Vor 30 Jahren war der Wiedervereinigungs-Marathon ein Höhepunkt für den Brechtener Klemens Wittig
Er läuft und läuft und läuft…

Der so erfolgreiche Senioren-Laufsportler Klemens Wittig aus Brechten erinnert sich gerne an diesen läuferischen Höhepunkt seiner Karriere vor 30 Jahren beim Wiedervereinigungs-Marathon in Berlin. | Foto: Sabine Schwalbert
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  • Der so erfolgreiche Senioren-Laufsportler Klemens Wittig aus Brechten erinnert sich gerne an diesen läuferischen Höhepunkt seiner Karriere vor 30 Jahren beim Wiedervereinigungs-Marathon in Berlin.
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Von Sabine Schwalbert

Seit 43 Jahren ist Klemens Wittig aus Brechten Laufsportler - und zwar ein sehr erfolgreicher. Im Mai 1977 hat er mit dem Laufen begonnen, ursprünglich nur, um in seiner Eigenschaft als Ferienbetreuer für Kinder in seiner Kirchengemeinde auch fit zu sein für den Frühsport, den er organisieren musste.

Sportlich war Wittig wohl schon immer. 1937 im damals schlesischen Strehlen geboren, ist er schon als Kind quirlig: „Natürlich Fußball, es wurde in jeder freien Minute gebolzt, auch Leichtathletik, Radfahren, Tischtennis, Handball und Geräteturnen gehörte zu meinem Programm.“ 

Doch die Kindheit und die Jugendjahre waren geprägt von anderen Ereignissen: „Im Februar 1945 flüchteten wir sechs Kinder mit unserer Mutter vor dem Krieg ins Sudetenland, nach dem Kriegsende wanderten wir, größtenteils zu Fuß, wieder zurück nach Strehlen.“ Der Vater der Familie war dort als Lokomotivfahrer dienstverpflichtet. 1947 wurde die Familie ausgewiesen, weil sie die polnische Nationalität nicht annehmen wollte.

Brandenburg wurde die zweite Heimat des Schlesiers

Also ging es wieder in eine neue Heimat, diesmal nach Brandenburg. Dort begann Wittig eine Ausbildung im Stahl- und Walzwerk, anschließend studierte er. Im Oktober 1958 sollte Klemens bei einem vierwöchigen Armee-Einsatz den Fahneneid auf die DDR leisten, den er verweigerte. Die Warnung eines Sportkameraden nahm Wittig ernst und er floh über die damals noch offene Grenze nach Berlin. Er wurde als politischer Flüchtling anerkannt, bekam ein kleines Stipendium und konnte so in Dortmund sein Studium fortsetzen.

40 Jahre lang arbeitete er in Dortmund in der Stahlindustrie, heiratete und bekam zwei Töchter.
Seine Zeit als aktiver Sportler teilt Wittig selbst in mehrere Phasen ein. Die erste Zeit war die als reiner Trimm-Dich-Läufer ohne große Ambitionen. Dreimal in der Woche jeweils eine Stunde war damals sein Pensum.

Doch dann packte ihn der Ehrgeiz: In Volksläufen wollte er eine Grenzen ausloten: „Dazu gehörten dann auch die kleineren und größeren Marathons der Welt, natürlich immer mit dem Ziel, unter der magischen Drei-Stunden-Grenze zu bleiben. Mit 54 Jahren gelang dies auch mit Berlin, New York und London innerhalb eines Jahres.“

In diese Zeit fiel auch der Wiedervereinigungs-Marathon in Berlin im Jahr 1990, sicherlich der emotionalste Lauf seines Lebens. Von der Öffnung der Grenze hatte er im Skiurlaub in der Schweiz gehört, wieder zu Hause, schmiedete er sofort Pläne: „Die Mauer war gefallen, und der Berlin-Marathon stand ohnehin auf meinem Kalender. Noch im November 1989 habe ich für den Lauftreff in Brechten eine Gruppenfahrt organisiert. Für 16 Brechtener Marathonis wurden die Anmeldungen getätigt, Hotelzimmer gebucht und ein Bus für 30 Personen gechartert. Auf ging es für drei Tage nach Berlin! Am 30. September 1990 fieberten alle dem Start am Charlottenburger Tor entgegen. Auf der Straße des 17. Juni an der Siegessäule vorbei stürmten wir dem Brandenburger Tor entgegen, als wollte jeder als Erster durch das Tor laufen, das 28 Jahre lang zugemauert gewesen war. Der Pulk teilte sich wie fünf Finger in die Durchgänge des Tores, um sich danach wieder zu vereinigen. Was für ein wunderbares Bild!“

Das Brandenburger Tor wurde zum Höhepunkt des Laufs: „Noch heute verschlägt es mir die Stimme, wenn ich daran denke. Meine gesamte Familie und die Freunde aus der DDR standen an der Strecke. Für mich als ehemaliger DDR-Bürger und überzeugter Einheitsdeutscher wurden die wenigen Schritte durch das Tor Schritte für eine Ewigkeitserinnerung.“ Am Ku‘damm erreichte Klemens Wittig das Ziel mit einer Traumzeit von 2:56 Stunden. Anschließend wurde ausgelassen gefeiert wie sonst nur beim Karneval, erinnert sich Wittig.

30 Mal Gold geholt bei EM und WM

In seiner langjährigen internationalen Sportlerkarriere hat Wittig noch so manches bei Marathonläufen erlebt: Er ist nach Leistenproblemen beim Training in London dann doch erfolgreich gelaufen, hat die Marathon-Europameisterschaft 2017 in Breslau in mit einem Hexenschuss bewältigt, den Marathon in Frankfurt nach Sturz und Schlüsselbeinbruch zu Ende gelaufen und ist bei der WM 2007 unverhofft zum Favoriten geworden – alles in einem Alter, in dem andere schon im Ruhestand sind.

45 Mal hat Klemens Wittig in nationalen Wettkämpfen Einzel- und Team-Gold geholt, je 30 Mal Gold bei Europa- und Weltmeisterschaften. Zudem hält der Brechtener zwölf deutsche Bestleistungen und vier Europa-Rekorde. Chapeau!

Autor:

Ralf K. Braun aus Dortmund-Ost

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