht.
Ich hoffe vor allem, dass sie auch langfristig da sind… Lars war auch schon unter Robin Dutt im Trainingslager mit dabei. Nach seiner Verletzung war mir wichtig, dass er zunächst in der A-Jugend wieder spielt. Jetzt ist er körperlich so weit, den nächsten Schritt zu machen, weil das Profigeschäft schon eine andere Intensität hat. Es ist generell schön zu wissen, dass man im eigenen Nachwuchs solche Talente hat. Es ist noch ein weiter Weg, aber man sollte sie definitiv immer wieder ins Profi-Training integrieren. Moritz Römling zählt auch dazu. Oder Stelios Kokovas, der aber zuletzt leider mit der griechischen U19 unterwegs war. Auch ihn hätte ich gerne mal unter solchen Bedingungen gesehen, um ihn besser einschätzen zu können.

Auch Maxim Leitsch zählte gegen Viktoria Köln wieder zur Mannschaft.
Bei Maxim bin ich froh, dass er mal wieder 45 Minuten spielen konnte. Talent ist da, jetzt muss er daran arbeiten, körperlich stabil zu bleiben. Dann ist er für mich ein Kandidat, der eine ähnliche Entwicklung nehmen kann wie Jan Gyamerah.

Und er würde der Bochumer Innenverteidigung sehr guttun…
Er würde nicht nur der Innenverteidigung guttun. Am Freitag gegen Osnabrück müssen wir Danilo Soares ersetzen. Wäre Maxim fit, wäre er ein absolut konkurrenzfähiger Spieler für Danilo. Der macht zwar zurzeit einen richtig guten Job, aber mit etwas mehr Konkurrenz könnte er noch mehr.

Aber fühlen Sie sich derzeit in der Innenverteidigung gut aufgestellt oder gibt es da noch Steigerungspotenzial?
Wir stehen aktuell auf Platz 16. Da gibt es nicht nur in der Innenverteidigung Steigerungspotenzial, sondern in der ganzen Mannschaft. Natürlich ist man nicht zufrieden, wenn man so viele Gegentore hat und noch nicht zu Null gespielt hat. Das macht sich aber nicht immer an der Abwehr fest. Wenn du gegen Karlsruhe nach einem Eckball in einen Konter läufst, dann liegt das nicht nur an den Innenverteidigern. Natürlich wollen wir zu Null spielen, das ist auch ein Ziel. Du kannst nicht immer drei oder vier Tore schießen, um zu gewinnen. Wir haben da sicher noch Entwicklungspotenzial, als gesamte Mannschaft rigoros zu verteidigen. Und wir müssen und wollen jetzt Osnabrück und Aue zuhause schlagen, das ist definitiv das Ziel. Es werden keine einfachen Spiele, aber gerade zuhause hast du jetzt die Möglichkeit, mit zwei guten Ergebnissen einen richtigen Schritt zu machen.

"Ein Neuzugang müsste uns sofort weiterhelfen"

Wenn Transfers machbar sind, würden Sie den Kader personell im Winter dann vor allem mit Blick auf die Defensive ergänzen?
Im Offensivbereich können wir aktuell gewisse Ausfälle besser verkraften. Zoller, Ganvoula, Wintzheimer, Blum, Weilandt, Pantovic, Maier – das sind allein sieben Spieler für vier Positionen. Hinten haben Patrick Fabian und Maxim Leitsch gefehlt, Saulo Decarli war raus, – und dann wurde es schon eng. Wenn wir da für mehr Stabilität sorgen könnten, indem wir den einen oder anderen Defensivspieler dazu bekommen, wäre ich als Trainer beruhigter. Aber ein Neuzugang müsste uns auch sofort weiterhelfen.

Gibt es auf der anderen Seite auch Tendenzen bei Spielern, die nicht so zum Zuge kommen, den VfL im Winter zu verlassen?
Ich versuche mit den Spielern immer so umzugehen, dass sie wissen, woran sie sind. Ich sage auch offen, wenn ich es besser fände, wenn sich jemand etwas Neues sucht. Gerade bei jungen Spielern ist es manchmal schwierig, ihnen Spielzeit zu geben, weil wir auch keine U23 mehr haben. Die Überlegungen gehen zum Teil dahin, ein Talent auch mal ein Jahr auszuleihen. Da gibt es verschiedene Gedankengänge, die ich dann mit Blick auf die Zukunft mit Sebastian Schindzielorz und den Verantwortlichen im Verein durchspreche. Manche Spieler, die vielleicht auch bei anderen Trainern schon nicht so zum Zuge gekommen sind, müssen irgendwann für sich die Entscheidung treffen, ob sie spielen wollen oder nicht. Sonst rücken wiederum junge Spieler nach. Hast du dann selbst keine Spielpraxis, wird es auf Dauer schwer.

Autor:

Dietmar Nolte aus Dortmund-West

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