Unser Blick nach Japan: Das Beben, die Angst, die Gesellschaft

In 2009 berichtete der STADTSPIEGEL über Johannes Kimmeskamp, Richter am Amtsgericht in Hattingen, der sechs Wochen im Rahmen des deutsch-japanischen Juristenaustausches zur Hospitation in Tokio war. Den Austausch gibt es seit Mitte der achtziger Jahre. Per Bewerbung kann ein deutscher Justizangehöriger diesen Austausch mitmachen. Jetzt verfolgt der Hattinger genauso entsetzt wie viele andere den Meldungen aus dem einstigen „Land des Lächelns“.
„Ich habe bereits einige Jahre Japanerfahrung“, erzählt der Jurist. „Ich habe Japanologie studiert, zumindest einige Semester, und habe nach meinem juristischen Staatsexamen ein Studienjahr an der Universität Kobe verbracht. Zwischen 2005 und 2007 arbeitete ich als Lektor für deutsches Recht an der Universität Osaka. Dadurch kenne ich mich in japanischem Recht, insbesondere Zivilrecht, aus“.
Johannes Kimmeskamp war auch privat schon oft im einstigen „Land des Lächelns“ zu Gast. Außerdem lernte er dort seine Frau, eine Britin, kennen. Heute leben sie mit ihrer kleinen Tochter in Hattingen.
Jetzt verfolgt der Hattinger Richter ebenso entsetzt die Bilder und Berichte über die Katastrophe in Japan.
Als die Erde am 17. Januar 1995 in Kobe bebte, war Kimmeskamp selbst vor Ort. Nur zwanzig Sekunden dauerte das Beben, das damals eine Stärke von 7,3 auf der Richterskala erreichte. Über 6000 Menschen starben, rund 44.000 Menschen wurden verletzt. 300.000 Menschen wurden obdachlos und mehr als 100.000 Gebäude wurden beschädigt. Weil das Beben um 5.46 Uhr Ortszeit stattfand, waren viele Büros noch unbesetzt. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte es wohl noch mehr Todesopfer gegeben.
„Über die Gefahr durch Erdbeben wusste ich schon Bescheid. Aber man hatte immer gesagt, in Kobe könnte das nicht passieren.
Ich schlief zum Zeitpunkt des Bebens und wurde wach durch ein unglaubliches Grollen. Es bewegt sich alles und man weiß sofort, es ist ein Erdbeben. Ich bin aufgesprungen und habe mich unter einen Türrahmen gestellt. Das Beben kommt einem sehr lang vor, obwohl es nur Sekunden sind. Als es vorbei war, bin ich aus dem Haus gegangen, habe draußen andere Menschen getroffen. Wir waren damals auf Port Island, einer aufgeschütteten Insel. Die Brückenverbindung zum Festland war zerstört und wir konnten die Insel später nur mit einer Fährverbindung verlassen. Ich bin drei Tage später vom Flughafen Osaka nach Deutschland geflogen. Es war ein merkwürdiges Gefühl, damals zu gehen und die Menschen in ihrer Not zurück zu lassen. Die Uni hatte damals dicht gemacht, doch in Osaka lief alles normal. Die Restaurants hatten geöffnet, es gab Pianospieler, alles wie immer. Drei Wochen später kam ich zurück, durchaus mit einem mulmigen Gefühl wegen möglicher Nachbeben.“
Mit Erdbeben, so Kimmeskamp, seien die Japaner vertraut. Schon von Kindheit an wird ihnen beigebracht, wie sie reagieren sollen. Und, ja, man gewöhnt sich wirklich daran. „Die Erde bebt dort wirklich oft und es ist schon Gewöhnung. In Kobe haben wir allerdings damals schon gewusst, dass dieses Beben anders und auch stärker ist. Wir standen zusammen auf einem Sammelplatz, als die Aufhebung der Tsunami-Warnung kam. Außerdem: so richtig konnte man sich 1995 unter einem Tsunami noch gar nichts vorstellen.“
Was ihm auffiel: „Viele Japaner zeigen ihre Gefühle nicht nach außen. Das gilt als unpassend. Das heißt aber nicht, dass sie keine Angst haben oder überhaupt keine Gefühle. Man sieht das auch in der aktuellen Katastrophe: wer nicht wirklich direkt betroffen ist, der bleibt ruhig, nimmt die Lage, wie sie ist. Dies gilt jetzt vor allem für Tokio. Ich habe einen guten Freund, der zum Zeitpunkt des Erdbebens am letzten Freitag in Deutschland war. Sein Flug war für Montag geplant und er ist planmäßig nach Tokio zurückgeflogen. Auch jetzt ist er noch in Tokio. Nur für den Fall einer atomaren Wolke zieht er die vorübergehende Flucht in den Süden des Landes in Betracht. Seine Mutter hat erklärt, sie habe schon die Atombombe überlebt, da sei dies hier auch nicht schlimmer.“
Tsunami und atomare Sorgen seien der große Unterschied zu Kobe 1995. „Das kann man nicht vergleichen. Die Katastrophe heute ist ungleich größer, aber ich bin überzeugt davon, dass die Japaner alles versuchen werden, um ihr Land wieder aufzubauen. Japaner verlassen ihr Land nicht. Ich selbst hatte eine Einladung für nächste Woche an die Uni in Kyoto und wollte mit meiner Familie dann noch dort Urlaub machen. Aber die Veranstaltung, ein japanisch-deutscher Rechtsvergleich, wurde abgesagt. Und den Urlaub haben wir abgesagt.“
Auffällig sei, dass Japaner kaum öffentlich miteinander ihre politischen Meinungen diskutieren. „So etwas gibt es dort eher nicht.
Der Einzelne steht hinter der Gemeinschaft zurück und fügt sich diszipliniert ein – deshalb werden selbst in Notlagen die Waren in den Geschäften leergekauft und nicht geplündert. In unserer Gesellschaft hat der Einzelne einen viel höheren Stellenwert – bei allen Vor- und Nachteilen, die diese unterschiedlichen Gesellschaftsmodelle bieten.“

Autor:

Dr. Anja Pielorz aus Hattingen

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