Trauer in Coronazeiten
Trost muss im Blickfeld stehen, nicht das Virus

Trauernde benötigen gerade angesichts der aktuellen Beschränkungen menschliche Wärme, Trost und Verständnis. | Foto: KB
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Kein letzter Blick am Krankenbett, kein Abschiednehmen am Sarg, kein Händedruck am Grab, kein Kaffeetrinken nach der Beerdigung – Trauern in Lockdownzeiten ist eine einsame Angelegenheit, egal, ob die Verstorbenen mit Corona oder aufgrund anderer Ursachen aus dem Leben geschieden sind. Zwei Pfarrer, eine freie Trauerrednerin und ein Bestattungshaus aus Herten berichten von ihren Erfahrungen auf einem Gebiet, auf dem sich Menschlichkeit und Würde mehr als irgendwo anders auf dem Prüfstand befinden.

Dürfen wir unseren Verstorbenen noch einmal sehen? Dürfen wir überhaupt ins Bestattungshaus kommen? Wo darf die Abschiedsfeier stattfinden? Wie viele Menschen dürfen daran teilnehmen? Wer darf nicht kommen? Wo gilt die Maskenpflicht? Welche eigenen Ideen dürfen wir jetzt noch umsetzen, um uns zu verabschieden? Darf der Seelsorger oder Trauerredner uns als Familie eigentlich zuhause besuchen? Als wäre die Trauer um einen Verstorbenen und die Organisation einer Beerdigung an sich nicht schon Herausforderung genug, bewegen trauernde Angehörige ebenso wie die seelsorgerischen und dienstleistenden Kräfte seit Ausbruch der Pandemie viele rein praktische Probleme, die einer ständigen Veränderung unterliegen und es zusätzlich zu lösen gilt.

Hohe Hygienestandards gegen die Ansteckungsangst

Allen Beteiligten wird vieles abverlangt. „Selbstverständlich können uns die Angehörigen noch immer direkt im Bestattungshaus aufsuchen“, sagt Peter Hann vom Bestattungshaus Götza. Galten für Bestattungshäuser schon immer besonders hohe Hygieneanforderungen insbesondere bei der Versorgung der Toten, so mussten auch die Hertener Bestatter mit Blick auf Corona ihre Konzepte für Hygiene und Qualitätsmanagement grundlegend neu überdenken. Unterstützung erhalten sie im Zertifizierungsbereich durch den TÜV Rheinland, den Bundesverband Deutscher Bestatter und professionelle Unternehmen. „Unsere Mitarbeiter wurden im hygienischen Bereich auf dem hohen Niveau von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen geschult“, so Peter Hann. Um die Angst der Angehörigen vor Ansteckung so klein wie möglich zu halten, erfolge der Kundenkontakt unter großen Vorsichtsmaßnahmen. „Zum einen vergeben wir die Beratungstermine nach Möglichkeit so, dass sich die Trauergäste unterschiedlicher Sterbefälle nicht im Haus begegnen“, erklärt Bestattungsfachkraft Benedikt Koch und führt weiter aus: „Was wir telefonisch abklären können, besprechen wir schon im Vorfeld. „Um die Sicherheitsabstände zu gewährleisten, haben wir die Möglichkeit, mit mehreren Personen die Beratung in unserer hauseigenen Trauerhalle durchzuführen.“ Das Desinfizieren von benutzten Tischen und anderen Gegenständen sowie der Türklinken und der Haustürschelle nach jedem Besuch im Haus gehört ebenso wie der hohe Dokumentationsaufwand bei der Bestattung selbst zum Hygienekonzept dazu. „Das sehr zeitaufwändige Erfassen jedes einzelnen Teilnehmers bei den Trauerfeiern bedeutet vor allem für die Teilnehmenden selbst Umstand und Stress“, weiß Benedikt Koch.

Ohnmacht und Hilflosigkeit herrschen als Gefühl vor

Weitaus schwerer und in der Erinnerung beständiger als jede gute Vorsichtsmaßnahme jedoch wiegen die Gefühle der Angehörigen. „Wir erleben täglich die Hilflosigkeit und Verwirrung der Menschen, weil Trauerfeiern und Beisetzungen nicht wie gewohnt oder wie gewünscht stattfinden konnten“, so Koch. „Auch Wut und Schuldgefühle kommen auf, weil man den Sterbenden im Krankenhaus allein lassen musste, weil man ihn überhaupt ins Krankenhaus hat gehen lassen und ihn oftmals am Eingang zum Krankenhaus oder beim Einsteigen in den Krankenwagen zum letzten Mal lebend gesehen hat.“ Da die Trauerarbeit stagniere, könnten daraus schwerwiegende Folgen für die Angehörigen entstehen.

