Posse um Jesus-Graffito: Das sagt der Künstler *EXKLUSIV*

Benjamin "Beni" Veltum vor seinem Werk "Make Love", das in Gladbeck für Wirbel gesorgt hatte. Rund 200 Euro hat der Künstler dafür aus eigener Tasche investiert. Foto: Borgwardt
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  • Benjamin "Beni" Veltum vor seinem Werk "Make Love", das in Gladbeck für Wirbel gesorgt hatte. Rund 200 Euro hat der Künstler dafür aus eigener Tasche investiert. Foto: Borgwardt
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Selten hat ein Graffito in Gladbeck für solchen Wirbel gesorgt, wie das Christusbild im Schürenkamptunnel. Nachdem die Stadt einen arabischen Satz zensiert hat, ist eine Debatte über Kunstfreiheit im öffentlichen Raum entbrannt. Der STADTSPIEGEL hat nun mit dem Sprayer gesprochen.

von Oliver Borgwardt

Die Wände des Schürenkamptunnels sind eine sich ständig wandelnde Galerie: Seitdem die Stadt Gladbeck hier das Bemalen und Besprühen vor einigen Jahren ganz offiziell erlaubt hat, können sich hier Künstler ganz legal und kostenlos austoben. In der vergangenen Woche kam es aber zu einem unerwarteten Eklat.

Was war geschehen? Anrufer hatten sich bei der Stadt über arabische Schriftzeichen an einem Jesusbild beschwert. Die Verwaltung ließ die Schrift daher am Freitag vor der Bundestagswahl übermalen - was wiederum den Künstler erzürnte. Er fügte seinem Werk eine deutliche Kritik an der Stadt Gladbeck hinzu, die eine Verletzung der Kunstfreiheit anprangerte (wir berichteten).

In den sozialen Medien wird dieser Bilderstreit seitdem kontrovers diskutiert. Auf der einen Seite gibt es den Standpunkt, arabische Schrift habe an einer solchen Wand nichts zu suchen, und besonders nicht das islamische Takbīr (der Spruch "allāhu akbar"). Verteidiger des Werkes hingegen werfen der Stadt eine Verletzung der Kunstfreiheit vor.

Und was sagt der Künstler? Der STADTSPIEGEL hat Benjamin "Beni" Veltum getroffen.

"Liebe und schöne Farben" seien eine Herzensangelegenheit für den Gladbecker Graffiti-Künstler, der auch schon im Auftrag verschiedener Städte oder des FC Schalke 04 gearbeitet hat. Foto: Borgwardt
  • "Liebe und schöne Farben" seien eine Herzensangelegenheit für den Gladbecker Graffiti-Künstler, der auch schon im Auftrag verschiedener Städte oder des FC Schalke 04 gearbeitet hat. Foto: Borgwardt
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Benjamin "Beni" Veltum finden wir an diesem Tag im Schürenkamptunnel, wo er mit einigen Mitstreitern bei schönem Wetter zur Spraydose greift. Schnell wird klar, dass der ruhige, höfliche Gladbecker nicht gerade wie jemand wirkt, der im Zorn Hetzbilder an Wände sprüht. Vielmehr spürt man, dass er von den heftigen Gegenreaktionen völlig überrascht wurde und sich gründlich missverstanden fühlt. "Ich wollte doch nur Liebe und schöne Farben verbreiten", beteuert der 30-jährige. "Eigentlich bin ich gar kein politischer Künstler."

"Liebe und schöne Farben"

Sein Christusbild "Make Love" versteht Beni als Zeichen für Toleranz. Als multikulturell aufgewachsener junger Mensch mit jüdischen, christlichen und muslimischen Freunden wollte er in einer "Zeit voller Hass und Feindschaft" verschiedene Weltbilder friedlich vereinen. So stünde der Messias mit Kreuz und Davidsstern und dem Takbīr für alle drei großen Religionen. "Dass man den arabischen Spruch wieder nur mit Terror in Verbindung bringt, finde ich doch sehr unfair gegenüber der ganzen Religion", äußert sich Beni zu solchen Vorwürfen, die unter anderem auch von der Stadtverwaltung angebracht worden waren.

