Auszahlung ALG-II im Supermarkt und DIE LINKE

Als die Meldung durch die Presse ging, dass das ALG II für Menschen ohne eigenes Giro-Konto an Supermarktkassen ausgezahlt werden kann, waren die Reaktionen recht lebendig. Wie immer, wenn es um Langzeitarbeitslose geht, ist zu erkennen, wie gespalten die Gesellschaft bereits ist.

Mein erster Gedanke war, dass dieses Vorgehen nicht nur gegen Datenschutzbestimmungen verstößt, sondern auch Leistungsbezieher in der Öffentlichkeit vorführt. Der Gedanke manch anderer im Netz bezog sich auf den Vorwurf, dass diese Menschen gar kein Konto besitzen. Also macht der Spalter dieser Gesellschaft aus einer Freiwilligkeit eine Pflicht. Es mag ganz unterschiedliche und auch individuelle Gründe geben, wieso sich ein Mensch gegen ein Konto entscheidet.

Zwar müssen die Länder gewährleisten, dass mindestens ein Bankinstitut jede Person als Bankkunden akzeptiert. Dennoch bleiben diese Girokonten mit Ausnahmen kostenpflichtig. Und wenn man als ALG-II-Bezieher schon Stromkosten und Mietlücken vom Regelsatz stemmen muss, sind halt zusätzliche Gebühren für ein Girokonto nicht mehr drin. Wer will sich also über einen Langzeitarbeitslosen verbal erheben, der nichts von den alltäglichen finanziellen Nöten weiß?

Die allgemeine Bankenpolitik mit ihren geplanten Negativzinsen, lässt Menschen, die jeden Cent drei Mal umdrehen müssen, nicht gerade Vertrauen in sie finden. Banken sind systemrelevant und man weiß nicht, was noch alles möglich ist. Bei all den Veränderungen, haben die Menschen einfach Angst, noch mehr zahlen zu müssen oder gar Geld zu verlieren. Banken bedienen einen Markt. Zu einem Markt gehört Vertrauen. Kein Vertrauen, keine Nachfrage. Gründe sind also gegeben und die Freiwilligkeit sowieso.

Man stelle sich eine Warteschlange an der Kasse vor, wenn ein Obdachloser ohne Girokonto sein ALG-II ausbezahlt bekommen möchte. Fußscharren, Seufzen oder gar ein: „Vergiss den Alkohol und die Zigaretten nicht“ -Ausruf. Das hat nichts mit Vorführen oder Datenschutz zu tun? Das hat nichts mit Menschenwürde zu tun?

Während auf dem Boden von Arztpraxen Begrenzungsstreifen für den Datenschutz vor dem Tresen gezogen werden, hat ein Langzeitarbeitsloser ohne Girokonto seine Rechte verwirkt?

Ich wollte es wieder ganz genau wissen und habe mich mit dem Büro von Katja Kipping (DIE LINKE) in Verbindung gesetzt. Voran ging eine Diskussion mit einer Facebook Freundin. Die derzeit einzige Partei im Bundestag, welche sich auf die Fahne schreibt, für Langzeitarbeitslose Politik machen zu wollen, ist DIE LINKE. Was also kann, will und wird diese Partei tun, um sich für die Rechte in diesem Fall stark zu machen?

Reaktion vom Büro Katja Kipping:

Auf Facebook gab Katja Kipping ein Statement zu diesem Thema ab, welches mir nicht weit genug ging. Ihre Empörung teile ich, aber was kann sie in ihrer Position tun? Was ist eine Opposition überhaupt wert? Also schrieb ich ihr:

„Wie Du schon in Deinem Facebook-Kommentar richtig beschrieben hast, ist diese neue Idee der Stigmatisierung von Langzeitarbeitslosen nicht hinnehmbar. Auch antwortest Du mir, dass Ihr auf das Sozialministerium Druck ausüben werdet. Mir ist jedoch wichtig, wie ein entsprechender Status hergestellt wird.

1. Mit dieser Art der Auszahlung werden Grundrechte der BürgerInnen gebrochen. Es geht um die Würde des Menschen, um Datenschutz und noch viel mehr. Ist es möglich, diese Umsetzung verfassungsrechtlich prüfen zu lassen?

Antwort aus dem Büro Kipping:

Sicher, wenn sich Anhaltspunkte für eine Verfassungswidrigkeit finden sollten.

2. Sollte eine verfassungsrechtliche Prüfung möglich sein, wird diese nur über den Einzelfall passieren? Oder ist es auch möglich, dass Parteien (in dem Falle DIE LINKE) eine entsprechende Prüfung in die Wege leitet?

