Rezension: Dachdecker wollte ich eh nicht werden/ Raúl Aguayo-Krauthausen

Das Leben aus der Rollstuhlperspektive

Raúl Aguayo-Krauthausen ist 1980 in Peru geboren. Schon im Kleinkindalter wurde die Diagnose Osteogenesis imperfecta gestellt. Glasknochen ist die umgangssprachliche Entsprechung. Außerdem kleinwüchsig ist er von jeher auf den Rollstuhl angewiesen. Zusätzlich benötigt er bei vielen Dingen des täglichen Lebens Hilfe.

Obwohl der Autor auf ca. 230 Seiten beinahe kurzweilig Episoden aus seinem Leben aufgeschrieben hat, musste ich mir beim Lesen viel Zeit lassen. Die Leichtigkeit seiner Schilderungen hat mich erst recht betroffen.

Der Mensch wird von seiner Umwelt zu sehr durch Äußerlichkeiten wahrgenommen. Ich habe selbst einmal auf die Frage, wie die neue Freundin von X ist, die Antwort bekommen: Schlank, blond, Körbchengrösse C. Das hat mich vor meiner eigenen Krankheit schon sprachlos gemacht.

Raúl Aguayo-Krauthausen nimmt sich selbst nicht als behindert wahr. Natürlich trifft er ständig auf Barrieren, die andere nicht haben. Mit Mut und Pragmatismus meistert er sein Leben. Angefangen in der Schule, über die Freizeitgestaltung, das Studium, die Berufsfindung und Beziehungsfragen vermeidet er Situationen die er nicht bewältigen kann.
Ziemlich spät erst stellt er sich seiner Behinderung und wird, nach eigener Schilderung, zum Berufsbehinderten.

Die wirklichen Probleme machen die normalen, die nicht behinderten Menschen. In unserer Gesellschaft ist ein unverkrampfter Umgang miteinander nicht geübt.
Das unverhohlene Gaffen oder auch das verschämte Wegsehen ist verletzend. Mit Sicherheit hemmt dieses Verhalten viele Menschen mit Handicap am Leben teilzunehmen.

Beeindruckend, wie der Autor seinen Weg in Ausbildung, Studium, Beruf und Familie findet. Viele mediale Auftritte, die Mitarbeit in einem Lokalradio, die Teilnahme am Projekt SOZIALHELDEN und die Mitbegründung der Website wheelmap.org zeugt von außergewöhnlicher Tatkraft.

Ein wirklich empfehlenswertes Buch, das zur Überwindung unserer gesellschaftlichen Barrieren beiträgt und Mut macht. Ein ausgiebiges und beeindruckendes Vorwort von Roger Willemsen rundet das Buch ab.

Ich selbst bin seit 8 Monaten Rollstuhlfahrer und habe die Situation soweit akzeptiert, dass mir meine Behinderung erst in der Öffentlichkeit wieder auffällt. Auch ich erlebe dann täglich den Krampf im Umgang miteinander.
Jedesmal, wenn mir beim Einrollen in den Bus Hilfe angeboten wird, lehne ich ab, um mir die Selbstbestimmungsmöglichkeiten zu erhalten. Der Fragende erhält natürlich einen "Korb". Unter Umständen fragt er bei einer ähnlichen Situation, in der Hilfe gebraucht würde, nicht mehr. Mein Appell: Bieten Sie Hilfe an, und freuen Sie sich mit dem behinderten Menschen, wenn diese nicht nötig ist.

Autor:

Thomas Militzer aus Wanne-Eickel

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