Und der Joint und die Bierflasche? "Ich wollte auch nichtgläubige Menschen ansprechen", erläutert der Künstler, und daher habe er zwei Symbole für Feierstimmung und Entspannung gewählt. Der Joint solle dabei, wie auch der Titel "Make Love", an die Friedensbewegung der 68er und die Hippiezeit erinnern. "Mit den bunten Farben im Hintergrund wollte ich außerdem noch die homosexuelle Gemeinde einbeziehen. Das ganze Bild symbolisiert einfach nur Freude und Frieden".

Eingreifen der Stadt eine "Kurzschlußreaktion"?

Dass die Stadt nun kurzerhand einen Teil des Bildes übermalen ließ, hat Benjamin Veltum in dieser Form noch nie erlebt. "Seit 18 Jahren mache ich nun Graffitikunst", erinnert der studierte Grafikdesigner und freiberufliche Künstler, "darunter viele Auftragsarbeiten für verschiedene Städte, unter anderem auch Gladbeck. Ich war mit meiner Kunst sogar auf der Expo in Mailand. Aber dass eine Stadt so eingreift, das ist wirklich bemerkenswert."

"Bemerkenswert" findet Beni vor allem die Geschwindigkeit, mit der die Stadt reagiert habe. "Ich bekam einen Anruf von Peter Breßer-Barnebeck", schildert der Künstler das Gespräch. Man sei sich uneins über die Wirkung der arabischen Schriftzeichen gewesen. "Vielleicht hätte ich auch eine deutsche Übersetzung hinzufügen können, aber an diesem Tag hätte ich gar nichts machen können, da ich unterwegs war." Schon am nächsten Tag sei die Schrift übermalt worden. "Ich hielt das für eine ganz überzogene Kurzschlussreaktion", ärgert sich Beni. "Vielleicht hatte das auch mit den Wahlen am Sonntag danach zu tun".

"Das bleibt doch wohl stehen, ja?"

Während des Gespräches kommen immer wieder Passanten durch den bunten Tunnel. Viele schauen neugierig auf die bunten Bilder, einige bleiben stehen.

"Also ich finde das gut", freut sich eine fröhliche Rentnerin, die sich nach eigener Aussage auch noch gut an die eigenen wilden Jahre erinnern kann. Das Motiv mit dem Joint störe sie nicht. "Ich glaube, Jesus hätte sich bei den Hippies wohl gefühlt und vielleicht auch einen mitgeraucht", lacht sie.

Eine andere ältere Dame, die sich mit einem Rollator vorbeischiebt, bleibt kurz stehen und deutet resolut auf das Graffiti. "Das bleibt doch wohl stehen, ja?" sagt sie bestimmt und reckt einen Zeigefinger in die Luft, als wolle sie persönlich jedem die Leviten lesen, der sich zum Übermalen anschickte. "Das ist gut so!" betont die Rentnerin und setzt ihren Weg fort.

Einige Verbesserungsvorschläge bringt auch ein Senior mit: "Jetzt könnt ihr den Spruch ja wieder hinschreiben, aber bitte auf Deutsch!" sagt er. Ansonsten stört ihn der Jesus nicht. "Es ist gut, dass hier gemalt wird, seitdem sind die wilden Schmierereien und der Dreck viel weniger geworden", meint der Mann. "Aber das zu übermalen - na, da sollten sich die Herrschaften von der Stadt mal überlegen, ob sie noch auf dem richtigen Posten sitzen".

"Fluchtpunkt in einer Welt voller Hass"

Solche Meinungen tun Benjamin Veltum gut, das merkt man. Auch fromme Menschen aus seinem Freundeskreis hatten ihn für sein Werk gelobt. "Aber ich kann natürlich nicht jedem gefallen, das ist doch klar", sagt er.

Und auch in Zukunft möchte er weiter in seiner Heimatstadt arbeiten. "Ich finde, das hier ist eine der schönsten Wände im ganzen Ruhrgebiet", schwärmt Beni über den Tunnel. "Das ist für mich ein Fluchtpunkt in einer Welt voller Hass".

Sein nächstes Motiv ist auch schon in Arbeit, bunt und zeitlos: Es zeigt Jim Knopf und Lukas, den Lokomotivführer vor der Kinderbuchlok Thomas. "Hoffentlich wird das nicht auch missverstanden", meint Beni und geht wieder an die Arbeit.

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Autor:

Oliver Borgwardt aus Dorsten

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