Pfarrer Norbert Mertens von der St. Antonius-Gemeinde und Pfarrer Andreas Wilkens von der Evangelischen Christus-Kirchengemeinde Herten berichten Ähnliches von der seelsorgerischen Seite. Beispiele von Ehepaaren, die beide an Corona erkrankt waren und von denen nur einer überlebt hat oder von Familien, in den alle Mitglieder infiziert waren, aber einige es nicht geschafft haben, können beide Seelsorger nennen. „Es ist eine Ohnmacht in diesen Zeiten“, schildert Norbert Mertens. Sind Corona und ein Krankenhausaufenthalt im Spiel, gibt es keinen direkten Kontakt mehr. „Immer wieder wird das in den Trauergesprächen thematisiert. Das Gefühl, nicht mehr da gewesen zu sein, als der andere es so dringend gebraucht hätte.“

Auch die Nächstenliebe wird beschränkt

Auch Andreas Wilkens ist häufig Zeuge der Hilflosigkeit: „Genaugenommen herrscht sie bei jedem Sterbefall vor, wenn der Tod überraschend kam, vielleicht noch stärker. Doch die Umstände sind jetzt sehr viel beschränkter.“ Ob diese Beschränkungen bei allem Respekt vor der hohen Ansteckungsgefahr des Virus menschlich sinnvoll sind, fragt sich Trauerrednerin Karin Bruns: „Es war im letzten Jahr während des ersten Lockdowns: Eine 92-jährige Mutter musste sich von ihrer an Krebs verstorbenen Tochter verabschieden. Obwohl die alte Frau schwer gehbehindert war, musste sie den sehr weiten Weg bis zum Grab mühsam und weinend am Rollator bewältigen und durfte keine stützende Hilfe von ihren Angehörigen bekommen. Als sie sich ein letztes Mal zur Urne Ihrer Tochter herunterbeugen und diese zum Abschied berühren wollte, wäre sie beinahe hingefallen.“ Bei der freien Hertener Rednerin hinterließ diese Szene ein bitteres Gefühl der Empörung: „An dieser Stelle halte ich die Abstandsregeln für grausam und überzogen, es ist ein Handeln gegen den gesunden Menschenverstand und gegen die Nächstenliebe. Die alte Dame durfte ja schließlich auch von einer im Haushalt lebenden Angehörigen im Auto zum Friedhof gebracht werden. Warum durfte nicht einmal diese eine helfende Hand reichen – alle hatten ja Schutzmasken auf und befanden sich an der frischen Luft?“

Hoher Wert von Ritualen

Insofern offenbaren Corona und die damit verbundenen Beschränkungen den Sinn und Wert von Ritualen, die bisher selbstverständlich dazugehörten. Jeder, der wollte, konnte früher an einer Trauerfeier teilnehmen. „Die engeren Angehörigen konnten darauf zählen, dass andere hinter ihnen standen, ihnen buchstäblich den Rücken stärkten. Das hinterließ nicht nur das Gefühl, dass der Verstorbene geachtet wurde, sondern gab auch den Hinterbliebenen Trost und Halt – genauso wie ein freundlicher Händedruck, ein verständnisvolles Schulterklopfen oder eine liebevolle Umarmung am Grab“, überlegt Peter Hann. Sein Mitarbeiter Benedikt Koch ergänzt: „Obwohl die Teilnehmerzahl ja von höherer Stelle beschränkt wurde, haben Angehörige oft ein schlechtes Gewissen, weil sie enge Freunde oder eigentlich gern gesehene Gäste von der Feier ausschließen müssen.“ Nicht zuletzt bleibt auch bei den Ausgeschlossenen trotz allem Verständnis für die Regelungen das Gefühl, nicht dazu zu gehören.
Auch Pfarrer Mertens hört oft Sätze wie: „Es geht ja nicht anders, aber er oder sie hätte eine viel größere Beerdigung verdient.“ Auch das Kaffeetrinken nach der Beerdigung nimmt jetzt, da es nicht erlaubt ist, einen viel größeren Raum in den Gedanken der Menschen ein. „Viele berichten mir, dass sie selbst nicht gedacht hätten, wie sehr sie das Treffen nach der Beisetzung vermissen“, so der katholische Geistliche. „Es fällt jetzt auf, wie dieser Übergang vom Tod zurück ins Leben fehlt und wie wichtig dabei auch die Menschen sind, die nicht so eng mit dem Verstorbenen verbunden waren. Gerade sie können die nächsten Angehörigen des Verstorbenen wieder aus der Situation des Verlustes hinausbegleiten.“

