Messe Essen - ein Bürgerentscheid und der Kampf um städtisches Geld

Wer kriegt das letzte Geld der Stadt? - Gibt es mehr Kredite für neue Messegebäude oder bleibt doch noch ein bischen übrig für Schulen, Busse und Straßenbahnen?
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Das Entscheidungsdatum 19. Januar 2014, an dem Essens BürgerInnen hoffentlich mit einem "Ja!" für die Notbremse gegen den 123 Mio-€-Kredit stimmen, rückt merkbar näher. Die Frage, ob die geplante größte Nachkriegsinvestition unserer ( hoffentlich) knapp an der Pleite vorbeischrammenden Stadt tatsächlich der Bau neuer Messehallen am Grugapark sein soll, bringt viele Menschen in Bewegung . Der Kampf David gegen Goliath wird dabei zusehends härter.
Leider können die Bürgergruppen, die unter anderem mit Hilfe der GRÜNEN und der Linken die Vergabe des 123 Mio-€-Kredit an die Messe im nächsten Monat noch stoppen wollen, nicht wie die "Pro-Messe-Front" auf einen 120 000-€-Werbeetat zurückgreifen. Diverse Sponsoren aus Kreisen der Rüttenscheider Gastronomie und Hotellerie, wie auch interessierter Immobilienbesitzer glauben durch Werbekampagnen - wie einer "Nacht der Plakate pro Messe" - durchsetzen zu können, dass auch noch die letzten Kreditmöglichkeiten der Stadt für neue Messehallen, Parkhäuser und Büroflächen für etwa 200 Messeangestellte eingesetzt werden
.

Die Messe GmbH erzeugt tiefrote Bilanzwerte

Erstaunlicherweise lassen sich die Stadtspitzen von SPD, der CDU wie auch die Vorstände von VERDI und DGB dafür vereinnahmen, mit der Lobbypolitik für den Kredit an die Messe GmbH das Wohlergehen eines speziellen städtischen Betriebes hervorzuheben. Unverzichtbare städtische Daseinsvorsorge, für die Investitionen auch in schlechten Zeiten nötig sind, wird aber doch wohl eher beim ÖPNV, bei Beschäftigungsgesellschaften oder bei der gemeinnützigen Suchthilfe GmbH geleistet. Im Gegensatz zur defizitären "schönen Stadttochter" Messe wird bei anderen, scheinbar "häßlichen" Stadttöchtern aber seit Jahren der städtische Zuschussgürtel immer enger geschnallt, bis dann schließlich Nahverkehrslinien nicht mehr ordentlich bedient werden können, oder erfolgreiche Programme zur Drogenprävention einfach auslaufen müssen.

Essener Bürger kennen wichtigere Baustellen als neue Messehallen.

Die erfolgreiche Unterschriftenaktion des Bürgerbegehrens "Kein Messeumbau um jeden Preis!" hat aber mit über über 16000 vom Wahlamt anerkannten Unterschriften gezeigt, dass viele EssenerInnen die wahren Dringlichkeiten der Stadt erkannt haben. An wie vielen Schulgebäuden, Sportplätzen, Turnhallen, Schwimmbädern oder im ÖPNV, Investitionen dringender notwendig sind, als bei der Messegesellchaft ist tagtäglich zu erleben.

Fast 130 Mio € Messezuschüsse seit 2001

Immerhin hat die Stadt Essen allein seit 2001 in verschiedener Form, als Kapitaleinlage, Sacheinlage Hotel oder z.b. durch Zuweisung von Grundstückseigentum knapp unter 130 Mio € Zuschüsse an die Messegesellschaft gezahlt. Selbst wenn der erneute städtische Kredit von 123 Mio € durch den Bürgerentscheid verhindert wird, bleiben noch 13,5 Mio € übrig, die im Stadtrat für die nächsten Jahre bereits in früheren Beschlüssen der Messe als regelmäßiger Zuschuss zugesagt wurden. Nicht wenig Geld also Richtung Rüttenscheid, wenn seit Jahren sichtbar andere Gebäude und Infrastruktur der Stadt zerfallen, weil im Stadthaushalt die Erhaltungsmittel erheblich niedriger ausfallen, als normale Abnutzung zerstört. Es ist deshalb wirklich Unsinn, davon zu sprechen, beim "Ja" zum Bürgerentscheid würde über das Aus für die Messe entschieden.

