Massenhafter Arbeitsplatzabbau bei Opel, Outokumpu und Blackberry trifft auf hilflose Wirtschaftsförderung

Denkmäler des 1. Strukturwandels im Ruhrgebiet | Foto: Tbachner, Wikipedia
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Immer neue Hiobsbotschaften erreichen Bochum: Opel, Outokumpu und Blackberry bauen massenhaft Arbeitsplätze ab. Gleichzeitig siedeln sich nur wenige Unternehmen neu in Bochum an. So stehen in Bochum bereits jetzt Gewerbe- und Büroflächen zu Hauf leer. Biomedizinpark, Exzenterhaus, Jahrhunderthaus, Kruppverwaltung sind nur die bekanntesten Beispiele.

Seit Jahren diskutieren die Parteien in Bochum über eine Neuausrichtung der städtischen Wirtschaftsförderung. Nach Jahren der Untätigkeit liegen lediglich ein paar erste Vorschläge zur Zusammenfassung von EGR und dem Amt für Wirtschaftsförderung vor.

Politik und Verwaltung haben es über Jahrzehnte versäumt die Wirtschaftsförderung zukunftsfähig aufzustellen. Die Folge: Heute, wo Opel, Outokumpu und Blackberry massenhaft Arbeitsplätze abbauen, ist die Wirtschaftsförderung völlig überfordert. Obwohl die Entwicklung schon seit Jahren absehbar war, ist die Wirtschaftsförderung darauf leider nicht vorbereitet. Trotzdem die Stadt bei Unternehmensbefragungen hinsichtlich ihrer Wirtschaftsfreundlichkeit immer wieder alarmierend schlecht abschneidet, passierte bei der Wirtschaftsförderung nichts Entscheidendes. Zuletzt 2012 kam Bochum bei der Studie der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) wieder nur auf Platz 43 von 50 Städten.

Politik und Verwaltung haben versagt.

Zwar haben die CDU und andere die SPD immer wieder aufgefordert, das Strukturdefizit bei der Wirtschaftsförderung endlich anzugehen. Doch passiert ist so gut wie nichts. Wirklich tief greifende Ideen für die erforderliche Restrukturierung hatte aber auch die CDU nicht. Zum Ende seiner Zeit als Vorsitzender der SPD-Ratsfraktion musste Heinz-Dieter Fleskes einräumen, dass er bedauert, dass dieses Thema seit der Kommunalwahl 2009 nicht wie eigentlich beabsichtigt vorangetrieben wurde.

Jetzt ist es fast zu spät. Die Wirtschaftsförderung wird nicht in der Lage sich in wenigen Monaten so aufzustellen, wie dies eigentlich schon seit Jahren hätte der Fall sein müssen. Die direkte Folge bedeutet für viele Menschen aus Bochum und Wattenscheid Arbeitslosigkeit oder Wegzug in prosperierende deutsche Wirtschaftregionen um dort Arbeit zu finden. Denn in Bochum fehlte es an notwendigen (Ersatz-)Arbeitsplätzen. Opel und Outokumpu bieten den Beschäftigten Arbeitstellen in anderen Werken an. Viele werden gezwungen sein diese mangels Alternativen in der Region anzunehmen und umzusiedeln.

Für Bochum und Wattenscheid bedeutet das, der ohnehin dramatische Bevölkerungsschwund wird sich vermutlich noch beschleunigen.

Warum versagt die Wirtschaftsförderung in Bochum derart eklatant? Drei wesentliche Ursachen sollen hier beleuchtet werden:

1. Das Selbstverständnis der Wirtschaftsförderung ist überholt. Man begleitet die Entwicklungen in der städtischen Wirtschaft und den Strukturwandel immer noch passiv. Es wird immer reagiert, nicht agiert. Versäumt wurde bereits 2004 für den Weggang von Opel vorzusorgen, als der Standort erstmals bedrohlich auf der Kippe stand. Stattdessen wird man jetzt tätig, wo das Ende unmittelbar bevor steht. Der Strukturwandel wird nicht aktiv mitgestaltet. Auch jetzt macht die Wirtschaftsförderung im Wesentlichen nur Angebote und wartet bis Unternehmen kommen und diese ggf. annehmen. Bleiben die Unternehmen aus, passiert nichts weiter.

