Mehr Handwerker in den Bundestag!

Otto Kentzler, Präsident des ZDH | Foto: ZDH
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Die Welt am Sonntag portraitiert am 9. September auf einer Seite Handwerkspräsident Otto Kentzler in der Rubrik "Feierabend". Im Interview erklärt Kentzler die Schönheiten seiner Heimatregion, dem Ruhrgebiet, sagt, warum Arbeit bis 67 heute auch im Handwerk möglich ist und fordert "Mehr Handwerker in den Bundestag!"

Herr Kentzler, warum müssen wir ausgerechnet die Emscher entlang fahren?
Es gibt malerischere Plätze.

Otto Kentzler: Das wird für Sie eine Erlebnisfahrt! Die Emscher wird gerade zum Naherholungsgebiet. Der Verlauf, der lange Zeit begradigt war, wird jetzt in sein ursprüngliches Flussbett zurück verlegt, es werden Wander- und Radwege angelegt. Früher war das hier eine stinkende Kloake, da hätten Sie hier nur mit Nasenklammer fahren können.

Aber ein bisschen eklig ist es doch immer noch, wenn man sich vorstellt, dass es bis vor ein paar Jahren ein Abwasserkanal war. Trauen Sie sich mit den Füßen rein? Oder werden die dann weggeätzt?

Kentzler: Im Moment ist das Wasser etwas dreckig, weil es in der letzten Zeit so viel geregnet hat. Aber grundsätzlich würde ich mich trauen, natürlich.

Wieso haben Sie eigentlich Zeit, mitten in der Woche mit dem Fahrrad durchs Dortmunder Naherholungsgebiet zu radeln? Ich dachte, als Handwerkspräsident sitzt man in einer Limousine und hetzt in Berlin von einem Termin zum nächsten.

Kentzler: Alles zu seiner Zeit. Berlin ist ein interessanter Platz, weil man da sein muss, um das Handwerk und seine kleinen Betriebe zu vertreten. Für mich als Unternehmer war es anfangs nicht ganz einfach, mich da einzufinden, inmitten von Lobbyisten. Ich wollte schnelle Entscheidungen, klare, geradlinige. Ich habe lernen müssen, dass das nicht so einfach ist.

Sind Lobbyisten ein anderer Menschenschlag?

Kentzler: Lobbyist kann man nicht lernen. Sie müssen den Politikern erklären können, welche Auswirkungen Gesetze für die Betroffenen haben - und um das erklären zu können, muss man die Materie natürlich erst durchdringen. Der römische Staatsmann Cato sagte vor mehr als zweitausend Jahren: Rem tene, verba sequentur - wenn man die Sache versteht, kommen die Worte von alleine. (hält an): Schauen Sie, dort auf der Brücke, das ist die Umgehungsstraße. Und unter der Brücke sehen Sie besonders schön, was aus der Emscher geworden ist. Früher herrschte hier höchste Gefahr, es war ein steiler, eingefasster Kanal, eingezäunt mit hoher Fließgeschwindigkeit.

Ich als Kölnerin würde sagen: Das ist ein Bach.

Kentzler: Die Emscher hat auch nie den Anspruch eines Flusses gehabt. Da haben Sie sich möglicherweise was Falsches vorgestellt.

Es tut mir leid, falls ich Sie jetzt in Ihrer Ruhrgebietler-Ehre gekränkt haben sollte. Man muss schon einem besonderen Menschenschlag angehören, um diese Gegend hier zu lieben, stimmt´s?

Kentzler: Nicht alle Rheinländer sind so ungnädig wie Sie. Ja, das Ruhrgebiet
wird von Jahr zu Jahr schöner, eine Tour de Ruhr lohnt sich auch für Sie. Toll war, als wir Kulturhauptstadt waren und wir alle die B1 besetzt haben. Da war die Handwerkskammer ganz groß dabei. Wir haben mit Jungmusikanten ein Konzert auf der Autobahn gegeben und haben Waffeln gebacken.

