Ratsvorlage "Unterbringung von Asylbewerbern": Auf den ersten Blick schlecht und auf den zweiten ... noch schlechter

Verwendete Quelle: Daten aus dem Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge
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Vorschläge, die die Verwaltung dem Rat macht, sollen gut ausgearbeitet sein, da sich der Rat nicht bis in alle Einzelheiten einarbeiten kann. Schließlich ist es nur ein Ehrenamt, welches ein Mitglied des Rates bekleidet. Umso schlimmer, wenn derartige Vorlagen sich dann nicht nur als schludrig, sondern als grundlegend falsch und untragbar herausstellen.

Intransparentes Zahlenmaterial

Während Zahlenmaterial auf Bundesebene transparent veröffentlicht wird (monatliche Zahlenreihen zu den Herkunftsländern, getrennt nach Erst- und Folgeantragsteller), gibt der Ratsantrag nichts vergleichbares her. Lediglich die Zahlenreihe über die Belegung bzw. Auslastung der städt. Unterkünft (auf monatlicher Basis). Kein Entwicklung der Zahlen für Erst- und Folgeantragsteller nach der Herkunftsländern. Warum dies aber wichtig ist, werden wir noch später sehen.

Anteil an Folgeantragstellern

Wie man den monatlichen Statistiken des Bundesamtes für Asyl und Migration entnehmen kann, machen die Folgeantragsteller im Bund durchscnittlich 15,9% aller Anträge aus. In Essen sind es lt. der Vorlage (vgl. Punkt 3.2 "Asylfolgeantragsteller") 722 von 2720 und dies bezieht sich offenbar nur auf die Westbalkanländer. Das sind also mindestens 26,5%.
Nun muss man wissen, dass jemand, der einen Erstantrag gestellt hat und einer Stadt oder einem Kreis gemäß festgelegtem Verteilschlüssel (sog. Königsteiner Schlüssel) zugewiesen worden ist, bei einem eventuellen Folgeantrag (dieser kann beliebig oft erfolgen) automatisch wieder nach Essen kommt. Offenbar haben wir besonders tolle Unterkünfte oder die Asylsuchenden kommen besonders oft wieder. Über Jahre. Der Antrag aus dem Dezernat von Peter Renzel bezeichnet dieses Phänomen als "Winterwanderung", da der Großteil der Folgeantragsteller tatsächlich im Herbst kommt.

Aussichtslose Anträge

Aussichtslose Anträge werden in Deutschland bevorzugt bearbeitet und innerhalb von 2,5 bis 3 Monaten entschieden. Bei den Herkunftsländern Serbien, Mazedonien, Bosnien und Herzegowina und Kosovo liegen die Asylanerkennungs-Prozentsätze unter 1%, teilweise bei 0% (Quelle: Asylgeschäftsstatistik vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Das bedeutet, dass viele Asylantragsteller nach 3 Monaten wieder weg sind. Zu keiner Zeit wird also die im Ratsantrag angenommene Maximalzahl von 1.146 Antragstellern gleichzeitig in der Stadt sein, sondern lediglich 2/3 davon, da die Mehrzahl der Antragsteller laut Antrag eben aus den genannten Herkunftsländern kommt.
Das im Antrag für 2014 von nur 300 erwarteten Auszügen (Rückreise, etc.) ausgegangen wird, ist demzufolge völlig unglaubwürdig. Wenn allein die Überwinterungsflüchtlinge im April/Mai wieder zurück ziehen, gibt es schnell schon 300 bis 400 im ersten Halbjahr weniger nur aus dieser Gruppe von Antragstellern.

Nicht alle über einen Kamm ...

Ein Konzept, welches den verschiedenen Gruppen Rechnung trägt, gibt es offenbar nicht oder es wird nicht offen kommuniziert. Nach der gesetzgebung ist es völlig legitim, unterschiedliche Gruppen unterschiedlich zu behandeln und unterzubringen. Während es durchaus Sinn macht, Asylbewerbern aus Kriegsgebieten mit einer hohen Anerkennungsquote in einer auf langfristige Unterbringung ausgelegten Einrichtung unterzubringen, so kann jemand, der voraussichtlich eh nur maximal 2 bis drei Monate hierbleiben wird, auch mit etwas weniger bedient werden. Auch sieht das gestz vor, dass Sachleistungen gegenüber Geldleistungen zu bevorzugen sind, damit keine monetären Anreize entstehen.

Laufzeit: 60 Jahre?

Die Vorlage tut sich schwer damit, das nächste Jahr vorherzusagen. Verständlich. Aber niemand kann auch nur annäherungsweise 60 Jahre weit blicken. Die Asylproblematik innerhalb von Europa wird langfristig abnehmen. Und Essen will sich feste Gebäude mit einer kalkulierten Laufzeit von 60 Jahren ans Bein binden? 60 Jahre rechnen solche Gebäude natürlich preiswerter. Was aber, wenn sie nach 15 oder 20 jahren leer stehen? Wir wissen alle, dass wir froh sein werden, wenn wir diese nicht mehr brauchen. Dann werden sie abgerissen, um den Stadtteil aufzuwerten.

