Ostfriesisches Landesmuseum
Melanie Schulte - Schiff, Unglück, Mythos

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Anlässlich des 70. Jahrestages des Unglücks des Motorschiffes Melanie Schulte im Nordatlantik eröffnete das Ostfriesische Landesmuseum Emden am 21. Dezember 2022 die Sonderausstellung „Melanie Schulte – Schiff, Unglück Mythos“. Am 21. Dezember 1952 gegen 23:00 Uhr meldete sich der Funker des Motorschiffes bei Norddeich Radio ab und beendet seine Wache. Seitdem rätselt die Schifffahrtswelt über das Schicksal des Mehrzweckfrachters der sogenannten „Emden-Klasse“ und seiner 35-köpfigen Besatzung. Denn bis auf einige Wrackteile der Funkbude und einen Rettungsring gibt es keine Überreste des Schiffes. Dieses für die damalige Zeit moderne deutsche Schiff, bei den Nordseewerken gebaut, blieb beim Stapellauf hängen. Das bis jetzt nicht aufgeklärte Schicksal, sowie der missglückte Stapellauf werfen immer noch Fragen auf. Wir haben uns auf dieser Einzigartigen Ausstellung umgesehen.

Die Ausstellung eröffnet durch Zeitzeugen und -zeugnisse einen Einblick in das Leben in Emden und an der Nordseeküste kurz nach Kriegsende, in die Seeschifffahrt dieser Zeit und deren technischen Bedingungen und Herausforderungen. So werden Originaldokumente präsentiert, die in einer Recherche in öffentlichen und privaten Archiven zusammengetragen worden sind. Darüber hinaus kommen in diversen dokumentarischen Film- und Audiobeiträgen Zeitzeugen und Nachfahren von Schiffsbesatzung und Reederei zu Wort.

Die Melanie Schulte war ein Stückgutfrachter der Emder Reederei Schulte & Bruns und des Hamburger Handelsunternehmens Toepfer, der nur wenige Wochen nach seiner Indienststellung bis dato nicht geklärter Ursache im Nordatlantik unterging. Als wahrscheinliche Ursache für den Verlust nahm das Seeamt in Hamburg eine unausgewogene Beladung des in stürmischer See fahrenden Schiffes an, weshalb kurz darauf die Vorschriften für Erz-transportierende Frachtschiffe unter deutscher Flagge geändert wurden. Der Untergang kostete 35 Besatzungsmitglieder das Leben und gilt als einer der schwersten Seeunfälle der deutschen Handelsschifffahrt.

Das Schiff entstand auf der Werft Nordseewerke in Emden. Die Schiffe der Emden-Klasse waren von den Nordseewerken als universell einsetzbare Stückgutfrachter mit verstärktem Doppelboden entwickelt worden, der sie auch für den Einsatz in der Erzfahrt geeignet machte. Die Schiffe jener Klasse waren mit einer Länge über alles von 143 Metern, einer Vermessung von 6380 BRT (Bruttoregistertonnen) und einer Tragfähigkeit von rund 10.000 tdw zum damaligen Zeitpunkt die größten, die die Werft nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut hatte. Der Frachter war ein Shelterdecker mit mittschiffs angeordneten Aufbauten, verfügte über fünf Laderäume (drei vor und zwei hinter dem Deckhaus, die jeweils ein Zwischendeck besaßen. Das Ladegeschirr bestand aus zwölf Ladebäumen à 3/5 Tonnen sowie einem Schwergut-Baum. Der Schiffskörper wurde zu 60% genietet (Längsnähte der Plattengänge der Außenhaut und alle Spanten) und zu 40% geschweißt. Aufgrund der Erfahrungen mit den vorher gebauten Schwesternschiffen der Emden-Serie erhielt die Melanie Schulte zusätzliche Zwischendeckballasttanks zur Verbesserung der Seeeigenschaften auf Ballastreisen. Eine Besonderheit für die damaligen Schiffsoffiziere bestand darin, dass sich im Salon ein Kamin mit Delfter Kacheln befand. Den Bug des Schiffes zierte das Wappen seines Heimathafens.

Beim Stapellauf des Schiffes am 9. September lief der Frachter nicht von der Helling, sondern blieb über mehrere Stunden auf der Ablaufbahn stecken. Bei der Untersuchung der Folgen des Stapellaufs inklusive einer erfolgten Berechnung der Längenfestigkeit wurden Einbeulungen im Bodenbereich festgestellt, die nach dem Urteil des Germanischen Lloyd und weiterer Sachverständiger jedoch geringer als vergleichbare normale Einbeulungen während der Betriebszeit eines solchen Schiffes ausfielen und keine Schädigung des Schiffsverbands darstellten.