Seit 7 Jahren passiert beim Biomedizinpark so gut wie nichts. Auch dieses Jahr werden die entsprechenden Flächen wieder bei der Expo Real angeboten. Auf der Messe steht Bochum neben allen anderen Städten nicht nur des Ruhrgebiets, sondern aus ganz Deutschland. Wenn Unternehmen da ausgerechnet auf Bochum stoßen, ist das bei der Fülle der kommunalen Anbieter mehr oder weniger Zufall.

Die Wirtschaftsförderung muss dahin, wo Unternehmen ihren Sitz haben, die interessiert sein könnten nach Bochum zu kommen.

Z.B. verfügt Bochum über viele Einwohner mit polnischen oder türkischen Wurzeln. In beiden Ländern ist die Wirtschaft in den letzten Jahren überproportional gewachsen. Polnische und türkische Unternehmen suchen daher Flächen, um zu wachsen. Doch die Wirtschaftsförderung muss nicht warten, bis die Unternehmen ggf. in Bochum anklopfen. Sie muss mit Muttersprachlern aus Bochum nach Polen und in die Türkei und dort aktiv für eine Ansiedlung in Bochum werben.

Während Bochum auf der Expo Real in der Konkurrenz untergeht, gibt es kaum Städte die vor Ort für die Kommunen werben. Hier kann man die Vorteile von Bochum den Unternehmen quasi exklusiv darstellen. Die Unternehmen spüren, dass sich die Stadt aktiv um sie bemüht, das schafft eine bessere Bindung, die für eine spätere Standortentscheidung letztlich entscheidend sein kann.

Zu überlegen ist, ob es sich lohnen würde in Warschau oder Istanbul Verbindungsbüros einzurichten oder dort Agenturen zu beauftragen, die vor Ort für Bochum werben oder z.B. Werbematerial gezielt auf polnisch und türkisch übersetzen zu lassen.

2. Die Wirtschaftsförderung in Bochum ist immer noch zu sehr auf die Ansiedlung von Großunternehmen fixiert. So wird für die Opelflächen jetzt insbesondere die Ansiedlung von großen Logistikunternehmen ins Auge gefasst. Andere Regionen verfolgen bewusst das Ziel kleine und mittlere Unternehmen zu gewinnen. Der wirtschaftliche Erfolg z.B. von Sachsen basiert auf genau dieser Strategie. Nach 20 Jahren macht sich diese Politik bezahlt. Man ist nicht mehr abhängig von der Konjunktur einiger weniger Unternehmen. Es wurden Netzwerke geschaffen zwischen vielen kleinen und mittleren Unternehmen untereinander und mit den zahlreichen Universitäten und Forschungseinrichtungen des Landes.

Dort ist ein Innovationsklima entstanden, das Unternehmensgründer anzieht, die auf den Wissensaustausch mit anderen Unternehmen und Institutionen ganz wesentlich angewiesen sind. Wollen etwa Unternehmen mit ganz unterschiedlichen Geschäftsfeldern ihr Geschäft nach Japan oder Korea erweitern, dann tauschen sie sich mit dem ebenfalls vor Ort ansässigen Hersteller von Fotopapier aus, der schon seit Jahren mit Canon, Fujitsu oder Epson gute Kundenbeziehung pflegt und weiß wie man japanische und koreanische Kunden gewinnen kann.

