„Hurra, ich bin hautnah dabei!“

Jürgen Schwiese ist einer der 540 Freiwilligen, die hinter den Kulissen des Eurovision SongContest mitwirken. Für ihn ist das kein „Job“, sondern eine Herzensangelegenheit, denn der Hattinger ist seit 44 Jahren Fan. Foto: privat
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  • Jürgen Schwiese ist einer der 540 Freiwilligen, die hinter den Kulissen des Eurovision SongContest mitwirken. Für ihn ist das kein „Job“, sondern eine Herzensangelegenheit, denn der Hattinger ist seit 44 Jahren Fan. Foto: privat
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„Germany: twelve points; L’Allemagne: douze points“. Nach 30 Jahren beim Eurovision Song-Contest (ESC) fiel dieses Jury-Urteil im vergangenen Jahr nach „Satellite“ so oft wie bei keiner anderen Nation. Daher ist Deutschland am 14. Mai in Düsseldorf nach Nicoles „Ein bisschen Frieden“ Austragungsort der diesjährigen Mammutveranstaltung – Lena sei Dank!

Und Jürgen Schwiese. Der Hattinger und nach seinen Worten ESC-Verrückte, über den der STADTSPIEGEL bereits mehrfach berichtete, hatte sich selbstverständlich sofort beworben, als freiwillige Helfer, so genannte „Volunteers“, gesucht wurden. Ähnlich wie bei der letzten Fußball-WM in Deutschland sollen sie den reibungslosen Ablauf beim einstigen „Grandprix Eurovision de la Chanson“ sicherstellen helfen.
„Viel ausgerechnet hatte ich mir ja nicht“, gesteht der selbstständige Kaufmann. Obwohl er sich im allerbesten Mannesalter befindet, was aber dennoch bedeutet, jenseits der 50. Doch mit seinem Auftreten, seiner Begeisterung und nicht zuletzt wegen seiner ausgezeichneten Englisch-Kenntnisse wurde er einer der 540 Volunteers. Und noch besser: Seine Aufgabe heißt Gästebetreuung. Nur 50 Gästebetreuer gibt es. Nicht nur sie sind heiß begehrt, bei den sie betreuenden Gästen nämlich, sondern auch unter den Volunteers gibt es eine Art „Rangordnung“, bei der die Gästebetreuer in der Wunschliste ziemlich weit oben rangieren. Schließlich haben sie ständig unmittelbaren Kontakt zu den Künstlern und ihren Delegationen.
„Der Job ist schon ganz schön stressig“, gibt Jürgen Schwiese zu. Zwei Wochen seines Jahresurlaubs hat er dennoch liebend gerne für den Eurovision Song-Contest geopfert. Als echter Fan kann es nichts Größeres geben, als mehr als nur dabei zu sein. Was ist da schon eine Sieben-Tage-Woche mit mindestens acht echt harten Arbeitsstunden, für die es am Ende bestenfalls einen warmen Händedruck und ein herzliches Dankeschön gibt?
„Das ist eine ganz neue Welt, die sich einem da auftut“, sagt Jürgen Schwiese und beschreibt einen typischen Tagesablauf so:
Je nach Ablaufplan, den er den Tag zuvor bekommen hat, fängt er in Düsseldorf an, stellt sein Auto auf einem reservierten Parkplatz ab und wird mit den anderen Volunteers per Shuttlebus zur Arena gefahren. Trotz Akkreditierung sind hier mehrere Sicherheitsschleusen zu überwinden – „safety first“ gilt hier mehr denn je. Dann schlüpft er in seine orangefarbene Kluft mit der Aufschrift Volunteer und einem genau so gemeinten Aufdruck „May I Help You? – Darf ich Ihnen helfen?“ Dass Jürgen Schwiese als Gästebetreuer „access all areas“ hat, sich also in allen Bereichen aufhalten darf, ist selbstverständlich.
Ab jetzt ist für ihn und seine Kollegen die Uhr der treueste und unbestechlichste, oft auch gnadenlose Begleiter. Es gilt nämlich einen ganz genau ausgearbeiteten Zeitplan einzuhalten.
