Gedanken über Nostalgie, Geschichte und die Zukunft von Kleve als Heimat
Dieses „Die-kleine-Kneipe-in-unserer-Straße“ - Gefühl

Ich behaupte mal, inzwischen in einem Alter angekommen zu sein, in dem ich hin und wieder auch mal ein wenig nostalgisch fühlen, denken und handeln darf. Nein, keine Sorge, hier schreibt jetzt keiner, der glaubt, dass früher alles besser war und so. Denn so alt bin ich ja nun auch noch nicht, dass ich meinen Enkeln in einem Schaukelstuhl sitzend von diesen leckeren „werthvollen echten“ Karamell-Bonbons erzählen könnte. Mein Alter erlaubt es mir allerdings durchaus festzustellen, dass früher vieles anders war - anders als heute.

Nicht immer rückt das ins Bewusstsein, aber manchmal. Meist richtet sich der Blick in die Zukunft: Was will ich noch alles erreichen, was muss ich noch alles erledigen, wen muss ich noch anrufen oder reicht die Zeit, noch schnell bei …. und so weiter. Heute Morgen - beim Frühstück – hörte ich im Radio, wie der ewig-nostalgische Peter Alexander melodisch von der kleinen Kneipe in seiner Straße erzählte.

Sein Lied berichtet von einem Trottoir vor dem Obstladen, das die Krämersfrau fegte, während ihr Mann die Kisten aufräumte. Ein Trottoir, das sich im selben Ort befand, in der auch jene kleine Kneipe die Menschen zum Bierchen mit Korn sowie zu Würstchen mit Kraut einlud. Menschen, die zur Musik aus der Musikbox miteinander ihre Sorgen um die Welt diskutierten. Das Lied erzählt von einem Ort, der als ein Stück Daheim verstanden wurde. Bei diesem Lied kann man die Nostalgie förmlich riechen?!

Unsere niederländischen Nachbarn legten noch einen drauf, indem sie die Kneipe einfach in ein Café und unsere Straße gleich in einen ganzen Hafen verwandelten: „In 't kleine café aan de haven", so schmetterte es der bärtige Vader Abraham, noch dazu ohne seine blau-weißen Freunde aus Schlumpfhausen. Wessen nostalgisches Herz da nicht schneller schlägt, der ist entweder der niederländischen Sprache nicht mächtig oder noch zu jung.

Beide Fassungen des Lieds lassen erkennen, wie wichtig den Menschen in dieser besungenen Zeit ein Miteinander war und wie einfach das Leben doch manchmal sein kann – vielleicht auch deswegen. Man traf sich in der Kneipe oder im Café und tat das, was kein Facebook, WhatsApp und Co. jemals ersetzen kann: Man fand zusammen und genoss die Zeit – nicht immer fröhlich, auch mal kritisch, mal besorgt, mal hilfsbereit und auch mal angeheitert – mal laut, mal leise…

Das alles ist Nostalgie – ist Vergangenheit. Die Zeit hat sie eingeholt, die meisten Kneipen sind verschwunden. Der Hafen in Kleve, an dem heute ein nettes Café sein könnte – verschwunden. Nur noch alte Bilder - Zeugnisse - aus jener Zeit, als es in Kleve noch einen Hafen gab, in dem große Schiffe ein- und ausführen, be- und entladen wurden, sind geblieben und erinnern an diese Ära.

Kleve ist moderner geworden: Keine Schiffe, kein Hafen – dafür aber eine Hochschule, ein modernes Rathaus und eine zunehmende Zahl an vermeintlich seelenlosen Wohnkomplexen, die nach und nach die schönen liebevoll detaillierten Häuser aus der längst vergangenen Blütezeit der Stadt sowie aus der Zeit des Wirtschaftswunders ersetzen. Man kann das mögen, man kann es hassen. Die Nostalgie verschwindet – in den Straßen unserer Stadt und in den Herzen einiger Menschen.

Und doch gibt es hier und da noch Zeitzeugnisse – jene bauliche Relikte, die dieses „Die-kleine-Kneipe-in-unserer-Straße“ – Gefühl erzeugen. Und wenn ich jetzt - besonders im Herbst - nach Einbruch der Dunkelheit durch so manche Straße durch das Laub der Bäume schlendere und warme Lichter hinter den Sprossenfenstern alter Häuser erkenne, dann denke ich an das Trottoir und den Obstladen in meiner Fantasie.

Und ich beginne diesen Hafen in Kleve zu vermissen, den ich nie kannte, weil ich zu jung bin. Einen Hafen, an dem ein gemütliches Café seine Türen öffnet und mich einlädt zu bleiben und Menschen zu begegnen.

Ich kenne zahlreiche solcher „Cafés aan de haven“ in den Niederlanden. Zahlreiche pittoreske Örtchen dort habe ich schon bereist, Nostalgie erlebt und gefühlt und in so mancher Kaffeetasse gerührt – lekker gezellig eben. Ich weiß diese Dinge wirklich wertzuschätzen und zu genießen.

Für Kleve ist die Zeit gekommen, uns „nostalgieaffinen“ Menschen wieder ein Stück Daheim zurück zu geben, mit einem Trottoir, das als Gemälde zu Ruhm kommen könnte; einem Hafen, ein Café und einer Kneipe mit Musikbox und Postkarten an den Wänden und Bildern des Fussballvereins…

Wenn die Menschen müde sind und der Abend sich auf die Dächer der Vorstadt senkt, dann gehen sie nicht gleich nach Haus. Sie und wir - lasst uns und die alten Schätze unserer Stadt erhalten und sie pflegen und wertschätzen.

Schreiben wir die Rechnung auf einem Bierdeckel oder werfen eine Mark in den Münzautomaten. Lasst uns ein Spoyland erschaffen, an dem das Leben wieder lebenswert ist - mit einem Café am Hafen. Ein Ort, an dem keiner fragt, was du hast oder bist.

In diesem Sinne – man sieht sich…
…in der kleinen Kneipe in unserer Straße oder im Café aan de haven…

Autor:

Helmuth Plecker aus Kleve

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