Der Charme dessen, auf der Autobahn Waffeln zu essen, erschließt sich mir nicht unmittelbar.

Kentzler: Wenn Sie die B1 sonst sehen, das ist unsere Lebensader, da reiht sich ein Auto ans andere - und auf einmal ist da nix, nur Natur und Menschen ohne Blechkisten, aber mit Musik und Begeisterung!

Mit anderen Worten: Für Ruhrgebietler ist die Autobahn ein essenzieller Lebensbestandteil.

Kentzler: Ja, sie verlassen ja von Duisburg bis Dortmund nie Bebauung. Wir haben auch keine Grabenkämpfe zwischen den Städten, so wie Sie in Köln mit Düsseldorf. Das Ruhrgebiet ist schon immer ein riesiger Schmelztiegel gewesen. Das merken Sie schon an den ganzen Namen, die auf -ski enden, wie Schimanski. Das hat mit der Stahlverhüttung und dem Bergbau begonnen, für den man Arbeitskräfte aus Oberschlesien brauchte - so dass wir im Ruhrgebiet Integration immer auf der Tagesordnung hatten. Wir sind sehr offen miteinander, man kommt als Neuer gut rein. (hält noch einmal an) So, jetzt schauen Sie mal hier.

Das ist ja eine Aussicht!

Kentzler: Das hier ist der Phönix-See. Hier war früher ... (überlegt) Dreck. Ab hier war Stahl, hier konnten Sie die Loren fahren sehen. Heute ist hier ein See, da fahren am Wochenende Windsurfer. Da hinten sehen Sie die Skyline von Hörde. Und dahinter steht die Stiftskirche, die hat von Kentzler den Turmhelm aus Kupfer bekommen.

Ihr bekanntestes Alu-Dach hier in der Gegend ist aber das auf der Westfalen-Halle.

Kentzler: Ja, das muss so um 1950 gewesen sein, als unser Betrieb das Dach baute. Damals war mein Onkel der Chef, und während dieses Baus habe ich von ihm meine erste Ohrfeige bezogen. Ich war damals 13 Jahre alt und bin mit raufgestiegen, zum Gucken. Da bin ich zu nah an den Dachrand ran, wo zum Teil schon die Gerüste abgebaut waren. Und da hab ich mir eine eingefangen. Mein Onkel war mein Ziehvater, nachdem mein Vater im Krieg umgekommen ist.

Steigen Sie heute selbst noch mit aufs Dach?

Kentzler: Manchmal, wenn meine Erfahrung gefragt ist, dann gehe ich mit aufs Dach und gucke.

Kein Wunder, wo Sie selbst mit 70 noch so gut beieinander sind, dass Sie politisch die Rente ab 67 befürworten. Und das, obwohl es gerade im Handwerk doch fast ausschließlich Jobs gibt, in denen hart körperlich gearbeitet werden muss.

Kentzler: In den Handwerksbetrieben gibt es heute ganz andere Arbeitsweisen. Früher hat man alles mit der Hand gemacht, heute gibt es dafür Geräte. Und es gibt heute, was ich immer "vorbeugende Instandhaltung" nenne. Rückenschulen zum Beispiel. So bleiben die Leute länger fit - und jeder Einzelne kann zur Stabilisierung der Demografie beitragen.

Da bin ich skeptisch. Ich habe einen Bekannten, der ist Elektriker und muss alle paar Tage Kanäle in die Wände fräsen, und da muss in Stoßzeiten jeder ran, egal wie alt. Ich glaube kaum, dass jemand eine solch anstrengende Arbeit noch mit 67 machen kann.

Kentzler: Dann muss der Betrieb schauen, wie er die Arbeit anders einteilen kann. Und wenn es nicht geht, muss der Chef mit dem Betroffenen sprechen und sagen: Es hat keinen Sinn. Aber die Statistik zeigt, dass - auch in den Handwerksbetrieben - immer mehr Ältere in den Betrieben bleiben. Auch bei uns, bei den Dachdeckern, muss man heute nicht mehr Pfannen hochwerfen und Speisvogel hoch schleppen.

