Ruhrfestspiele: Putin verbreitet Angst - Interview mit Regisseur Vladimir Mirzoev

Ein Mann mit Mut: Regisseur Vladimir Mirzoev. Aktuell ist er mit dem Stück "Verrat" bei den Ruhrfestspielen 2014 zu sehen.
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"Verrat" von Harold PinterKaum ein Tag ohne Nachrichten aus Russland und der Ukraine, durch die Putin Kontroversen auslöst. Einer, der als Künstler und politisch engagierter Mensch kein Blatt vor den Mund nimmt, ist der russische Regisseur Vladimir Mirzoev, der bei den Ruhrfestspielen gastiert.

Interview mit Vladimir Mirzoev von Svetlana Müller

Was halten Sie von den Gesetzen, die von der Duma in letzter Zeit verabschiedet wurden?

Vladimir Mirzoev: Die reaktionären Gesetze der letzten Jahre deuten auf eine natürliche Entwicklung (besser gesagt: den Verfall) eines autoritären Staates. Diese Gesetze sind im Grunde gegen die Gesellschaft und somit gegen die Staatsinstitutionen gerichtet. Ich bin mit den Analytikern einverstanden, die diese verrückten Gesetze nicht als absurd, sondern als ein System der symbolischen Gesten wahrnehmen. Man verfolgt dabei gleichzeitig mehrere Ziele. Man zeigt, wer das Sagen hat. Die Bürokratie bringt die Welt in Ordnung, schafft Sinn, ist Subjekt der Politik und Geschichte – und ihr (die Gesellschaft) seid bloß ein Stück Knete in seinen Händen.

Das ist typisch für jede Art von Autoritarismus. Man ängstigt das europäisierte Teil der Gesellschaft mit übertriebener Polizeigewalt, um den russischen Maidan um jeden Preis zu vermeiden. Denn dies ist der Hauptalbtraum von Kreml. Außerdem wird der „traditionelle“ Teil der russischen Gesellschaft somit mobilisiert, die Opfer der staatlichen Gehirnwäsche, die meiner Einschätzung nach ca. 30% der Bevölkerung ausmachen.

Warum schweigen die meisten Ihrer Kollegen?
Vladimir Mirzoev: Sehr viele Schauspieler, Regisseure, Autoren leben wie Strauße: Sie denken nicht an Politik. Sie sagen: „Wir haben unseren Beruf, alles andere hat mit uns nichts zu tun.“ Psychologisch ist es eine sehr bequeme Haltung, denn dann kann man mit leichtem Herzen die Macht unterstützen, Loyalität propagieren und vorgeben, nicht zu verstehen, was in der Wirklichkeit passiert.  Viele Kunstschaffende vertreten solche quasi neutrale Position. Aber es ist und bleibt ein gewöhnlicher Konformismus, Angst, einem starken Gegner zu widerstehen, der auf das Recht des Stärksten und Willkür setzt.

Widerstand bedeutet aktuell Sanktionen: ob materielle oder soziale, aber auf jeden Fall sehr wirksame Sanktionen. Der russische Staat hat doch ein totales Monopol auf alle Schätze: Die Staatsdiener erlauben sich, das Steuerzahlergeld wie ihr eigenes zu benutzen. Jedoch meine Kollegen, die sich Mühe geben, diese Situation zu verstehen, stehen der Ukraine-Politk der Putinschen Regierung kritisch gegenüber. Auch wenn nur die Wenigsten aus oben erwähnten Gründen sich dazu äußern.

Wie tief ist die Spaltung zwischen den Befürwortern der Ukraine-Politik Putins und den Gegnern?
Vladimir Mirzoev: Mittlerweile gehört es zum guten Ton, politische und religiöse Themen zu vermeiden. Die Spaltung ist nämlich sehr tief, sowohl in der Intelligenzija als auch in der ganzen Gesellschaft, wobei wir verstehen sollten, dass es der Staat ist, der uns spaltet. Gerade die Gesellschaft und ihre Konsolidierung stellen die größte Gefahr für die Bürokratie-Eliten dar. Das zeigte auch der Kiewer Maidan.

Ich sehe die Wiedergeburt des ukrainischen Geistes, der ukrainischer Kultur, weil Kultur nur von freien Menschen erschaffen werden kann. Vor unseren Augen entsteht eine freie Gesellschaft. Man möchte unsere aggressive Führung nicht unterstützen. Der russische Staat benimmt sich gerade wie ein „Antistaat“: Er will die Menschen nicht vereinigen, sondern umgekehrt schürt Angst und politische, religiöse und ethnische Konflikte in der Gesellschaft. Wie bei Machiavelli oder Lenin: „Trenne und herrsche“.

Mein Gott ist dieser Neo-Bolschevismus archaisch! Das russische Zarentum wurde „Europas Gendarmerie“ genannt, die Sowjetunion wirkte regelmäßig als Freiheitsbekämpfer… Diese Staaten hatten kein schönes Ende.

Zur Person:

Vladimir Mirzoev ist nicht nur einer der ungewöhnlichsten und erfolgreichsten zeitgenössischen Regisseure Russlands. Er mischt sich auch – was eher ungewöhnlich für die jetzige Intelligenzija des Landes ist – in die Politik ein und ist Mitglied der Koordinationsrates der Opposition. Seit Jahren übt er öffentlich Kritik an der Staatsführung Putins, setzt sich für die Pressefreiheit ein und engagiert sich gegen die Repressionen an politischen Aktivisten und für die Rechte der sexuellen Minderheiten.
 
Vielleicht ist sein gesellschaftliches Engagement einer der Gründe, warum Mirzoev sich so gerne mit den Werken des Absurdisten Harold Pinter befasst. Nun kommt der VERRAT nach Deutschland, 2015 bringt LA SAISON RUSSE das letzte Drama der Mirzoev-Pinterschen Trilogie die HEIMKEHR nach Deutschland. Im VERRAT zeigt Mirzoev das Absurde der menschlichen Liebe, ob hetero- oder homosexuell.
In der HEIMKEHR werden die Paradoxe der Macht in einer Familie seziert. Dem Zuschauer bleibt es hierbei überlassen, die offensichtlichen Parallelen zu der Gesellschaft und der Politik zu ziehen. Das erklärt, warum  Mirzoevs Inszenierungen in Russland so erfolgreich sind.

Das Stück: "Verrat" von Harold Pinter

Im Rahmen der Ruhrfestspiele 2014 zeigt Vladimir Mirzoev das Psychodrama "Verrat" von Herold Pinter.
Zu sehen ist die Inszenierung des Vakhtangov Staatstheater Moskau in russischer Sprache mit deutscher Übertitelung.
Vorstellungen im Theater Marl: Freitag, 23. Mai, 20 Uhr, Samstag, 24. Mai, 19 Uhr, Sonntag, 25. Mai, 18 Uhr.

Mehr das Stück "Verrat" und die Inszenierung von Vladimir Mirzoev auf diesem Portal: http://www.lokalkompass.de/marl/kultur/ruhrfestspiele-pinters-verrat-kampf-fuer-menschenrechte-in-russland-d436625.html

Autor:

Lokalkompass Marl aus Marl

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