Die Verabschiedung des Haushalts 2015. Ein ausführlicher Ereignis- und Hintergrundbericht der letzten Ratssitzung am 18.12.14.

Christiane Lang

Es ist nicht ganz trivial, wie es zur Verabschiedung des Haushalts 2015 kam. Daher schien es sinnvoll dieses Mal einen ausführlichen Schritt-für-Schritt-Bericht zu schreiben. Herausgekommen ist ein langer, aber hoffentlich lohnender Text, der die Bredouillen der aktuellen Politik aufzeigt.

Oktober 2014: Grundsteuererhöhungen werden aufgrund explodierender Kosten vorgeschlagen, denen man sich nicht entziehen kann.

Im Oktober 2014 hat die Verwaltung für 2015 vorgeschlagen, die Hebesätze für die Grundsteuer A (Land- und Forstwirtschaft) von 270 auf 390, für Grundsteuer B (alle anderen) von 540 auf 660 anzuheben. Auslöser waren unvorhergesehen niedrigere Gewerbesteuereinnahmen und insbesondere Kostenexplosionen für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen und Erziehungshilfe, aufgrund der in jüngster Vergangenheit stark anwachsenden Flüchtlingsbewegungen in der Welt. Dies sind Kosten, denen man sich gesetzlich wie auch moralisch nicht entziehen kann. Zusammen mit den geringeren Gewerbesteuereinnahmen reißen diese ein Loch von mehr als 2 Mio. EUR zusätzlichen Schulden in den Haushaltsplan. Die Bredouille dabei: Die Stadt Hattingen ist seit 2011 Teil des Stärkungspaktes und erhält bis 2021 jährlich Millionenhilfen. Als Gegenleistung muss Hattingen ab 2016 bis 2021 einen Haushalt vorlegen, der keine neuen Schulden aufnimmt. Das heißt: Der Vertrag mit dem Land zwingt Hattingen zu Steuererhöhungen, weil die Stadt die angesprochenen Kosten auch rechtlich nicht reduzieren kann (mehr dazu, siehe im Exkurs zum Stärkungspakt unten).

Dezember 2014: Steuererhöhungen werden beschlossen. SPD will noch weitergehen und scheitert.

Am 18.12.2014 ist die abschließende Sitzung des Stadtrates. Die Grund- und Gewerbesteuersatzung wie auch der Gesamthaushalt 2015 stehen auf der Tagesordnung. Die SPD stellt einen Antrag, der folgende, noch höhere Hebesätze vorsieht: Grundsteuer A von 270 auf 430, Grundsteuer B von 270 auf 695 und Gewerbesteuer von 490 auf 525. Der Letztere wäre der höchste Satz in ganz NRW gewesen. Selbst Städte wie Oberhausen („Rote Laterne“ in NRW) oder Witten (schlechtes Beispiel direkt in der Umgebung) hätten das nicht getoppt. Dieser Antrag wurde - weil weitreichender - vor dem Verwaltungsvorschlag abgestimmt. Wegen der noch höheren Sätze und/oder das verschreckende Signal der Gewerbesteuer haben alle anderen Fraktionen den SPD-Antrag abgelehnt.

Es gibt eine Sitzungsunterbrechung, in der sich die SPD zur internen Beratung zurückzieht. Danach wurde dann der ursprüngliche Verwaltungsvorschlag abgestimmt. Da die SPD diesen nun vollständig abgelehnt hat, wurde auch dieser nicht angenommen.

Erneute Sitzungsunterbrechung, weil als nächstes der Haushalt insgesamt abgestimmt werden sollte, dieser aber ohne die Hebesatzsatzung hinfällig wäre. Denn entweder würde ein Haushalt beschlossen, dessen Ausgaben bei weitem nicht gedeckt sind und damit gegen den Stärkungspakt verstößt und Hattingen keine Mittel vom Land mehr zu erwarten hätte. Oder eine Ablehnung des Haushaltes und damit kein Beschluss eines Haushaltes hätte dagegen die Einstellung sämtlicher Leistungen zum 1.1.2015 zur Folge, außer den gesetzlich zwingendst notwendigen. Vergleichbar mit einer Haushaltssperre, wie wir sie auf Landesebene erlebt haben. Damit wären schlagartig über das gesetzliche Maß hinausgehende Jugendhilfe, Altenpflege, die Sportplatz- und -hallenunterhaltung, VHS, Musikschule, Stadtbibliothek u.v.m. eingestellt worden.
In der Sitzungsunterbrechung schließen sich die Fraktionsvorsitzenden und stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden zu Verhandlungen ein. Raus kommt: SPD macht ein „Kompromiss“angebot. Grundsteuer A weiterhin 430, Grundsteuer B sogar 710 und Gewerbesteuer 510 Hebesatzpunkte, jeweils ab 01.07.15. Nun ziehen sich die einzelnen Fraktionen zu Beratungen zurück. Seitens der CDU entsteht Unbehagen, da sie die Ablehnung der Steuersatzung durch die SPD, nachdem sie mit ihrem Vorschlag nicht durchgekommen ist, als bewusste Inkaufnahme eines nicht genehmigungsfähigen Haushaltes wertet. Dadurch würden die anderen Fraktionen in Verhandlungen gezwungen, mit denen die SPD doch noch versuche, noch höhere Steuersätze durchzudrücken. Aber auch die anderen Fraktionen signalisieren, dass sie auf den Vorschlag der SPD nicht eingehen werden.