Ideen, die das Leid des Abschieds lindern helfen

Umso wichtiger sind derzeit Ideen, die innerhalb der aufgestellten Regelungen helfen, die Angehörigen aufzufangen und die mit guten Erinnerungen den Weg zurück ins Leben erleichtern können. So versucht Pfarrer Andreas Wilkens das Virus weitestgehend zumindest aus der Andacht für einen Verstorbenen herauszuhalten. „Ich will Corona nicht stärker machen als es ist, sondern vielmehr die Hinterbliebenen stärken. Der Trost muss im Vordergrund stehen, nicht das Virus“, so der evangelische Geistliche. Am Ewigkeitssonntag vor dem ersten Advent bot die Evangelische Christus-Kirchengemeinde allen Angehörigen des ganzen letzten Jahres an, ihrer Toten noch einmal im kleineren Kreis zu gedenken. „Für alle, die da waren, war das sehr tröstlich, aber viele machen das Erinnern mit sich aus“, sagt Andreas Wilkens. Dass der Tod ein Teil des Lebens sei, werde leider allzu oft aus dem gesellschaftlichen Denken ausgeschlossen. Um den Tod besser begreifen zu können, vor allem dann, wenn man sich nicht vom Verstorbenen verabschieden konnte, könnte es aus Wilkens Sicht hilfreich sein, noch einmal die Hand des Verstorbenen zu berühren, zumindest ein Foto davon zu sehen oder bei der Bestattung die Urne zu streicheln. Auch Trauerschmuck könne hier hilfreich sein, ergänzt Benedikt Koch: „Es gäbe unter anderem den Fingerprint, hierbei wird der Fingerabdruck des Verstorbenen von einem kompetenten Juwelier in ein Schmuckstück eingearbeitet. Auch eine Mini-Kapsel, z.B. mit einer Haarsträhne, als Kettenanhänger wäre eine Möglichkeit.“

Eierlikör und ein Lieblingslied am Grab

Auf sehr weltliche Weise bietet Trauerrednerin Bruns den Angehörigen Hilfe an. Im Mittelpunkt ihrer Reden steht das Leben und das Wesen des Menschen, der beerdigt wird. „Indem die Angehörigen mir vom Leben des Verstorbenen erzählen und versuchen, das mit ihm Erlebte einzuordnen, beginnt die Trauerarbeit.“ Und: „Ich versuche schon am Grab Bausteine für ein gutes Erinnern einzubauen. Eine Angehörige hat sich eine Likörzeremonie auf dem Friedhof gewünscht, weil ihr verstorbener Mann Eierlikör so sehr liebte. Also gab für jeden Trauergast ein kleines Waffelbecherchen mit selbstgemachtem Eierlikör.“ Und warum sollte das Lieblingslied des Verstorbenen nicht während der Trauerfeier oder am Grab gespielt werden dürfen? „Über einen mobilen Lautsprecher ist jedes Lied möglich. Auch Live-Musik ist bei genügendem Abstand von der Trauergesellschaft möglich. Einmal stand sogar ein Dudelsackspieler etwas weiter entfernt und spielte Amazing Grace.“
Norbert Mertens bestärkt die Hinterbliebenen darin, ganz bewusst Abschied von ihren Verstorbenen zu nehmen. „Man könnte schon während des Trauergesprächs zusammen Fotos anschauen. Auch später, wenn die Trauerfeier vorbei ist, ist das eine gute Erinnerungshilfe an die schönen Zeiten, die man miteinander hatte und es unterstützt bei dem Gedanken: Diese Zeiten sind jetzt vorbei, ich muss loslassen. Ich kann auch nur dazu ermuntern, dem Verstorbenen einen Brief zu schreiben und diesen mit ins Grab zu geben. Das ist – auch oft für Kinder – eine sehr bewusste Art, sich zu verabschieden und man kann alles, was man vielleicht noch hätte sagen wollen, loswerden.“

Online-Gedenkportale und Trauerfeiern per Videoübertragung

Viele Möglichkeiten bieten die Bestatter als Dienstleister auf diesem Gebiet – immer in enger Absprache mit den Hinterbliebenen. Ein Beispiel wären hauseigene Abschiedsräume: „Hier können die Angehörigen zu jeder Tages- und Nachtzeit – also auch zeitversetzt und einzeln Abschied vom Verstorbenen nehmen“, erklärt Benedikt Koch. Nach der Trauerfeier können die Angehörigen im Gedenkportal auf der Homepage Erinnerungsbücher mit Fotos anlegen und an Freunde verschicken, virtuelle Kerzen anzünden und Sterbeanzeigen einstellen.

Und was, wenn Angehörige aufgrund von Reisebeschränkungen gar keine Möglichkeit haben, an der Trauerfeier teilzunehmen? Einige Bestattungshäuser setzen hier auf neue technische Möglichkeiten wie beispielsweise Liveschaltungen von der Trauerfeier für die zuhause verbliebenen Familienmitglieder. Videoaufzeichnungen bot auch das Haus Götza schon an: „Wir haben im letzten Jahr zwei Beisetzungen mit der Kamera gefilmt. Einen Film haben wir digital nach Afrika versendet, den anderen nach Neuseeland“, so Koch. Befinden sich Angehörige zum Zeitpunkt des Trauergespräches noch in Quarantäne, setzt Karin Bruns ebenfalls auf digitale Kommunikation. „Die Videotelefonie ist da sehr hilfreich, sie ermöglicht zumindest eine angstfreie, sichere Atmosphäre auch für längere Gespräche“, findet die Trauerrednerin. „Einen kompletten Ersatz für ein persönliches, einfühlsames Treffen kann die Technik jedoch nicht bieten. Wir alle wünschen uns sehr, dass das Menschliche bald wieder im Vordergrund stehen darf.“

Autor:

Karin Bruns aus Herten

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