Pointen aus Stahl
Glosse: Grundgesetzliche Sicherheit und Schlagerwarnsysteme

Wir feiern in diesen Tagen den 70. Geburtstag unseres Grundgesetzes, das sich in all den Jahrzehnten bewährt hat.
Andere Länder beneiden uns darum. Daher sollen auch viele Glückwunschkarten im Kanzleramt eingetroffen sein. Unser Freund aus Ankara, Recep Tayyip Erdogan, schreibt: „Glückwünsch! Am besten gefällt mir Artikel 5, denn Meinungsfreiheit ist ein wichtiges Gut, gerade bei Wahlen. Das gilt auch bei uns. Wenn ich die Meinung habe, dass ich eine Wahl hätte gewinnen müssen, nehme ich mir die Freiheit, sie zu wiederholen.“ Auch US-Präsident Donald Trump gratuliert: „Glückwunsch! Eine wirklich großartige Sache! Man hat mir vorgelesen, dass nach Artikel 16a politisch Verfolgte Asylrecht genießen. Darauf komme ich nach meiner Präsidentschaft gerne zurück.“ Eine Karte soll sogar von Mallorca gekommen sein, und zwar von Daniela Katzenberger. Sie hat da zwar etwas durcheinandergebracht, freut sich aber trotzdem: „Mega-toll, dieses Grundgesetz. Vor allem Artikel 11. Ohne das Recht auf Freizügigkeit hätte es viele Fotos von mir gar nicht gegeben. P. S.: Auch voll supi für die Gleichberechtigung von uns Frauen: Artikel 17, das Penetrationsrecht.“ – Und das ist doch das Wichtigste am Grundgesetz: Man muss nicht alles verstehen; Hauptsache, man ist dafür.

Gerade kurz vor der Europawahl kann es nicht schaden, an die Basis unserer Demokratie zu erinnern. Nicht umsonst fürchtet man sich vor den Rechtspopulisten. In vielen Ländern geben sie bereits den Ton an, und auch in Deutschland hat die AfD das Parteiensystem durcheinandergebracht. Regierungsbildungen werden schwieriger bei immer mehr Parteien. Oft heißt es, wir hätten schon Weimarer Verhältnisse. Aber das stimmt nicht, denn sonst dürfte sich die SPD freuen: Sie wäre bei nahezu allen Wahlen die stärkste Fraktion mit über 20 Prozent.
Dennoch sollte uns das erste Viertel des letzten Jahrhunderts eine Warnung sein. Die Demokratie in Deutschland wurde über demokratische Prozesse abgeschafft. So wie man einst das System aushöhlte, so gingen jüngst die Nationalisten in Europa vor. Viktor Orbán, der ungarische Zaunkönig, hat in seinem Land die Pressefreiheit beschnitten, und in Polen hat Jaroslaw Kaczynski, das Manneken-PiS von Warschau, mit seiner Partei in der Regierung das Verfassungsgericht entmachtet. Was für eine Frechheit! Da marschieren wir Deutsche gerade einmal 80 Jahre lang nicht in Polen ein, schon schaffen sie dort die Demokratie selbst ab! Schließlich zeigen uns ganz aktuell die Ösis, wie die Fortsetzung von „Sunshine Reggae auf Ibiza“ aussieht, wenn man Typen wie Heinz-Christian Strache eine Hauptrolle spielen lässt. Man kann sagen (Achtung Wortspiel!): Die FPÖ ist in der Regierung nicht gerade zu Kurz gekommen.

Die nationalistisch geprägten Parteien überzeugen leider oft mit dem Thema Sicherheit, und das ist nicht immer ganz unbegründet. Staatliche Institutionen wurden durch den neoliberalen Zeitgeist überall zurückgefahren, und jetzt fehlen vor allem Polizeibeamte. Doch Not macht erfinderisch, wie man in den Tagesthemen vor einiger Zeit sehen konnte. In Spanien gibt es den Ort Caminreal. Dort brauchen die Polizisten bis zu einer Stunde Anfahrtszeit, wenn sie gerufen werden. Deshalb haben sich die Einwohner auf ein besonderes Warnsignal verständigt: Immer wenn Kriminelle unterwegs sind, läuft über die Lautsprecher des Dorfes ein Schlager von Manolo Escobar: „Mi carro me lo robaron“ (dt.: Man hat mir meinen Wagen geklaut.)
Das wäre doch eins zu eins übertragbar auf das schlageraffine Deutschland. Es ließe sich sogar ausdehnen auf alle möglichen Warnmeldungen. Wenn etwa osteuropäische Banden ihr Unwesen treiben, läuft Alexandra: „Zigeunerjunge, Zigeunerjunge“. Sind Drogendealer in der Innenstadt unterwegs, dann läuft Roy Black: „Ganz in Weiß“. Wird ein Exhibitionist im Stadtpark gesichtet, hört man: „Die Glocken von Rom“. Oder besser: „Und jetzt die Hände zum Himmel ...“. Bei einer Terror-Warnung spielt man Wolle Petry: „Das ist Wahnsinn, warum schickst du mich in die Hölle?“ – und die zu warnende Bevölkerung singt direkt mit: „Hölle, Hölle, Hölle!“ Oder wenn an der belgischen Grenze eines der maroden Atomkraftwerke in die Luft geht und die deutsche Bevölkerung evakuiert werden muss in Richtung Osten, dann kommt Vicky Leandros: „Theo, wir fahr’n nach Lodz!“ Und sobald ein Lied von Helene Fischer ertönt, dann wissen wir: Oje, die Russen sind da! Bleibt nur noch die Frage: Wer warnt die Bevölkerung vorab vor der Schlagermusik?
Also, wählen gehen, sonst läuft EU-weit nur noch „Spiel mir das Lied vom Tod“.

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Die nächsten Show-Termine:

25.05.2019 - Heilbronn - Kulturkeller: Solo
28.05.2019 - Baienfurt - Hofkulturbörse
06.06.2019 - Duisburg - Zentralbib.: Benefiz-Mix KNH
27.07.2019 - Mülheim - Freilichtbühne: Nachgewürzt Spezial
23.08.2019 - Hamburg - Alma Hoppe: Geburtstagsgala
05.09.2019 - Köln - Senftöpfchen: Solo

Mehr auf: www.benjamin-eisenberg.de

Autor:

Benjamin Eisenberg aus Bottrop

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