Nach ihrer Indienststellung am 9. November 1952 führte die Jungfernfahrt die Melanie Schulte in Ballast an die Ostküste Quebecs. Auf der Reise traten Undichtigkeiten im Zwischendecktank Nr. 2 und beidseitige Niet und Naht Leckagen im Unterraum Nr.1 auf, die durch Zementkästen verschlossen wurden. Außerdem stellte die Besatzung Schäden im Bereich des Bootsdecks und der Verschanzung fest. In Québec lud das Schiff Getreide und verließ den Hafen am 27. November. Nach dem Eintreffen im Hamburger Hafen am 10. Dezember 1952 und dem Löschen wurden 14 Tonnen der Getreideladung reklamiert, die durch Leckagen im Vor- und Achterschiff beschädigt worden waren. Während des Hafenaufenthalts beseitigte die Hamburger Maschinenfabrik im Auftrag der Bauwerft acht Leckstellen.

Am 13. Dezember 1952 setzte die Melanie Schulte ihre Fahrt in Ballast nach Narvik fort, wo sie am Nachmittag des 16. Dezember 1952 am Kai festmachte. Das Beladen des Schiffes mit 9.306 Tonnen Eisenerz dauerte etwas mehr als einen Tag: Am frühen Abend des 17. Dezember legte die Melanie Schulte ab. Bestimmt war das Erz für US-Steel, die Reise sollte nach Mobile (Alabama) führen. Angesichts des zu erwartenden Wetters und des damit einhergehenden Seegangs befürchtete die Schiffsführung, dass die Schiffsschraube während der Überfahrt blind schlagen könnte, dass also die Schraube bei hohem Wellengang periodisch ganz oder teilweise aus dem Wasser ragt, was zum einen die Maschine überlasten kann und zum anderen dem Schiff kurzzeitig die Steuerfähigkeit nimmt. Um dieses Risiko in schwerer See zu minimieren, ließ die Schiffsführung das Erz wie folgt laden:

Der vorderste Laderaum blieb leer, 2875 Tonnen in den Laderaum II, 3018 Tonnen in den Laderaum III, 2408 Tonnen in den Laderaum IV und 1000 Tonnen in den Laderaum V. Der Großteil des Erzes (etwa 8300 Tonnen) befand sich also in den Laderäumen unmittelbar vor und hinter dem mittschiffs gelegenen Maschinenraum weitere 1000 Tonnen im achter der fünf Laderäume. Durch diese Verteilung mit fast 90 Prozent der Ladung in den drei mittschiffs gelegenen Laderäumen und dem Rest achtern erhielt das Schiff einen Abgangstiefgang von 7,8 Meter vorne und 8,5 Meter achtern. Ein Abwettern des vorhergesagten Sturms erschien dem Kapitän auch deswegen nicht nötig, weil die Melanie Schulte bereits auf ihrer Rückfahrt von Québec in einem Sturm mit Bft 9 trotz Leckagen ihre Seetüchtigkeit bewiesen hatte.

Die Route von Narvik in den Hafen an der Küste des Golf von Mexiko führte über den Nordatlantik, die Britischen Inseln nördlich passierend. Der Frachter stampfte typisch der Jahreszeit gegen schwere Seen aus West. Der vorletzte Funkspruch des Schiffes wurde vier Tage nach dem Auslaufen nachmittags um 14:40 Uhr abgesetzt. In ihm teilte Kapitän Rohde mit, dass er sich auf Seeposition 58 Grad, 22 Minuten Nord und 9 Grad 33 Minuten West befinde, etwa 90 Seemeilen 90 nordwestlich der Insel Lewis in den Äußeren Hybriden. Der letzte Funkkontakt kam am 21. Dezember um 22 Uhr mit Radio Norddeich zustande: Der Funkoffizier fragte bei der Seefunkstation nach, ob noch weitere Funksprüche vorlägen, was nicht der Fall war. Die nächste turnusgemäße Meldung wäre nicht vor dem darauffolgenden Morgen um 8 Uhr gesendet worden. Für den Fall dringender Verbindungswünsche in der Nacht gab es ein Autoalarmgerät, das die Funker auf vorliegenden Funkverkehr aufmerksam gemacht hätte. Die Melanie Schulte meldete sich am nächsten Morgen nicht aus eigener Initiative, was zunächst keine Besorgnis auslöste. Die vereinbarte Positionsmeldung am 23. Dezember allerdings blieb ebenfalls aus, was man sich an Land damit erklärte, dass die Funkanlage möglicherweise kurzzeitig ausgefallen sein könnte.