Hintergrundinfos zur wirtschaftlichen Lage der Messe Essen

Jan-Karsten Meier, Essener Mitglied des Bundesvorstandes von UnternehmensGrün e.V., hat bereits vor einigen Wochen viele Probleme unserer stadteigenen Messegeschaft zusammengefasst. Auch auf der Bürgerversammlung in Rüttenscheid stellte er dar, wie weitgehend "die Messe am Tropf der städtischen Finanzen hängt" und ihr leider selbst erarbeitete wirtschaftliche Erfolge fehlen.
J.-K. Meier kommt dabei für die Messezukunft zu äußerst kritischen Schlüssen, die eine Mehrheit der Aktiven für den Bürgerentscheid bisher in dieser Schärfe noch nicht teilt, die aber trotzdem nicht leicht von der Hand zu weisen sind.
"Die Messegesellschaft der Stadt Essen plant ihren Umbau mit der Rückendeckung der Ratsmehrheit von CDU, SPD und FDP, als ob sie ein florierendes erfolgreiches Unternehmen wäre und die Stadt Essen finanziell aus dem Vollen schöpfen könnte.
... Die Messegesellschaft hat ihr Eigenkapital, welches ihr von der Stadt vor 10 bzw. 5 Jahren jeweils als Sacheinlagen von Gebäuden und Gelände zur Verfügung gestellt worden war, sang- und klanglos verpulvert. Ohne städtische Garantien wäre sie bereits heute insolvent! .... Die Messelandschaft in Deutschland ist geprägt von Überkapazitäten. Mehr als 34 staatliche (und oft hochsubventionierte) Messegesellschaften konkurrieren in einem stagnierenden Markt. Viele Leitmessen werden mittlerweile in die Schwellenländer, die die größten Käufermärkte für die deutsche Industrie ausmachen, verlagert. Das Internet schafft alternative Handelsplattformen, Videokonferenzen verdrängen Kongresse und konventionelle Konferenzen. Als Folge davon werden gerade die mittleren Messestandorte – wie Essen - leiden: Die erfolgreichen Messen wachsen und müssen zwangsläufig an die großen Standorte Frankfurt, Düsseldorf und München etc. abwandern, kleine Spezialisten können sich in Nischen halten, z.B. Dortmund oder Wiesbaden. Verlustfrei (von nennenswerten nachhaltigen Gewinnen kann man auch dort kaum sprechen!) arbeiten nur Große und professionell geführte Regionalmessen, wie z.B. Nürnberg.

Messe Essen mit überdurchschnittlich hohen Pro-Kopf-Gehältern

Ein Vergleich der Bilanzen und Geschäftsberichte ... vergleichbarer Messegesellschaften zeigt, dass die Messe Essen sich ...auszeichnet durch überdurchschnittlich hohe Pro-Kopf-Gehälter (20% höher als in Nürnberg und 54% höher als in Dortmund!), durch unproduktives Personal (der Umsatz je Beschäftigtem beträgt nur 54% des Pro-Kopf-Umsatzes der Messe Nürnberg!) und durch schlechte Flächenauslastung (in Nürnberg werden je m² Ausstellungsfläche 794.-€ jährlich, in Essen ganze 540.-€ umgesetzt.). Kurz gefasst: Essen hat doppelt soviel Personal (Parteibuch, „Abstellgleis“ für überzähliges städtisches Personal?…) wie nötig und bezahlt es „dafür“ doppelt so teuer! ... Ohne eine grundlegende Verbesserung dieses Zustandes wäre auch bei optimalen räumlichen Möglichkeiten nicht an eine wirtschaftliche Verbesserung zu glauben!
In diese Gemengelage stolpert nun die Messegeschäftsführung und die mit ihr verbandelten Ratsfraktionen mit einer Neubauplanung von mehr als 123 Mio.€, ohne es für nötig zu halten, dafür eine Wirtschaftlichkeitsberechnung vorzulegen, die einer fachlichen Nachprüfung standhielte. Als Hauptargument müssen nebulöse volkswirtschaftliche Effekte (Gastronomie in Rüttenscheid, Hotels etc.) herhalten. Da wird von mehr als 3.300 Jobs schwadroniert, die angeblich nur von der Messe abhängen. Dabei bescheinigen die Messe und der Oberbürgermeister sich selbst, dass den durchschnittlichen neu hinzukommenden Defiziten von 13 Mio. aus Abschreibungen und Zinsen nur mögliche Steuereinnnahmen durch diese Effekte von 3,4 Mio.€ gegenüberstehen: Die Stadt zahlt also 10 Mio. drauf! Jährlich! Eine Messe sollte eigentlich keine karitative sondern eine wirtschaftliche Veranstaltung sein…
Was könnte ... Essen ...mit dem Grundstück der Messe in Zukunft anfangen? Bei einem Bodenrichtwert von 350.-€/m² könnten die Cross-Border-Schulden komplett getilgt werden. Dort ließen sich 10.000 Büroarbeitsplätze einrichten (die vermutlich auch in Rüttenscheid mittags sogar ganzjährig futtern würden…) und der Stadt an Steuern mindestens 20 Mio. Einkommenssteueranteil bescheren würden.
Die Wahl der Bürgerinnen und Bürger lautet also: Jährlich 10 Mio.€ für den suboptimalen Bestand und nochmal 10 Mio.€ für die (am Markt vorbei errichteten) Neubauten zahlen, oder Alles in zukunftsfähige hochwertige Jobs umwandeln und 20 Mio.€ einnehmen? Wie ignorant muß man eigentlich sein, um sich angesichts maroder Schultoiletten und Stadtfinanzen für eine derartige Messe-Erweiterung zu entscheiden?"