Nach rechtlicher Prüfung durch den Kämmerer Frank Burbulla wird der SPD-Vorschlag gänzlich kassiert. Zwischenjährliche Steuererhöhungen sind gesetzlich nicht möglich. Stattdessen habe er mögliche Umformulierungen im Haushalt gefunden, die die fehlende Hebesatzsatzung umgehen. Damit werden die ursprünglich im Verwaltungsvorschlag vorgesehenen Steuersätze nicht in der Steuersatzung, aber in den Haushalt aufgenommen. Dennoch bleibe die Notwendigkeit, das widersprüchliche Verhalten der Aufsichtsbehörde zu erklären.

All das passierte in den Fluren und Nebenräumen des Rathauses. Erst dann ging die Sitzung weiter. Die SPD lässt ihren Vorschlag fallen, da hinfällig. Stattdessen werden die Vorschläge vom Kämmerer beantragt. Und diese werden letztlich angenommen, auch von der SPD. Damit sind die ursprünglich vorgeschlagenen 390 (Grundsteuer A) und 660 (Grundsteuer B) im Haushalt, aber ohne eine gültige Hebesatzsatzung. Denn diese kann nicht erneut abgestimmt werden, da endgültig abgelehnt.

Exkurs: Warum das Land und der Bund die Kommunen in die Verschuldung drängen, sie zu Steuererhöhungen zwingen und die Kommunen dafür den Kopf herhalten müssen.

Wie kommt es zu immer mehr ausufernen Ausgaben und Steuererhöhungen? 2011 wurde das sog. Stärkungspaktgesetz vom Landtag NRW verabschiedet. Ziel dessen ist es, überschuldete Kommunen aus der Schuldenfalle zu retten. Dafür wird ihnen im Zeitraum von 2011 bis 2010 jährlich 350 Mio. EUR zur Verfügung gestellt. Im Gegenzug müssen diese Städte einen klaren Sanierungskurs einschlagen, ab 2016 bis 2012 einen Haushalt ohne neue Schuldenaufnahme vorweisen. Für die 34 akut betroffenen Kommunen in NRW ist dies rechtsverbindlich und nicht freiwillig. Hattingen gehört zu diesen Kommunen der „Stufe 1“.

Was sehr sinnvoll klingt, wird in seinem Sinn jedoch durch die weitere Landespolitik verkehrt: Durch den Automatismus des Stärkungspaktgesetzes muss jede Mehrausgabe spätestens ab 2016 durch höhere Einnahmen kompensiert werden. Egal, ob die Kommune diese Kosten verursacht hat oder sich dieser entziehen kann. Und so legte das Land durch die schnelle Einführung der Inklusion an darauf mangelhaft vorbereiteten Schulen, des offenen Ganztages, der Bund durch den Rechtsanspruch auf einen KITA-Platz uvm. jeweils Kosten, die sie verursacht haben, auf die Kommunen um. Die Kosten werden zwar teilweise, aber nie vollständig übernommen. Durch immer mehr derart übertragene, aber nie vollständig durch die beauftragende Ebene übernommene Aufgaben, entwickelt sich eine gefährliche Kostenspirale für die Kommunen.

Unter diesen Kosten ächzt auch Hattingen. Die Steuererhöhungen in diesem Jahr resultieren z.B. aus einer dieser übertragenen Kosten (Flüchtlingshilfe), für deren Entstehung sie aber nichts können (aber die internationale Politik). So erstatten andere Länder, wie Bayern, aber auch strukturschwache Länder wie das Saarland und Mecklenburg-Vorpommern die Kosten durch zusätzliche Flüchtlingsunterbringung vollständig. NRW dagegen nicht. Und der Automatismus des Stärkungspaktgesetzes greift dennoch unerbittlich: Zusätzliche Kosten muss die Kommune durch Steuern refinanzieren. So haben bereits 54 der 61 Stärkungspaktkommunen (Stufe 1 und Stufe 2) an der Steuerschraube gedreht.

Hinzu kommen formelle Anreizwirkungen im kommunalen Finanzausgleich. Bei der Berechnung der Schlüsselzuweisungen des Landes an die einzelnen Kommunen – das sind die Mittel, die das Land den Kommunen für die Übertragung von Aufgaben zur Verfügung stellt – werden für die Berechnung der Finanzstärke der Kommunen „fiktive“ Steuerhebesätze angenommen. Dadurch, dass sich diese in den Berechnungen des Finanzausgleiches jährlich erhöhen, besteht zudem der Anreiz für die Kommunen die Realsteuern zu erhöhen. Ansonsten würden sie sich im Finanzausgleich schlechter stellen.

Fazit: Nirgendwo anders gibt es das Phänomen, dazu gezwungen zu werden Kredite aufzunehmen, für etwas, was jemand anderes verlangt. Außer bei den Kommunen. Die beschriebenen Sachverhalte belegte jüngst auch eine Studie der Wirtschaftsprüfüngsgesellschaft E&Y.

Man kann gespannt sein, wohin das zukünftig noch führen wird.

Autor:

Nicolas Baumeister aus Hattingen

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