Verkorkste Schöpfung

~ * ~ * ~

„Mir reicht’s jetzt.“
Wütend zog sie sich zurück.
Sie war heute schon früh auf gewesen,
früher als gestern und vorgestern
und auch früher als die Tage vorher
und hatte sich schon draußen umgesehen.
Deshalb hatte sie auch jetzt die Nase voll.

„Wenn Du nicht aufhörst und endlich mitmachst, wird das doch nie etwas“, raunzte sie ihn an.
„Dann können wir das ganze hier vergessen.“
Er reagierte nicht und machte weiter. So kannte sie ihn gar nicht.
Noch nie war er ihr gegenüber derart kalt gewesen.
Nicht um diese Zeit. Da war er sonst doch immer völlig anders.

„Was ist denn los? Warum bist Du plötzlich gegen mich?
Du weißt doch, dass ich Deine Hilfe dringend brauche!
Nächste Woche ist schon Ostern und ich kann mein Programm unmöglich schaffen,
wenn Du mir nicht hilfst.“

Er ließ sich nicht beirren, wirkte taub und trotzig.
„Und ihr auch“, blaffte sie die anderen an. Sie strahlte jetzt nicht mehr.
„Auch ihr seid schuld, dass alles völlig Scheiße läuft.
Die ganzen Tage schon und jetzt selbst noch an einem Sonntag.“

Die anderen schauten nur verständnislos.
„Ach ist doch wahr“, resigniert sie und schaute noch einmal nach draußen.
„Seht Euch doch mal die Leute an.
Und die Regale in den Läden.
Noch immer alles voller Ostereier!“

Sie schauten auf die Straße und zuckten nur die Schultern, was sie ein wenig durcheinander brachte. Sie rempelten und schubsten.
Ansonsten aber waren sie sich einig.
Sie würden weiterhin zusammenhalten.

Dass sie immer wieder Front machten gegen sie, Tag für Tag, und dann auch noch gemeinsam, das fand sie nicht gut.
Sie gab sich alle Mühe, den Zeitplan einzuhalten, sie wusste, was zu tun war,
aber alleine hatte sie da mittlerweile keine Chance mehr.
Es ging doch nur, wenn sie an einem Strang zogen.
Sie seufzte.
Sie in einer Führungsposition, das war nicht immer so erstrebenswert, wie alle dachten.
Sie würde dringend etwas unternehmen müssen und endlich auf die Suche gehen.
Etwas anderes blieb ihr nicht mehr übrig …

„Rutsch mal“, verlangte sie und drückte sich an seine Seite, als sie ihn gefunden hatte.
„Jetzt hör‘ mir mal gut zu!
Wenn dieses Land in diesem Jahr nicht ganz den Bach hinuntergehen soll,
dann musst Du Dich zusammenreißen.
Ich habe hier zwar eine Vormachtstellung, aber Du bist immer noch der Chef!“

Er wirkte klein und grau, vergrub den Kopf in seinen Händen und schaute vor sich auf den Boden.
„Der Hebel ist mir abgebrochen“, sprach er hilflos.
„Der Hebel, mit dem dieses neue satellitengestützte Wettersystem in Gang zu bringen ist,
das viel besser funktionieren sollte, als das alte. Vor vielen Tagen schon.“

Er schaute sie verzweifelt an.
„Diese ganze Globalisierungskacke mit den Gebrauchsanweisungen aus China und diese Billigproduktion, das bringt uns noch völlig um.
„Slippel druck und dreh fuer UV-Licht Sonne himmelwärts.“ Wer soll denn das verstehen?“

Jetzt weinte er.
„Ach deshalb war mir morgens immer übel, wenn ich aufstehen wollte.“
Sie schaute durch die Ritzen.
Dass er heftig weinte, konnten sie da unten nicht auch noch gebrauchen.
Nicht schon wieder Schnee.

Sie sah ihn an, um ihn mit ihrem Blick zu wärmen.
„Warum hast Du denn nicht früher was davon gesagt?
Viel früher schon?
Wir hätten Dir doch helfen können.
Wir alle hätten helfen können.
Stattdessen resignierten sie und wurden immer gleichgültiger und kälter, dachten nur an sich und machten nur ihr Ding.
Der Wind und alle Wolken.
Und ich ja auch, die Sonne, die sie alle brauchen, um zu leben und zu überleben.“

Er nickte und kam sich ziemlich schlecht vor, unendlich schlecht sogar, wenn er ehrlich war.
Er hatte diesen Posten nicht verdient.
"Also!“ holte sie tief Luft,
„einen Wettergott mit Burn-out kann da unten auf der Erde niemand brauchen.
Lass uns zumindest noch den Frühling schaffen, bevor Du Dich behandeln lässt, sonst gerät die ganze Welt ja völlig aus den Fugen.
Der Sommer hat ja erst einmal noch Zeit.
Was stand denn noch in dieser Anleitung?“

Er angelte nach einem Zettel, der abgegriffen aussah und begann ihn zu entziffern:
„Fuer Farbe Grun unter Himmelreich machen Heissluft mit Legen Slippel blau quer um.“
„Hm.“
Sie nickte. „Und weiter?“
„Wenn Slippel blau quer um dreh ab Slippel swarz fuer offen himmelwärts blank dunkle Dampfwolke.“

Er schluckte.
„Aber so weit kam ich ja dann gar nicht mehr, weil der verdammte Hebel gleich schon zu Anfang abgebrochen ist.
Ich konnte also diese blöden Wolken nicht beiseite pusten.“

Die Sonne an seiner Seite musste an sich halten:
„Und dann? War das die ganze Anleitung?“
Er schüttelte den Kopf und lachte bitter:
„Nein, es gab noch einen letzten Satz:
„Lehn zuruck, Genuss die Wirkung alle Teile und freu an diese Schoepfung lange Zeit.“

Sie konnte jetzt nicht mehr verhindern, dass sie herzhaft lachte.
„Weißt Du was? Wir schauen einfach mal zusammen, was mit dem verdammten Hebel ist.
Ich leuchte Dir, damit Du besser sehen kannst und wir reparieren ihn, so gut es geht, damit es endlich wärmer werden kann“
, schlug sie ihm vor.
„Und wenn nicht, dann nehmen wir doch einfach noch einmal das alte Ding.
So schlecht war das letzte Jahr doch nun auch wieder nicht.
Das fällt doch keinem auf, wenn es nur endlich nicht mehr ganz so stürmisch und so eisig ist.“

Der Wettergott stand dankbar auf und trocknete die Tränen. So dicht an der Sonne war ihm dann doch warm geworden. Auch seine Finger waren nicht mehr ganz so klamm.
Er schaute ebenfalls kurz durch die Ritzen.
Dort unten fuhren sie die Streufahrzeuge zurück in ihre Hallen.
Er nahm den Vorschlag an.
Vielleicht konnte es mit ihrer Hilfe bis Ostern doch noch etwas werden …

© Sabine Schemmann, Freie Erzählungen März 2013

Autor:

Sabine Schemmann aus Bochum

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