Antwort aus dem Büro Kipping:

Bezüglich dieser Frage verweise ich auf unseren Ratgeber „Wer sich wehrt, lebt nicht verkehrt“: Darin wird deutlich, dass weder die Fraktion noch die Partei eine verfassungsrechtliche Prüfung durch das BVerfG vornehmen lassen kann. Im Klartext: Betroffene müssen selbst den Klage-/Prüfweg beschreiten…

Und hier sind wir an dem Punkt, an dem Langzeitarbeitslose stets gelangen. Sie selbst müssen aus ihrer eigenen Situation heraus handeln, klagen, sich wehren. Da ist niemand im Parlament, der in irgendeiner Form daran arbeiten würde, dass das Recht für jeden mit gleichem Aufwand zugängig ist. Wie bereits bei der Senkung der Kosten der Unterkunft (KdU) 2015 in Gelsenkirchen, müssen Betroffene mit ihrem eigenen Status, dem entsprechenden Bescheid, aktiv werden. Recht ist da, ist aber nicht mehr für alle zu erlangen.

Halten wir fest: Ein beispielsweise obdachloser Langzeitarbeitsloser muss sich bis zum Bundes-Verfassungsgericht durchschlagen, um hier einen Status zu erwirken, dass das Parlament entsprechende Gesetze formuliert. Nicht, was nicht mit den Sanktionen und all den ganzen individuellen Unsäglichkeiten des SGB II-Fehlinterpretationen der Jobcenter schon Alltag ist.

3. Welche Wege können Parteien und auch BürgerInnen gehen, um einen Status zu erwirken?

Reaktion aus dem Büro Kipping:

Was für einen Status, was ist damit gemeint?

Es wunderte mich dann doch, diese Rückfrage zu erhalten. Gerade darum geht es doch in meiner Anfrage: Was ist der nächste Schritt, den diese Partei bindend unternehmen kann, um aktiv gegen dieses Thema vorgehen zu können? Ich antwortete:

„In Frage 3 erkundigen Sie sich, welcher Status gemeint ist. Beim ALG II wird dieses Wort gerne in Fällen verwand, wenn Post vom Amt kommt. Es geht also darum, ob es nur irgendein einschüchterndes Blabla ist ober ob eben ein Status (ggf. Sanktion) geschaffen wurde, auf den man entsprechend (mit geltendem Recht) reagieren kann/muss.

In diesem Falle müsste ich auch ein wenig die Phantasie spielen lassen. Also ein Status könnte beispielsweise sein, dass man zu diesem Vorhaben eine einstweilige Verfügung ausspricht, damit die Auszahlung auf Grund von Datenschutzbestimmungen nicht umgesetzt wird. Dieser Status wird bis auf Weiters gehalten, bis dass Gerichte ggf. entschieden haben. So in etwa. Also eine (rechts)verbindliche Situation.“

Habe ich gerade wirklich erklären müssen, was im Bundestag eigentlich Tagesgeschäft sein sollte?!

Dazu die Antwort aus dem Büro Kipping:

Jede/r Anspruchsberechtigte/r hat eine Art „rechtsverbindlichen“ Status, Behörden sind an Recht und Gesetz gebunden. Daher können ja auch Betroffene Widersprüche einlegen und klagen. Eine einstweilige Verfügung können Gerichte erlassen.

Und da sind wir wieder beim Betroffenen. Der schwarze Peter landet immer beim schwächsten Glied in der Kette.

4. Bei allem Respekt vor Deiner/Eurer Arbeit, wüsste ich gerne, wie der Druck auf das Sozialministerium aussehen könnte. Welche konkreten Schritte können folgen, um entsprechend zu handeln?

Antwort aus dem Büro Kipping:

Wir werden eine Anfrage an das zuständige Ministerium als auch direkt per Brief Fragen an die Bundesagentur stellen. In Abhängigkeit von den konkreten Antworten, werden wir weitere Schritte unternehmen.

Ich stelle also fest, dass der Druck, den DIE LINKE auf das Sozialministerium ausüben will nichts anderes ist, als das, was ich ebenfalls mache: Eine Anfrage stellen. Übe ich jetzt Druck auf DIE LINKE aus?

Wir sehen, diese Partei scheint ein zahnloser Tiger zu sein. Und ja, es mag daran liegen, dass ihre Handhabe in der Opposition mehr als beschränkt ist. Aber einen wirklichen Willen, dieser Ungerechtigkeit beizukommen, erkenne ich ebenfalls nicht. Was mich nach dieser Korrespondenz beschäftigt ist:

  • Die Parteien, welche die Agenda 2010 umgesetzt, verschärft und unterstützt haben, sorgten stets dafür, dass zwar nominell Recht und Gesetz da ist, aber nicht für alle. Ob der Datenschutz in diesem Fall gebrochen wird, kann ein Langzeitarbeitsloser nicht wirklich für sich lösen
  • Was ist eine Opposition noch wert? Was sind die wirklichen Aufgaben in einer Opposition, außer schöne Reden zu schwingen?
  • Ist DIE LINKE wirklich eine Partei, welche sich für Langzeitarbeitslose einsetzt oder nur über sie redet?

Überzeugt haben mich die Antworten leider nicht.

Zu meiner wiederholten Anfrage über die „Sozialen Teilhabe“ habe ich nun die Antwort erhalten:

Bezüglich dieser Fragen, werde ich unsere Referent/innen konsultieren, da dies ein komplexes Thema ist. Ich melde mich mit den Antworten.

Dann hadern wir mal den Dingen, die da kommen werden. Ich bleibe dran.

Autor:

Sandra Stoffers aus Recklinghausen

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