Rote Karte für die Schulpolitik

Menschen sind verärgert. Sie nehmen wahr, dass die Politik sich nicht für ihre Bedürfnisse interessiert. Beispiel Schule: An vielen Bochumer und Wattenscheider Schulen ist der Frust besonders groß. Die Gründe dafür sind vielfältig:

Zustände an den Schulen frustrieren Eltern

Aufgrund Raummangels sind teilweise die Klassen zu groß, die Ausstattung ist fast überall schlecht, viele Schulgebäude befinden sich nicht halbwegs in einem zeitgemäßen Zustand, es mangelt an Lehrern, die Schulhöfe lassen sich häufig mit dem Ausdruck "öde Asphaltwüste" zutreffend beschreiben, wochenlang entfällt das Schulschwimmen wegen maroder Bäder.

Auch in den Schulen läuft es häufig nicht so rund, wie es sollte. Wie überall gibt es in den Klassen Kinder, die den Unterricht beständig stören und sich nicht in die Klassengemeinschaft einfügen. Häufig sind die Lehrer machtlos. Sie haben keinen Einfluss auf die Eltern. Diese interessieren sich manchmal nicht, teilweise fehlen Ihnen vielleicht auch die Möglichkeiten auf ihre Kinder in gewünschter Weise Einfluss zu nehmen. Den Schulen fehlt es häufig an materieller wie personeller Ausstattung, um die Probleme in den Griff zu bekommen. So erleben Eltern heute, wie Kinder, weil sie sich nicht in die Klassen integrieren lassen, pro forma ohne sitzen zu bleiben durch die Schulzeit geschleust werden, damit sie nicht zu viel Ärger machen. Bereits am Ende der Grundschule ist bei nicht wenigen Kindern das Bildungsdefizit so groß, dass die Lehrer ihnen kaum eine Chance geben, dass sie jemals am Arbeitsmarkt teilhaben und dort ihr Einkommen selbst verdienen.

Auch sind viele Eltern von dem Verhalten anderer Eltern entnervt. Sie selbst sind engagiert und versuchen zumindest die Unzulänglichkeiten bei der Instandhaltung der städtischen Schulen durch eigene Tatkraft auszugleichen. Sie streichen z.B. die Klassenzimmer oder gestalten die Schulhöfe selbst. Doch nicht alle Eltern beteiligen sich. Eine nicht geringe Zahl beteiligt sich weder durch einen Spendenbeitrag noch durch persönliches Engagement an solchen Aktionen. Den Eltern fällt auf, dass dies nicht selten die Eltern jede Aktivität ablehnen, die ihr Leben nicht aus selbst erwirtschaftetem Einkommen finanzieren, sondern von staatlichen Leistungen abhängig sind. Es führt bei Eltern, die sich engagieren und selbst nicht nur Steuern, Elternbeiträge und vieles weitere zahlen, zu Unmut, wenn andere, die von staatlicher Hilfe leben, sich nicht einmal für schulisches Engagement interessieren, mit dem die Schulen unterstützen werden sollen.

Insbesondere die Bürger, die sich ehrenamtlich in den Schulen engagieren, empfinden die Zustände an den Schulen schon lange als untragbar. Sie fordern seit Jahren, dass sich etwas ändert. Doch passiert ist bisher kaum etwas vor allem nichts grundlegendes.

Die Eltern haben den Eindruck, die Politiker interessieren die Probleme an den Schulen nicht und sie bleiben bewusst untätig.

Populistischer Aktionismus statt nachhaltiger Entwicklung einer zukunftsfähigen Schullandschaft

Diese Wahrnehmung wird verstärkt durch Aktionen der Politik, die nichts weiter sind als populistischer Aktionismus: So werden auf einmal schnell und öffentlichkeitswirksam 300 neue Lehrerstellen für Flüchtlingskinder eingerichtet. Seit ewigen Zeiten fehlen im Schulbetrieb Lehrer, aber es interessiert niemanden. Jetzt, wo man Aufmerksamkeit erheischen kann, tut die Politik so, als würde man etwas für die Schulen tun wollen. 300 Lehrer - auf Bochum bezogen sind das vier bis sechs - das ist ein Tropfen auf den heißen Stein.