Los geht es damit, die beispielsweise niederländische Delegation an der Halle zu empfangen, sie durch das Gewirr an Gängen durch die Arena zu bringen bis zur Aufnahmeleitung, wo jeder Künstler sein spezielles Mikro erhält, das ausschließlich auf ihn eingestellt und angepasst worden ist. Hier, im Bereich der Künstlergarderoben, erfolgt die Komplettverkabelung der auftretenden Künstler.
Und hier trennen sich die Wege der immer zu zweit auftretenden Gästebetreuer: Einer begleitet die Künstler bis zur Bühne, der andere geleitet die Delegation zu deren Sitzgruppe in der Arena. Von hier aus können die Delegierten die TV-Bilder und den Auftritt ihres Künstlers auf der Bühne live geradezu akribisch verfolgen.
Nach der Probe auf der Bühne treffen beide Gruppen wieder zusammen und werden in den „Viewing-Room“ gebracht. Hier wird der Auftritt untereinander noch einmal durchgesprochen und immer weiter verbessert. Bei der internen Kritik helfen die bei der Probe gemachten und hier aktuell zur Verfügung stehenden Aufnahmen.
In der Regel geht es danach zu irgendwelchen Pressekonferenzen. Hier müssen Jürgen Schwiese und seine Kollegen von unterwegs durchgeben, mit wie vielen Personen die Delegation bei der Pressekonferenz auftreten wird. Da geht es letztlich auch um so etwas Profanes wie Sitzplätze, damit jedes Delegationsmitglied einen Stuhl hat. Ist man im Pressecenter angekommen, kümmert sich Jürgen Schwiese während der Pressekonferenz um die Wünsche der Journalisten, Rundfunk- und Fernseh-Anstalten nach Einzelgesprächen („One-To-One-Interviews“), organisiert Räumlichkeiten dafür genauso wie Kleinigkeiten (Technik und Verpflegung) und sorgt immer dafür, dass der Zeitplan eingehalten wird.
Die Gästebetreuer arbeiten dabei ganz eng mit anderen Volunteers zusammen, den „Hosts“. Diese besondere Gruppe ist ausschließlich für die Künstler und deren Wohlbefinden zuständig, begleiten sie bis an ihr Hotel, sind immer hauteng dran am Geschehen.
Jürgen Schwiese: „Unsere Aufgabe als Gästebetreuer besteht unterm Strich darin, alle wichtigen Leute zusammen zu halten. Das ist umso schwieriger, je größer die Gruppe ist. Verspätungen sind immer schlecht und bringen Stress, aber positiven Stress, denn natürlich macht das alles einen Riesenspaß.“
Zu den Künstlern übrigens müssen die Volunteers Distanz wahren, dürfen sie nicht ansprechen und fotografieren schon einmal gar nicht. Sie sind für deren Wohlfühlen zuständig. „Trotzdem kommt man natürlich doch irgendwie ins Gespräch. Man ist ja schließlich eine ziemliche Zeit zusammen“, plaudert der Hattinger aus dem Nähkästchen. Manche sähen, dass man einen Fotoapparat dabei habe und ermunterten einen zu einem gemeinsamen Erinnerungsfoto. Dann sei das natürlich kein Problem. Besonders positiv aufgefallen sind ihm die Künstler und Delegationen aus Israel, Norwegen, den Niederlanden oder Georgien.
Es gäbe auch Negativbeispiele, aber – wie so oft im Gespräch mit dem STADTSPIEGEL – darf Jürgen Schwiese nicht darüber reden. Sowieso hatte er allerhand bürokratische Hürden zu überwinden, bis der federführende NDR seinem Gespräch mit dem STADTSPIEGEL überhaupt zustimmte. Ihm wurde genau gesagt, was er erzählen dürfe und was nicht. „Alles gut!“, sei so etwas wie das allgegenwärtige Motto schmunzelt Jürgen Schwiese.