An Heiligabend ließ Reeder Heinrich Schulte mittags über Norddeich Radio seinen drei auf See befindlichen Schiffen Weihnachtsgrüße übermitteln. Während die Schwesterschiffe Henriette Schulte, unterwegs von Brake zum Golf von Mexiko und Heinrich Schulte, auf dem Weg von Newport News nach Havanna die Wünsche entgegneten, blieb der Spruch von der Melanie Schulte aus. Als der Reeder am 1. Weihnachtstag den Funkspruch noch einmal wiederholen ließ und erneut keine Reaktion kam, begann eine Suchaktion nach dem Schiff, von dem seit vier Tagen kein Lebenszeichen mehr vernommen wurde. Am 23. April 1953 setzten sich die Mitarbeiter des Seeamts in Hamburg in einer eintägigen Verhandlung mit der vermutlichen Ursache auseinander und fassten ihre Ergebnisse später in einem 74-seitigen Verhandlungsprotokoll zusammen:

Die Gutachter bei der Seeamtsverhandlung wiesen auf eine Reihe von vergleichbaren Fällen hin, darunter auf den eines britischen Schutzdeckschiffes im Jahre 1934. Dieses hatte 82 Prozent seiner Ladung in den Laderäumen II, III und IV geladen und 18 Prozent vorne und achtern. Es erwies sich in einem Sturm mit schwerem Seegang als in der Mitte zu schwer beladen und brach in einem Wellental auseinander. Vorne und achtern war der Auftrieb zu groß, in der Mitte war das Schiff zu schwer. Die Melanie Schulte hatte sogar 89,3 Prozent ihrer Ladung in den mittleren drei der fünf Laderäume. Das Gutachten führte dazu in einer Berechnung der Längenfestigkeit unter Zugrundelegung der üblichen anzunehmenden Seegangverhältnissen, Wellen von etwa 130 Metern Länge und 6,5 Metern Höhe, aus, dass die Druckbelastungen im Wellental auf das Doppelte gegenüber normalen Verhältnissen anstiegen, während die Zugbelastungen auf dem Wellenberg lediglich 40% der zulässigen Werte betrugen. Laut dem Seewetteramt konnten zur fraglichen Zeit aber Wellen von etwa 80 Metern Länge und 8 Metern Höhe angenommen werden, wobei die Besatzungen von Fischdampfern im fraglichen Gebiet von einer Dünung von 9 bis 10 Metern berichteten. Man rechnete daraus eine weitere Erhöhung der auftretenden Kräfte hoch: Biege-Momente von über 90.000 Metertonnen, Druckspannungen über 2500 Kilogramm/Quadratzentimeter – Werte, die das Vorschiff wahrscheinlich nach oben brechen ließen, wobei vermutlich auch das Schiff in der Mitte in Längsrichtung zusammengedrückt wurde.

Im Spruch des Seeamts wurde zwar betont, dass eine abschließende Klärung mangels Augenzeugen nicht zu leisten sei, es seien lediglich „Vermutungen, jedoch keine bestimmten Feststellungen möglich“. Der Vorsitzende machte außerdem deutlich: „Wahrscheinlich hat das Zusammentreffen einer ungünstigen Verteilung der Ladung im Schiff mit einer ungewöhnlichen Schlechtwetterlage einschließlich Windsee und Dünung zu einer derart hohen Druckbeanspruchung im Schiff geführt, das ein so schnelles Zusammenbrechen des Schiffes erfolgt ist, das auch zur Abgabe eines Funkspruches keine Möglichkeit mehr bestand.“ Die Melanie Schulte war, so die Vermutung des Seeamtes, in einem Wellental zwischen zwei hohen Wellenbergen zusammengebrochen, weil die stark beladene Schiffsmitte den Belastungen nicht standhielt. Die Ladungsverteilung wurde als „ungünstig“ bewertet. Dazu kommt, das die Melanie Schulte kein vom Germanischen Lloyd ausdrücklich als Erzfrachter klassifiziertes Schiff war, sondern ein herkömmlicher Stückgutfrachter, dessen Doppelboden im Hinblick auf die vorgesehene Erzfahrt verstärkt konstruiert wurde.

Im Spruch des Seeamts Hamburg vom 23. April 1953 heißt es:
Es muss geschlossen werden, dass dem Schiff „Melanie Schulte“ in der Zeit vom 21.12.1952 23 Uhr bis zum 22.12. ein Unfall zugestoßen ist, der den Totalverlust und den Tod der aus 35 Personen bestehenden Besatzung zur Folge gehabt hat. Die Ursache des Unfalls ist nicht ermittelt, weil keine Augenzeugen vorhanden sind. Wahrscheinlich hat das Zusammentreffen einer ungünstigen Verteilung der Ladung im Schiff mit einer ungewöhnlichen Schlechtwetterlage einschließlich Windsee und Dünung und den hierdurch bedingten Resonanzen der Schiffseigenperioden mit der Seegangperiode zu einer derart hohen Druckbeanspruchung im Schiff geführt, dass ein so schnelles Zusammenbrechen des Schiffes erfolgt ist, dass auch zur Abgabe eines Funkspruches keine Möglichkeit mehr bestand.“

Die Sache wirft dermaßen Fragen auf, so das wir diese Ausstellung erneut aufsuchen werden um danach weiter investigativ zu recherchieren – Wir berichten weiter.

Autor:

Heinz-Jürgen Klingenhagen aus Dorsten

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