Auch stößt die Politik gerne Projekte an, um im Bildungssystem gescheiterten Jugendlichen doch noch eine Ausbildung zu ermöglichen. Das gelingt leider viel zu selten, ist extrem teuer und die Projekte sind regelmäßig nicht nachhaltig.

Ein typisches Beispiel für kurzfristigen Aktionismus war auch das Bildungs- und Teilhabeprogramm. Nach 3 Jahren hätten die über das Programm finanzierten Schulsozialarbeiter wieder entlassen werden müssen. Immerhin hat in diesem Fall die Lokalpolitik die Fortsetzung der Schulsozialarbeit zumindest in wesentlichen Teilen erhalten können. Aber auch das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Politiker mögen solche Programme, sie kosten nicht viel und sind dafür ungemein öffentlichkeitswirksam. Denn nur allzugerne macht die Presse Politikerfotos, wenn diese feierlich die Vorhaben anstoßen und berichtet dazu breitwillig und unkritisch.

Ähnliches geschieht, wenn bei wenigen städtischen Schulen Sanierungsmaßnahmen - finanziert durch kurzfristige Konjunkturprogramme des Bundes - durchgeführt werden. Hier spannen Lokalpolitiker gerne die örtlichen Medien vor den Propagandakarren und lassen sich bei der Entgegenahme der Fördergelder und der "Neueröffnung" der Schulen als Macher darstellen. Davon, dass der Betrag, der jedes Jahr von der Stadt in die Instandhaltung und Ausstattung der Schulen gesteckt wird, kleiner ist als derjenige, um den der Sanierungsstau in jedem Jahr wächst, berichtet hingegen niemand.

Tatsächlich wurden von den rund 100 Bochumer und Wattenscheider Schulen bisher viel zu wenige saniert. Das macht die Eltern wütend. Die Bildung der jüngsten Einwohner der Stadt scheint den Politikern der Stadt nicht wirklich wichtig zu sein. Immer wieder heißt es, man habe leider kein Geld, um substantiell in die Schulen zu investieren und den Zustand herzustellen, den die Schüler verdient hätten. Auch fragen sich viele, wie konnte die Politik den Verfall der Schulgebäude über Jahrzehnte überhaupt zulassen.

Der Frust aufgrund der Untätigkeit der Politik ist groß, denn es ist eine Binsenweisheit, wenn nicht bereits im Kindesalter durch die Schule die entsprechende Bildung vermittelt wird, haben die Kinder nach der Schulzeit kaum eine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Wenn es in der Schule nicht gelingt, die Kinder in die Klassen- und Schulgemeinschaft zu integrieren, werden sie auch als Erwachsene große Schwierigkeiten haben, sich in der Gesellschaft zurecht zu finden. Entsprechend wird in Deutschland der Bildungsabschluss quasi vererbt. Die Aufstiegschancen sind schlecht. Immer noch passiert es viel zu häufig, dass Kinder von Eltern ohne Schulabschluss, die von staatlichen Transferleistung abhängig sind, ebenfalls keinen Abschluss machen und so ein Leben lang auf staatliche Hilfe angewiesen.

Integration misslingt wegen mangelhafter Schulpolitik

Eine gute Schulbildung ist ebenfalls die mit weitem Abstand wichtigste Voraussetzung für die Integration von Migranten sowie jungen Menschen, die in sozialen Verhältnissen leben, die ein Leben in der Mitte der Gesellschaft kaum zulassen. Genau hier versagt die Politik. Die Integration gelingt nicht, weil die Politik nicht bereit ist, massiv in die Bildung bzw. die Lokalpolitik in die Substanz der Schulen zu investieren. Bei den Menschen entsteht so der Eindruck, die Politik ist gar nicht ernsthaft an der viel beschworenen Integration interessiert. Alles Gerede darüber wird folglich nur noch als inhaltsleeres Geschwätz wahr genommen.