Etwas Besonderes sei es für ihn gewesen, als er den deutschen TV-Kommentator Peter Urban getroffen habe: „Ich bin schließlich ESC-Fan seit 44 Jahren und kenne ihn von da schon ewig. Ich habe mich über das Treffen so gefreut, dass ich vor Aufregung und weil so den Tag über gewohnt zunächst Englisch mit ihm gesprochen habe. Bis wir beide lachend feststellten, dass es ja auch auf Deutsch mit uns gut klappt.“
„Den Tag der Tage“ nennt er den, als er „unserer“ Lena erstmals gegenüber stand. Das war am letzten Samstag: „Zwar durfte ich ihre Garderobe herrichten und auch ihr Gepäck dorthin schaffen, aber es gab im Vorfeld genaue Anweisungen, Lena erst recht nicht anzusprechen. Was wir aber schnell gemerkt haben, das ist, dass sie genauso ist, wie sie auch im Fernsehen bislang immer rüber gekommen ist: freundlich, unkompliziert und einfach unglaublich nett.“
Nachdem alle Volunteers anfangs doch sehr aufgeregt gewesen seien wegen der Zusammanarbeit mit „Prominenz“, sei das mittlerweile Routine geworden.
„Trotzdem ist für mich auch der Umgang mit Lena schon etwas Besonderes“, gesteht Jürgen Schwiese, der seine Pause extra so gelegt hatte, dass er die Probe der deutschen ESC-Hoffnung und ihren Beitrag „Taken By A Stranger“ live miterleben konnte. „Ich bin schließlich Fan der gesamten Veranstaltung und das seit über vier Jahrzehnten. Daher empfinde ich es immer noch als Privileg, so nah am Geschehen dran sein zu dürfen. Und der NDR gibt sich gerade auch für uns Volunteers wirklich Riesenmühe, dass für uns das Ganze unvergesslich wird. Die allgegenwärtige Menschlichkeit und Herzlichkeit bei aller nötigen Hektik machen für mich die Sache zu einer wirklich tollen Erfahrung. Das werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Ich habe eine wahnsinnige Hochachtung vor dem, was da auf die Beine gestellt wurde und natürlich würde ich es jederzeit wieder machen wollen. Aber jetzt ist erst einmal jetzt.“
Er sei stolz darauf, ein kleines Rädchen im Getriebe zu sein, wenn Europa sein Fest feiert: „Hunderte von Menschen haben im Vorfeld an den Vorbereitungen teilgenommen. Jeder freut sich auf den Samstag als krönenden Abschluss mit 36.000 Menschen, die live dabei sind in der Arena bei einer sicher wieder irren Stimmung, wie ich sie ja schon einmal selbst in Birmingham im weiten Rund sitzend erleben durfte.“
Auch diesmal wollte er eigentlich mit seiner Frau Marlies und Freunden am Samstag im Publikum sitzen und mit Lena um die Wette fiebern. Das wird Marlies Schwiese auch – doch allein. Ihr Mann Jürgen hingegen ist hinter den Kulissen ganz dicht dran am Geschehen – „dienstlich“.
Sein Experten-Tipp: „Natürlich kann ich ganz weit daneben liegen und selbstverständlich drücke ich Lena die Daumen. Sie wird sicher auf den vorderen Plätzen zu finden sein. Meine Favoriten auf den Sieg sind allerdings Bosnien-Herzegowina, Aserbaidschan, Schweden, England oder Irland.“

Jürgen Schwiese ist einer der 540 Freiwilligen, die hinter den Kulissen des Eurovision SongContest mitwirken. Für ihn ist das kein „Job“, sondern eine Herzensangelegenheit, denn der Hattinger ist seit 44 Jahren Fan. Foto: privat
Jürgen Schwiese im Allerheiligsten, dem Aufenthaltsraum von Lena und der deutschen Delegation beim Eurovision Song-Contest. Foto: privat
Autor:

Roland Römer aus Hattingen

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