Wenn ein Flüchtling zum Migranten wird

Was hat ein Video von Jan Böhmermann mit der Flüchtlingspolitik der EU zu tun? Scheinbar zunächst gar nichts. Lassen Sie es mich mal so angehen:

Jan Böhmermann ist ein Deutscher Satiriker und bekannt aus Funk und Fernsehen. Man muss ihn nicht mögen, kann aber. Wir können als BürgerInnen bisweilen noch frei entscheiden, welche Form von Satire, Kabarett und Comedy wir annehmen oder eben auch nicht. Das ist die Grundlage der Demokratie: Keine Zensur, die Entscheidung der Informationsquelle obliegt dem Individuum.

Seit das Satiremagazin Extra3 ein Video über den Präsidenten der Türkei Recep Tayyip Erdoğan veröffentlichte, verändert sich die Debatte um die Pressefreiheit auch in Deutschland. Herr Erdoğan reagierte erzürnt. Ich glaube, das hat bisher jeder mitbekommen. Nun darf er sich gerne aufregen, ärgern und Rumpelstilzchen spielen, auf die Pressefreiheit in Deutschland sollte dies jedoch keinen Einfluss nehmen. Oder doch?

Jan Böhmermann legte in einem anderen Video gegen Erdoğan nach. Ich blickte kurz in dieses Video, fand es nicht sonderlich aufklärerisch aufgearbeitet und mein Desinteresse ließ mich dieses Video wieder wegklicken. Das war meine persönliche Entscheidung.

Haben wir von der Bundesregierung mal ein klares Statement erwartet, als Herr Erdoğan den Deutschen Botschafter einberief und Einfluss auf unsere Pressefreiheit nehmen wollte, so wurden wir enttäuscht. Anstatt sich klar zu positionieren weiß ich nicht mal, ob die Bundesregierung ein kleines Murmeln von sich gegeben hat. Sollte dies der Fall gewesen sein, hat man davon nicht so viel mitbekommen. Was man jedoch mitbekommen hat ist, dass sich nun Frau Bundeskanzlerin Merkel zum Video von Jan Böhmermann einmischt. Die Tagesschau schreibt:

„Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ein im ZDF ausgestrahltes und dann wieder gestrichenes Schmähgedicht Jan Böhmermanns über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan als “bewusst verletzend” kritisiert. Das habe sie in einem Telefonat mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu deutlich gemacht, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.“

Ach sie lebt doch, die Regierung. Man positioniert sich, aber nicht für die Pressefreiheit. Eher entschuldigt man sich beim türkischen Ministerpräsidenten. Was ist das für eine Aktion?

Und nun kommen wir zu der Verbindung, was die Pressefreiheit mit den Migranten und Flüchtlingen zu tun hat.

Seit dem 4. April 2016 werden die in Griechenland angekommenen Flüchtlinge wieder in die Türkei zurückgeführt. Im Gegenzug dazu werden Flüchtlinge aus der Türkei in die EU gebracht. Und nun kommt ein kleines, aber wichtiges Detail ins Spiel. Plötzlich werden die Flüchtlinge, die wieder in die Türkei zurückgeführt werden zu Migranten. Und ich fragte mich, welch eine Bedeutung das haben könnte. In der Tat, der Status dieser Menschen scheint sich zu verändern und somit auch ihre Rechte. So heißt es:

„Der wesentliche Unterschied von Flüchtlingen und Migranten besteht darin, dass Migranten in ihrem Herkunftsland keine Verfolgung droht und sie jederzeit in ihr Heimatland zurückkehren können. Sie kommen in den meisten Fällen, um ihre persönlichen Lebensbedingungen zu verbessern, um zu arbeiten oder aus familiären Gründen. Manche Migranten verlassen ihre Heimat aber auch aufgrund extremer Armut und Not – diese Menschen sind aber nach den Gesetzen grundsätzlich keine Flüchtlinge.“

Wird also mit der Rückführung der Menschen gleich ein Status dahingehend geändert, dass sie pauschal erst mal nicht als politisch verfolgt gelten und ihnen der Tod droht, werden sie in ihr Land zurückgeschickt? Ich bin noch recht unsicher, das Thema so richtig zu deuten und mag mich gerne korrigieren lassen. Aber sollte die EU mit diesem Abkommen Herrn Erdoğan ein Instrument in die Hand geben, Menschen willkürlich wieder in den sicheren Tod zu schicken, kommen bei mir Worte aus der jüngsten Vergangenheit hoch. Ich will es so nicht glauben und hoffe, ja bitte gar darum, dass mich jemand überzeugt, dass ich mich irre.

Es bleiben auch Fragen offen, ob die 6 Mrd. Euro, über die Herr Erdoğan bald verfügen kann, auch zweckgebunden sind. Es sind noch so viele Fragen offen. Aber dass die Bundesregierung im eigenen Land die Presse- und Meinungsfreiheit beschränken will, um Herrn Erdoğan bei seinen Abschiebemöglichkeiten zu unterstützen, macht mir Angst.

Autor:

Sandra Stoffers aus Recklinghausen

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