Hunderte an Aufsichtsräten verdienen mit
Braucht Deutschland sechzig Verkehrsverbünde?

Doppelspurbetrieb in Essen und Mülheim | Foto: Andreas Walter
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Der Vorschlag von Bundesverkehrsminister Volker Wissing, die Anzahl der 60 Verkehrsverbünde in Deutschland zu reduzieren, mag nur auf den ersten Blick wie ein Ablenkungsmanöver klingen, denn berechtigt ist er allemal. Die Diskussion ist vielmehr längst überfällig. Deutschland denkt europäisch und übt sich nicht nur im ÖPNV in schon fast typischer Kleinstaaterei. Jeder Verbund hat seinen eigenen Aufbau, seine eigenen Regeln und Zuständigkeiten und natürlich eigene politische Gremien. In einigen Fällen gibt es Kooperationen mit den Nachbarverbünden, die allerdings auf freiwilliger Basis beruhen.
Der fahrgastunfreundliche Nahverkehrsdschungel wirkt mehr abschreckend als einladend, er ist unübersichtlich, kompliziert und erstickt im Regelungswirrwar. Besonders auffällig ist dies bei den Tarifangeboten, bei denen eigentlich Einfachheit und Nutzerfreundlichkeit an erster Stelle stehen sollten. Wie gesagt „eigentlich“!

Hier darf der Hund, dort das Fahrrad und manchmal sogar eine Begleitperson mitgenommen werden. Der VRR bietet neben dem Ticket 1000 und dem Ticket 2000 unter anderem ein Schoko-Ticket, ein Young-Ticket Plus, ein Sozial-Ticket, verschiedene Flex-Tickets, ein 30-Tage-Ticket und ein 1.-Klasse-Ticket an. Daneben jetzt das Deutschland-Ticket, von dem es auch noch eine soziale Variante gibt. Die Regelungswut kennt keine Grenzen. Bis auf das Deutschland-Ticket sind die anderen Tarifangebote auf den VRR-Raum begrenzt. Dazu gibt es Übergangstarife und zahlreiche landesweit gültige NRW-Tickets.
Dass der Normalverbraucher sich hier fragt „ticken die noch richtig“ ist mehr als verständlich.

Keine Frage also, die aufgeblähten Organisationstrukturen sind ebenso wie das Tarifdickicht nicht mehr zeitgemäß und gehören nicht erst seit heute auf den Prüfstand. Und auch was sich -wie vom VRR behauptet- bewährt hat, muss nach mehr als vierzig Jahren nicht mehr die einzig richtige Lösung sein. Doch schon die Aussage allein lässt wenig Änderungsbereitschaft erkennen.
Ein -dazu noch völlig berechtigter- Hinweis genügt, um die Beharrungskräfte auf den Plan zu rufen. Volker Wissing wird ein dickes Brett bohren müssen. Dass dies der Mühe wert ist, steht außer Zweifel. Schließlich sind die mit einer bundesweiten ÖPNV- Generalreform verbundenen Einsparungen nicht einmalig, sondern dauerhaft. Man sollte sie daher alles andere als kleinreden, wie es jetzt teilweise versucht wird, um mit wackligen Argumenten den Status Quo zu retten. Ganz zu schweigen von den zu erwartenden Vorteilen für den Fahrgast.

Dass es auch anders geht, beweist einmal mehr der Freistaat Bayern. Das einwohnerstarke und flächengrößte deutsche Bundesland hat im Jahr 1995 im Zuge der Bahnreform zur Planung, Gestaltung, Organisation und Finanzierung des gesamten Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) die landeseigene Bayrische Eisenbahngesellschaft (BEG) gegründet. Als weiteres Beispiel ist die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG) zu nennen.
In Nordrhein-Westfalen gibt es dafür drei (früher sogar neun) kommunale Zweckverbände, die sich bei grenzüberschreitenden Linien untereinander abstimmen müssen. Auch hier liegt also noch Optimierungspotenzial.

Es sind allerdings nicht nur die sechzig Verkehrsverbünde, die dem gesamten ÖPNV im Lande und den Nutzerinnen und Nutzern des Nahverkehrs Schranken auferlegen.
Die Vielzahl der kommunalen Verkehrsunternehmen tut ein Übriges. Muss fast jede Stadt und fast jeder Kreis heutzutage noch einen eigenen Verkehrsbetrieb vorhalten? Allein im VRR sind es rund 25 Gesellschaften. Mit den dazugehörenden kommunalen Aufsichtsräten.

Steht das Kirchturmsdenken trotz zunehmend knapper Kassen der Kommunen immer noch über dem großen Ganzen, über fließende und grenzüberschreitende Verkehrslinien, über vereinfachte und schlanke Strukturen, über erhebliche und ebenfalls dauerhafte Einsparungseffekte, über die es nachzudenken schon die Pflicht eines jeden Kommunalpolitikers sein sollte, oder ist allein die Wahrung des Besitzstandes auch zukünftig der entscheidende Parameter bei der Organisation und Durchführung des öffentlichen Personennahverkehrs?

Die Unbeweglichkeit kommunaler Politik und Verwaltung zeigt ein Beispiel aus den Städten Essen und Mülheim an der Ruhr. Als die Verkehrsbetriebe beider Städte vor einigen Jahren in einem durchaus bemerkenswerten Schritt zur Ruhrbahn fusionierten, ist der naheliegende Vorschlag, für beide Städte einen gemeinsamen Nahverkehrsplan aufzustellen, krachend gescheitert.

Andreas Walter, Vorsitzender der FREIE WÄHLER Ruhrgebiet: "Es mutet geradezu grotesk an, wenn Konsolidierungsideen bereits im Ansatz abgebügelt werden, weil der Spareffekt nicht bereits kurzfristig eintritt. Als Politiker muss man Weitsicht haben und die Perspektive erkennen. Ich glaube manchmal, dass es nur um den Erhalt von Einfluss durch die kommunalen Aufsichtsräte geht, in denen man selber oder die Parteikollegen sitzen. Aber, das ist natürlich aus der Luft gegriffen."

Zum Schluss sei noch an eine bereits Jahre zurückliegende launige Bemerkung des ehemaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert erinnert, im Ruhrgebiet gebe es fast mehr Verkehrsbetriebe als Fußballvereine. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Autor:

Andreas Walter aus Essen-Nord

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