Noch ist wahrscheinlich eine Mehrheit der UnterschützerInnen damit zufrieden, mit einem "Ja!" beim Bürgerentscheid nur den 123 Mio€-Kredit für den weiteren Messeausbau zu stoppen und für andere Investitionen der Stadt zu retten. Wenn die sogenannte "Pro-Messe-Lobby" allerdings auch weiterin völlig kompromisslos für ihr Konzept streitet, dürfte sich das ändern.

Bürgerversammlungen zum Bürgerentscheid gegen den 123 Mio € Kredit

Beginnend jeweils um 19.00 Uhr finden in allen Essener Bezirken Info-Veranstaltungen zum Bürgerentscheid über die Messe Essen statt. Zwei Informationsveranstaltungen des Bündnisses " Messeumbau nicht um jeden Preis" in Katernberg und Rüttenscheid haben bereits gezeigt, dass Essens BürgerInnen die Bedeutung der umstrittenen Geldvergabe an die Messe GmbH erkannt haben. Waren bei der Auftaktveranstaltung zum Bürgerentscheid im evangelischen Gemeindehaus "Kontakte" am Katernberg Markt erst knapp über 30 interessierte BürgerInnen gekommen, so wurde im Veranstaltungsssal der Rüttenscheider Evangelischen Gemeinde an der Alfredstraße das halbe Hundert gut überschritten.
Hatte in Katernberg Hans-Peter Leymann-Kurtz, Vorsitzender Linken Ratsfraktion die Moderation des Abends übernommen, stellte sich in Rüttenscheider der Grüne Landtagsabgeordnete und Essener Kreisvorsitzende der Grünen, Mehrdad
Mostofizadeh der Aufgabe, die oft emotionsgeladene Diskussion zu ordnen.
Jens Wientapper und Prof. Wilfried Breyvogel, Vertretungsberechtigter für das Bürgerbegehren, boten als Auftakt einen Vortrag und Schaudiagramme zur steigenden Verschuldungslage der städtischen Messe GmbH und den ebenso steigenden jährlichen Zuschüssen der Stadt Essen, mit denen der Messebetrieb auch künftig ermöglicht werden soll. Vervollständigt wurde das Podium von Marie-Rose Joos, Vorsitzende des Essener Gruppe des Bundes für Umwelt und Naturschutz, ebenfalls Vertretungsberechtigte des Bürgerbegehrens.
Natürlich stellte der einleitende Vortrag dar, wie sich insbesondere seit 2001 die Einnahmen und Umsätze der Messe GmbH im Rhythmus der alljährlichen, 2-; 3 und insbesondere einiger großer nur alle 4 Jahre durchgeführter internationaler Messen, wie der "Schweißen und Schneiden" in den Geschäftsjahren äußerst unterschiedlich entwicklen, zum Schluß aber doch immer in Defiziten endeten.