Natürlich macht es die Arbeit für die Wirtschaftsförderung einfacher, wenn es gelingt, wenige große Unternehmen anzusiedeln. Permanent mit vielen Unternehmen zu kommunizieren und zu verhandeln ist wesentlich aufwendiger. Wenn man allerdings eine Struktur- und ein Netzwerk mit vielen Unternehmen schaffen kann, dann ist die Stadt dauerhaft in Zeiten wirtschaftlicher Krisen wesentlich besser aufgestellt, als eine Stadt, deren Wirtschaft an der wirtschaftlichen Entwicklung weniger großer Unternehmen hängt.

Zudem entwickelt sich die deutsche Wirtschaft immer mehr zu einer Wissenswirtschaft. Immer bedeutender für den Erfolg der Unternehmen wird daher deren dauerhafte Innovationsfähigkeit. Aufgrund ihrer schlanken Organisation und ihrem Unternehmensgeist sind kleinere Unternehmen in dieser Hinsicht regelmäßig deutlich besser aufgestellt als deutlich bürokratischer strukturierte Großunternehmen.

3. Wichtige Stellen bei der EGR, der Wirtschaftförderung und dem Stadtmarketing sind mit Verwaltungsbeamten besetzt, die in der privaten Wirtschaft über keinerlei Erfahrung verfügen, da sie nie in einem Unternehmen gearbeitet haben. Entsprechend fehlt es an Wissen und Erfahrung, wie in Unternehmen gedacht wird und nach welchen Kriterien dort z.B. über Ansiedlungen entschieden wird. Hierzu drei typische Bochumer Karrieren:

Paul Aschenbrenner: Erst war er Mitarbeiter des Jugend-, Personal- und Kulturamts. Danach arbeitete er als SPD-Fraktionsgeschäftsführer, dann leitete er die Kämmerei und übernahm schließlich die Wirtschaftsförderung. Heute ist er Geschäftsführer der EGR.

Heinz-Martin Dirks: Diplom Verwaltungswirt, seit 1970 bei der Stadtverwaltung aufgestiegen, heute Leiter der Wirtschaftsförderung und Vorsitzender des Stadtbezirkes Ost der SPD, verheiratet mit der Präsidentin des Landtags NRW, Carina Gödecke, ebenfalls SPD.

Thomas Weckermann: Ebenfalls Diplom Verwaltungswirt, zunächst beschäftigt in der Bochumer Verwaltung. Hat dann gewechselt zum Stadtmarketing und ist dort heute Prokurist.

Wenn ein „Marketing-Experte“ seine Vorträge zum Stadtmarketing vom Blatt abliest ohne auch nur eine Folie zu präsentieren, dann wird erkennbar, dass seine Stärken wohl nicht im Marketing liegen, sondern wohl eher anderswo.

Die Positionen in der städtischen Wirtschaftsförderung wurden also nicht konsequent mit Personen besetzt, die über die nötigen fachlichen Kenntnisse verfügen, sondern insbesondere nach Parteibuch und vorheriger Karriere in der Verwaltung.

Erst nach einer tief greifenden Neuausrichtung der Wirtschaftsförderung, wird es möglich sein, die dringend erforderliche Neustrukturierung der Wirtschaft in Bochum einzuleiten. Trotzdem werden Politik und Verwaltung Geduld haben müssen, der erforderliche Wandel wird sich nicht in wenigen Jahren realisieren lassen. In Sachsen hat er zwei Jahrzehnte in Anspruch genommen.

Bochum könnte beim Strukturwandel heute schon viel weiter sein. Dieser Zeitverzug wird sich nicht mehr aufholen lassen. Umso wichtiger ist es, dass Politik und Verwaltung endlich tätig werden und die Weichen dafür stellen, dass eine grundlegend neu aufgestellte Wirtschaftsförderung mit frischem Personal, schlanker Struktur und neuer Strategie endlich durchstarten kann.

Volker Steude,
BÄH - Bochum ändern mit Herz
(ruhrblogxpublik)

Autor:

Dr. Volker Steude aus Bochum

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