Alte Heimat, neue Zuständigkeit - ein morgendlicher Besuch in der Dinslakener City
Zwischen B-Center, Backstuben und Burgtheater / Erinnerungen und Eindrücke rund um die Neustraße

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Mit Freunden oder mit meiner Liebsten diskutiere ich manchmal darüber, welche Stadt die schönere sei: Dinslaken oder Wesel? Natürlich setzt jeder den Voting-Haken vorzugsweise bei seiner Heimatstadt. In diesem Zuge stelle ich oft fest, dass die Voerder eher bei Dinslaken sind, die Hünxer und Friedrichsfelder überwiegend lieber nach Wesel fahren. 

Und ich selber? Als Hiesfelder Jung kann ich behaupten, objektiv urteilen zu können, weil keine geburtsörtliche Vorbelastung mich einengt. Trotzdem: schwer zu sagen! In Punkto Fußgängerzone hat jedenfalls Wesel deutlich die Nase vorn. Die Kreistadt hat ihre Einkaufsmeile für akzeptables Geld ordentlich aufgemöbelt, wogegen das gute alte Dinslaken zwar die tolle Neutorgalerie hat, im Rest der City aber den müden Achtziger-Look pflegt. Allerdings will in Wesel an keiner Stelle echtes Altstadt-Feeling aufkommen, während Dinslaken zwischen Rathaus, Rotbach und Duisburger Straße diesbezüglich locker punkten kann.

Wie auch immer: Kürzlich verspürte ich Bock, mal zu testen, was vom Heimatgefühl übrig geblieben ist. Und so machte ich mich auf die Socken in die selbsternannte "Laune-Stadt", um den coronalastigen Atmosphäre-Check zu machen. Wenn Sie nachvollziehen wollen, was ich dabei empfand, müssen Sie allerdings ganz genau die Bildunterschriften unter den Fotos in der Bildergalerie lesen. Nur so erfahren Sie wirklich, was mich damals und heute bewegte.

Und los geht's ...

Aus parktechnischen Gründen nähere ich mich der City vom Bahnhof her. Das fällt sofort auf: Die Bahnstraße hat sich nach dem Umbau echt gemacht. Ihr Umfeld staffiert sie allerdings nicht mit dem entsprechenden Flair aus, obwohl die ansässigen Gewerbler das Entrée mit einem Christbaum schmücken. Besonders in der Streckenmitte drückt seit ehedem das "B-Center" dem Straßenzug seinen Stempel auf - leider eher als Drohung denn als Einladung. 
Dann nähere ich mich dem umgestalteten Neutorplatz. Aldous Huxleys "Schöne, neue Welt" - so kommt's mir vor. Ich lasse die coronagebeutelte Einsamkeit auf mich wirken und find's trotzdem irgendwie gut. Wenn man hier (anstelle der normalzeitüblichen Adventskirmes) einen echten Weihnachtsmarkt installieren würde, dann hätte Dinslaken einen wohlverdienten Magneten.

Rechtsschwenk in die Neustraße. Mein erste Wahrnehmung: die Weihnachtsbeleuchtung ist abgeschaltet. Nicht wirklich einladend - auch, wenn früher Morgen herrscht. Ein zwei offene Backwaren-Verkaufsläden mildern den harten Lockdown spürbar ab, können jedoch nicht effektiv gegen die Dominanz der Firmenfilialisten anstinken. Aber: tröste dich, Kritikerwelt - das ist in keiner Stadt anders!
Plötzlich blitzt eine Uralterinnerung auf: die DIN-Tage! Menschenmassen schieben sich durch die sommerwarme City, vorbei an familiären Deckenlagern mit Schauware aus Spielzimmern und von Dachstühlen. Die rappelvolle Außenbestuhlung der Cafés ist immer von einigen Bekannten besetzt. Kaum hatte man links gewinkt, grüßte rechts der nächste geneigte Freizeitler. Plopp - die Memoblase zerplatzt.
Ein DIN-Service-Mann im weißen Pickup schnurrt dezent an mir vorbei und stoppt alle 20 bis 30 Meter, um die Abfallkörbe zu checken, während ich die Meilenmitte erreiche. Meine Frau sagt immer, sie finde es gerade gut, dass es hier so eng ist. Mein Empfinden geht konträr - das sieht halt jeder anders. Und schwupps - stehe ich vor eine Kinderheitserinnerung: dem Eiscafé Pieruz. Hier hab ich als Kind tonnenweise Zitrone und Nuss geschlabbert, bevor ich Omma Elli ihr Vanille-Eis im Becker nach gegenüber in die Wohnung brachte. "Tschuhuuus", hat Lina Pieruz mir immer hinterher gerufen. War meiner Omma sehr ähnlich, die kleine Frau, bloß Italienerin halt.