Debattenorte zum Bürgerentscheid - direkte BürgerInnenbeteiligung

Mehr Debatten zur Messezukunft und den Folgen städtischer Zuschüsse exlusiv für die Messe, gibt es am 10.12. in Altendorf. Diakonie in der Ohmstr.9, Kindergarten; am 12.12. in Borbeck, in der Gaststätte Krebs, Borbecker Str. 180; am 17.12. Altenessen im ev. Gemeindezentrum, Hövelstr. 73 ; am 19.12. Südviertel in der Sternquelle, Schäferstr.; am 7.1. 2014 im Steeler Grend, Westfalenstr. 311 und am 9.1. 2014 in den Domstuben Werden, Brückstraße - Beginn ist jeweils 19.00 Uhr, weitere Veranstaltungen und Aktionen werden dazu kommen.

Wer braucht eine Messe-Charta?

Da haben sich vor kurzem tatsächliche und selbst ernannte Honoratioren der Stadtgesellschaft eine Charta für die Messe GmbH ausgedacht - das soll die dauerhafte Zuschussexistenz dieser städtischen Firma anscheinend in den Status einer unveräußerlichen Menschenrechtscharta oder der alt ehrwürdigen Magna Charta der Rechte britischer Bürger heben.
Ob mit so viel falschem Pathos die EssenerInnen überzeugt werden können, unsere übrig gebliebene Kreditfähigkeit erbarmungslos in den überdimensionierten Messeausbau zu stecken, ist zum Glück zweifelhaft. Utopie bleibt für die Subventionsvergabe der Stadt Essen an die Messe wohl ebenfalls die Hoffnung, sie könnte in absehbarer Zeit wirtschaftlich in der Lage sein, diese Gelder auch wieder zurückfließen zu lassen. Noch ist die Messe verpflichtet, erst einmal die Gebäude des vor einem Jahrzehnt fertig gestellten Messehallenkomplex West abzuzahlen ( Bellinibau u.a.), von denen sie Teile ja bereits wieder abreissen will.
Ohne die städtischen Zuschüsse, die die nächsten Jahre jeweils 13,5 Mio € betragen werden, müsste die Messe in kürzester Zeit Konkurs anmelden. Dass die jetzigen Neubaupläne für "nur" 123 Mio € zu verwirklichen sind, kann niemand glauben, der weiss, dass bereits die Messehallen West rund 50 Mio € teurer wurden, als veranschlagt. Schon die Messeausbauten der neunziger Jahre - Messehaus Süd - das jetzt ja wieder abgerissen werden soll, kosteten 10 Mio € mehr als geplant. Wo diese dann fehlenden Mittel schließlich herkommen - ist auch klar - aus der städtischen Prioritätenliste wichtiger anderer Bauprojekte müssen dann Vorhaben gestrichen werden.
Deshalb wird hier eine vielleicht für Essen wesentlichere Alternativcharta angeboten:

Essener Charta für zukunftsweisende Schulbauten

„Essen ist Schulstadt. Das ist seit mehr als 100 Jahren so und soll auch so bleiben. Jedes Jahr besuchen rund 80000 Schülerinnen und Schüler aus Essen und den Nachbargemeinden unsere Schulen und etwa 4500 Kinder werden neu eingeschult. Diese jungen Menschen sind eine Bereicherung für unsere Stadt – nicht nur im wirtschaftlichen Sinn. Damit unsere Schulen weiterhin erfolgreich sein können und zu guten Abschlüssen führen, müssen sie modernisiert werden. Nach umfangreicher Diskussion muss der Rat der Stadt schnellstens den bereits vorliegenden Konzepten zur Ertüchtigung und Modernisierung vieler Schulgebäude und Neubauten an einzelnen Schulstandorten zustimmen.
Als Bürger dieser Stadt stehen wir hinter unseren Schulen. Wir unterstützen nachdrücklich Beschlüsse des Rates zum Projekt einer Modernisierung unserer Schulbauten. Wir werden beim Bürgerentscheid am 19. Januar, der die Aufhebung des Ratsbeschlusses für den 123 Mio € Messe-Kredit zum Ziel hat, mit Ja stimmen. Denn wir sind gegen Arbeitsplatzvernichtung, gegen Investitionsstillstand und gegen Perspektivlosigkeit. Und wir bitten alle Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt, ebenfalls mit Ja zu stimmen. Für unsere Kinder und für unsere Stadt.“

Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage der GRÜNEN oder unter www.messe-buergerbegehren.de

Autor:

Walter Wandtke aus Essen-Nord

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