Fühlen Sie sich manchmal zu alt für all das, was Sie sich mit 70 noch aufhalsen? Sie führen mit Ihrem Sohn zusammen den Betrieb, und dann fahren Sie auch noch zwei Mal pro Woche nach Berlin.

Kentzler: Ich nicht unbedingt, aber meine Frau hat schon mehrfach versucht, die rote Karte zu ziehen.

Warum haben Sie nicht auf Ihre Frau gehört?

Kentzler: Die Ämter, und alle Begleitveranstaltungen, die kommen, das hat uns irgendwie überrollt. Das ist natürlich nicht nur anstrengend, sondern auch sehr spannend. Da gehören Arbeitstreffen wie etwa die jährliche Begegnung der Wirtschaft mit dem Bundeskabinett in Meseberg dazu, oder auch informelle Treffen beispielsweise am Rande der Wagner-Premiere in Bayreuth.

Und Sie treffen Leute wie Kanzlerin Angela Merkel, mit der Sie manchmal mehrmals im Monat zusammen sitzen.

Kentzler: Ja, aber ich suche den regelmäßigen Kontakt zu den Vertreterinnen und Vertretern aller Parteien. Politische Gespräche fallen bei gegenseitiger Sympathie leichter.

Ist Frau Merkel Ihnen sympathisch?

Kentzler: Ja, doch, ist sie. Ich war anfangs zurückhaltend, weil ich dachte, vielleicht ist sie durch ihre Herkunft - studierte Physikerin – etwas anders auf dem Weg als ich. Aber ich muss sagen, ich habe selten einen Politiker gesehen, der so sachorientiert denken kann. Und der sich bei Unsicherheiten sofort den Rat seiner Mitarbeiter einholt. Frau Merkel zeigt beispielhaft, dass man auch über parteipolitische Grenzen hinweg gut gemeinsam arbeiten kann, wenn man sich auf persönlicher Ebene gut versteht.

Das heißt, Sie könnten sogar Leute von der FDP mögen?

Kentzler: Was ist das denn für eine Frage? Der Bundeswirtschaftsminister weiß mit Handwerk jedenfalls eine Menge anzufangen.

Wie stehen Sie grundsätzlich zu Politikern? Aus Ihrem Umkreis ist zu hören, sie hielten nicht viel von solchen Berufspolitikern, die noch nie etwas anderes gearbeitet haben.

Kentzler: Bei mir klingt das eher positiv: Ich wünschte mir einfach mehr Handwerker im Bundestag. Es geht in der Politik ja nicht um Theorie, sondern um unser praktisches Leben. Leider gibt es viel zu wenige Mittelständler in der Bundespolitik. Wir haben einen Gesprächszirkel der Bundestagsabgeordneten mit handwerklichem Hintergrund in Berlin, deren Zahl ist eher gering. In einer eigenen Debatte zum Handwerk hat der Bundestag jedoch kürzlich viele positive Seiten hervorgehoben. Zum Beispiel, wie wir versuchen, die Integration von Langzeitarbeitslosen voranzubringen, oder auffällig gewordene Jugendliche durch Ausbildungsplätze von der Straße zu holen. (hält an) So, jetzt sehen Sie schon unsere Bildungsstätte, da gibt es gleich Mittagessen, das haben wir uns jetzt verdient.

Interview: Anette Dowideit

Quelle: ZDH

Zu Handwerksthemen finden Sie ebenfalls Beiträge unter http://malerillu.de. , dem Online Magazin der Maler- und Lackierer-Innung Düsseldorf sowie unter http://maler-düsseldorf.de und http://energie-und-fassade.de

Autor:

Heiner Pistorius aus Düsseldorf

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