Junge, reiß dich zusammen - der Citycheck läuft noch! Okay, die Bohlenpassage lasse ich nach dem (erfreulichen) Schaufensterkontrollgang also hinter mir und steuere die Friedrich-Ebert-Straße an. Und siehe da: Gemächlich nähere ich mich einem Bereich, der tatsächlich Freude aufkommen lässt. Nicht nur, weil dies die vielzitierte Altstadt ist und ich dahinter (nahe dem St. Vincentius-Hospital) Anfang der Neunziger meine erste eigene Bude bezog. Hier gibt's tatsächlich jede Menge Locations, die positive Erinnerungen wecken:  

Frikko bei Hennes, Bierchen bei "Mü"

Frikko bei Hennes Holtbrügge, Ersatzkino bei Hackfort (als die Lichtburg erneuert wurde), Bierchen beim "Mü" drüben in der Stadthalle oder bei "Rick's Café" und/oder im "Route '66". Überall drumherum nette, inhabergeführte Geschäfte. Und ein weiteres Eiscafé mit wohlschmeckender Schnabulage (wie hieß das noch gleich?). Mensch Anke, Didi, Jochen, Ecki, Rollo - was hatten wir hier'n Spaß, oder?!

Am Rittertor (wie süß!) vorbei zur Stadtverwaltung. Hier sitzt jetzt nach zwei Heidinger-Perioden eine Frau auf dem Chefsessel; die zweite im Kreis Wesel neben der Weselerin Ulrike Westkamp. Um Michaela Eislöffel kennen zu lernen, muss ich aber ein andermal wiederkommen: Rathaustür verschlossen, Termine gibt's nur online - wie überall. Da muss ich wohl mal den Herrn Sturm kontaktieren, der im September 2017 den langjährigen Pressesprecher Horst Dickhäuser beerbte und seitdem die städtischen Verlautbarungen verantwortet. 

Da ich auch (und vor allem) ein Kulturfreund bin, habe ich die Entwicklung der Dinslakener Stadthalle immer fest im Blick. Gefühlt ging's hier stetig bergab, nachdem das "Wild Romance" damals dicht machte. Doch als ich den Burghof verlasse und mich nach links wende, bin ich positiv überrascht, als ich auf das eingezäunte und -gerüstete Gebäude schaue: Was da vorne (wenn auch teuer!) wächst, atmet zweifelsohne Zukunftsluft. Ein Zustand, den man dem Dinslakener Gewerbe trotz und gerade wegen der dräuenden Coronafolgen von Herzen wünscht.

Und so neigt sich meine Checkrunde - nach einem kurzen Blick auf meine ehemalige Penne - ihrem Ende zu, während ich das Pressehaus neben der Dinslakener Hauptpost ins Visier nehme. Als ich (zusätzlich zur Kamera) mein Handy zücke, um auch Kollegin Lisa mit einem schnellen digitalen App-Gruß zu beglücken, kreuzt plötzlich der Lieblingsschwager aus Voerde meinen Weg. Sowas passiert mir natürlich eher in Dinslaken als in Wesel - dort habe ich keine Familie! Halloooooo - Grußfaust - Selfie - Tschüss, bis bald.

Stärken und Schwächen

Auf dem Heimweg über die B8 vergleiche ich schon wieder die Städte miteinander und stelle fest, dass beide ihre Stärken haben. Wesel, die Kreisstadt mit ihren überzeugenden Freizeitarealen zwischen dem Rheinsteiger und dem Ortsteil Bislich,  ansehnlichen Waldflächen zwischen Flüren, Diersfordt und der Lippe sowie einer gut strukturierten Gewerbelandschaft mit messbar hoher Kaufkraftbindung. Dinslaken mit seiner enormen Kulturdichte auf Großstadtniveau, expandierenden Ortsteilen wie Lohberg und Hiesfeld und einem kreativen Stadtmarketing, das sich von der hässlichen Pandemiefratze nicht einschüchtern lässt.

Beide Städte haben natürlich auch ihre Schwächen, doch das ist eine andere Geschichte. Wesel und Dinslaken sind Teil des Kreises Wesel, einer absolut sympathischen Region am unteren Niederrhein, Hier wie dort kann man sich wohlfühlen - wenn man nur will.

Links von mir huscht Voerde vorbei. Dich besuche ich bestimmt auch bald.
Wesel kommt in Sicht.
Halloooooo - Wagen parken - Frikkobrötchen - 128 Mails checken.

Autor:

Dirk Bohlen aus Hamminkeln

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