Glosse: Erlebnisurlaub in der Einkaufsgalaxie

Glücklich im Urlaubsort angekommen, die Ferienwohnung bezogen und den ersten Spaziergang durch Stadt, Land, Fluss gemacht, wendet man sich erstmal profaneren Dingen zu als dem nahenden Sonnenuntergang. Wir haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Durst! Also aufraffen und einen Supermarkt finden. Das ist nicht weiter schwierig, denn Gott hat die Supermärkte in der Regel direkt am Ortsausgang platziert. Und zwar im Rudel. Da gibt’s dann nicht nur Fressalien aller Art, sondern auch die Montags- und Donnerstagsschnäppchen einschlägig bekannter Ketten abzustauben.

Doch wehe Mensch, du stößt auf die Spezies Supermarkt mit den supergalaktischen Ausmaßen! Es fängt schon damit an, den richtigen Parkplatz anzusteuern und nicht im Liefereingang des gleichnamigen Baumarkts zu landen. Einkaufswagen ergattern und los. Der Kleinstadtmensch schaut ungläubig aus der Wäsche - welche Welt soll er bloß als erstes ansteuern? Die Kontinente Amerika, Afrika, Asien und Europa waren gestern, obwohl besucherzahlenmäßig könnte das hier und heute schon hinkommen.

Herzlich willkommen in der Frühstückswelt, der Frischewelt oder der Obst- und Gemüsewelt - wo man sich vorkommt wie in dem Film „Lost in... Tomatoes“. Fleisch- und Rispentomaten sind ja noch ok. Dann regalweise Cocktailtomaten, Cocktailrispentomaten, Cherrytomaten und Cherryrispentomaten. Alles Tomate – oder was? Frau guckt hilflos aus der Wäsche – und greift zu stinknormalen Rispentomaten.

Aber wo sind die Gurken? Beim Salat sind sie nicht. Beim Gemüse sind sie auch nicht. Beim Obst erst recht nicht. Hilfää, junger Mann, wo sind denn die... ach so, geradeaus bis zu den Paprika, dann erster Gang links, die dritte Abzweigung nach den Zwiebeln rechts? Ich brauch mein Navi, sofort!

Brötchen. Jede Menge und tütenweise Brötchen. Sesam-, Roggen-, Mohn-, Kürbiskern-, Sonnenblumenkern- äh, ich verzettel mich hier gerade. Und wo ist die Tüte für den Kleinstmengenbrötchenverzehrer? Nichts zu machen unter 10 Brötchen. Wo geht’s bitte gleich zum Ausgang?

Wir wandern, wir wandern, von einer Welt zur ander'n! Eine 10 Kilometer lange Bergwanderung ist nix gegen diesen Mammutmarsch im Supermarkt. Die Füße qualmen, der Kopf raucht. Die vergessene Zahnpasta gibt’s in der Badwelt. Die Auswahl augenbetäubend. Nach 20 Minuten endlich Zahnpastamarke unseres Vertrauens gefunden. Naturtrüben Apfelsaft nach einer halben Stunde in der Getränkewelt.

Auf dem Weg dorthin haben sich wundersamerweise ein lila T-Shirt aus der Modewelt, die praktische Zitronenpresse aus der Haushaltswarenwelt und ein spannender Roman aus der Bücherwelt in unseren Einkaufswagen verirrt. Neben uns rennt eine Familie schreiend zum Ausgang, da sie sich nicht auf eine Nudelsauce einigen konnten. Das Liebespärchen in der Hygienewelt bewirft sich mit Kondompackungen. Und Oma parkt den Opa in der Ruhezone ein, um in der Heimtextilwelt auf Schnäppchenjagd zu gehen.

Ruhezone? Dort lassen wir uns jetzt auch kurz nieder. Eine sanfte Stimme aus dem Lautsprecher lockt verlorene Seelen in den Süßwarenkosmos, doch wir widersagen. Hoffentlich ist wenigstens das Kassenuniversum gut besetzt, aber davon geh ich eigentlich aus: Denn irgendwo müssen die Tante Emmas dieser Welt ja ihr neues Auskommen finden...

Autor:

Christiane Bienemann aus Kleve

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