Kosten wie Luxus-Einfamilienhäuser

Die Kosten der Unterkünfte werden mit 40 bis 50 Mio Euro beziffert. Die Grundstückskosten, die ja der Stadt gehören, sind da vermutlich nicht mit drin. Aber man kann diese Grundstücke natürlich dann nicht z.B. an Gewerbetreibende veräußern.
Über die Betriebskosten wird ebenfalls kein Wort verloren. Wenn jemand etwas für 60 Jahre betreiben will, so kostet die Unterhaltung auch 60 Jahre lang Geld.
In der Anlage zum Ratsantrag (Anlage Penkwitt) werden die Kosten der Massivhäuser mit 4,7 Mio Euro für 100 Plätze angegeben. Ein Platz wird mit 20qm veranschlagt. Das macht einen Preis von 2.350€ pro qm. Ein Preis, mit dem man im Essener Norden und Osten mit Sicherheit in der Spitzengruppe für luxuriöse Einfamilienhäuser liegt. Wahrscheinlich auch im Essener Süden. Denkbar wären natürlich auch Leichtbau- , Holzbau-Häuser oder aufgeständerte Häuser, die viel billiger wären und dafür vielleicht auch nur eine geringere Standzeit hätten.

Gleichmässige Verteilung über das Stadtgebiet?

Das die Verteilung nicht über's Stadtgebiet ausgeglichen, ist wohl leicht erkennbar. Das Versprechen aus dem Herbst 2013, genau das zu beherzigen, hat Herr Dezernent Raskop mit der Ratsvorlage eingelöst. Die zugrundeliegende Bewertung ist völlig undurchsichtig, da "analoge" Parameter am Schluß nur als "+" oder "-" dargestellt werden. Und es gibt nur zwei Parameter. All die - auch zum Verständnis dessen, was die Ratsvorlage aussagt - wichtigen Parameter sind nicht nachvollziehbar und damit ist die gesamte Bewertung nicht transparent. Wichtig wäre eine nachvollziehbare und damit transparente berücksichtigung dieser Parameter:
- Anzahl der Einwohner im Stadtteil/Bezirk
- Anzahl der Einwohhner pro Fläche
- Verteilung von Deutschen, Nichtdeutschen und Doppelstaatlern im Stadtteil/Bezirk
- Bereits in Übergangsheimen untergebrachte Asylbewerber (Erst-/Folgeantragsteller)
- Arbeitslosigkeit im Stadtteil/Bezirk
- Bevölkerungsanteil, der „existenzsichernde Hilfen“ bekommt
- Nähe zu Einkaufmöglichkeiten
- Hndelt es sich um ein Neubaugebiet, welches gerade erst dadurch aufgewertet wurde?
- Wie nah sind sensible, öffentliche Einrichtungen (Kitas, Schulen, etc.)
Einige davon sind im Punkt "Kinderarmut" versteckt, aber wie und in welcher Höhe, bleibt offen.

Betreuung rund um die Uhr

Um den Sorgen der bevölkerung Rechnung zu tragen, wird eine Rund-um-die-Uhr betreuung der Standorte angeboten. Eine Einmaligkeit in der Region zu welchen Klimmzügen gegriffen wird, um den Bürgern das ganze schmackhaft zu machen.

Was ist, wenn schlagartig weniger Asylantragsteller kommen?

Je tiefer man in die Materie einsteigt, desto unglaublicher wird es. Im Koalitionsvertrag der sogenannten GroKo findet sich auf Seite 109 folgende Passage:

"Wir wollen die Westbalkanstaaten Bosnien und Herzegowina, EjR Mazedonien und Serbien als sichere Herkunftsstaaten im Sinne von § 29a Asylverfahrensgesetz einstufen, um aussichtslose Asylanträge von Angehörigen dieser Staaten schneller bearbeiten und ihren Aufenthalt in Deutschland schneller beenden zu können. "

Das hat zur Konsequenz, dass in absehbarer Zukunft zwei Drittel der Asylantragsteller wegfallen, weil sie aus sogenannten "sicheren Drittstaaten" kommen und damit sofort abgewiesen werden. Und wir in Essen wollen uns gerade dafür tolle Häuser mit einer berechneten Amortisierung von 60 Jahren bauen? Der Koalitionsvertrag sollte doch eigentlich allen SPD- und CDU-Mitgliedern zugesandt worden sein ...

Spätestens jetzt stellt sich die Frage, ob die Vorlage überhaupt das Papier wert ist, auf der sie (auch in diesen Zeiten) gedruckt wurde.

Autor:

Andreas Walter aus Essen-Nord

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