Politiker machen sich unglaubwürdig, wenn sie behaupten, sich auf der einen Seite für die Aufnahme der Flüchtlinge engagieren und für eine multikulturelle Gesellschaft stark machen zu wollen, dann aber gleichzeitig für die Schließung von Schulen stimmen, um mit dem gesparten Geld Finanzlöcher im städtischen Haushalt schließen zu können. Wenn keine ernsthafte politische Absicht und Initiative zu erkennen ist, die eine Sanierung und zeitgemäße Ausstattung der Schulen in absehbarer Zeit vorsieht, so muss man feststellen, dass die Politik offenbar nur von Integration redet, tatsächlich aber die dringend erforderlichen Maßnahmen dafür nicht auf den Weg bringt bzw. bringen will. Das bringt der Politik den Ruf der Verlogenheit ein.

Die Zuwanderung von Menschen bietet für unsere Stadt eigentlich eine Chance. Denn die Bevölkerung von Bochum und Wattenscheid schrumpft derzeit massiv. Die Abwärtsspirale, bei der immer weniger Einwohner die stetig zunehmenden Ausgaben der Stadt über steigende Steuern und Gebühren tragen müssen, könnte durch Zuwanderung gestoppt werden. Die Stadt kann Menschen, die Steuern und Beiträge an die Sozialversicherung zahlen, dringend gebrauchen. Dafür brauchen die Zuwanderer aber Einkommen und Arbeit. Voraussetzung dafür ist wiederum eine gute Schul- und Ausbildung. Arbeitsplätze für Menschen mit gutem bis sehr gutem Schulabschluss gibt es genug. Auf diese Weise werden sie zur Stütze der Gesellschaft und werden Teil dieser. Dass dies jedoch bei Beibehaltung der aktuellen Schulpolitik gelingen kann, darf bezweifelt werden.

Für Kinder aus Migrantenfamilien stellt die Schule häufig eine besondere Herausforderung dar, wenn die Traditionen in den Familien sich teilweise nur schwer mit den Anforderungen des Besuches einer deutschen Schule vereinbaren lassen oder es in den Familien an Kenntnissen in Kultur und Sprache fehlt, um zu erkennen, was die Schule von ihnen und den Kindern erwartet. Viel zu häufig gelingt es daher gerade nicht Kinder aus Migrantenfamilien in die Klassengemeinschaften zu integrieren. Sie fallen als Störer auf, die auch die anderen Kinder in den Klassen am Lernen hindern. Solche Erfahrungen bringen Eltern wiederum gegen Migranten und Zuwanderung auf.

Zuwanderung wird dann zum Erfolg, wenn die Menschen sehen, dass diejenigen, die kommen, auch Teil der Gesellschaft werden können und wollen. Dazu reicht es bei weitem nicht aus eine gute Willkommenskultur zu entwickeln, wie sie in Bochum aufgrund eines beispielhaften und privaten Engagements vieler Bürger, darunter auch einiger Lokalpolitiker bereits vorhanden ist, sondern es muss eine Schullandschaft geschaffen werden, die es besonders den Kindern und Jugendlichen ermöglicht, gleichberechtigter Teil der Stadtgesellschaft zu werden. So vermeidet man nachhaltig auch Parallelgesellschaften, die aus jenen bestehen, die sich von unserer demokratischen, säkularen Gesellschaft ausgestoßen fühlen und sich von dieser daher bewusst abgrenzen oder diese gar zu bekämpfen versuchen. Im Übrigen ist angesichts der Lage in den Ländern, aus denen die meisten der Flüchtlinge kommen, aus heutiger Sicht kaum anzunehmen, dass diese dorthin werden zurück gehen können.

Politik muss zu glaubwürdiger Schulpolitik zurück finden

Die Politik ist aufgefordert etwas dafür zu tun, ihre Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen. Für unsere Stadt bedeutet das, diejenigen in der Politik, die sich heute beispielhaft für die Aufnahme der Flüchtlinge einsetzen, in die Pflicht zu nehmen. Sie müssen jetzt die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Integration insbesondere in den Schulen endlich gelingt. Dabei geht es nicht nur um die Integration von Kindern aus Migrantenfamilien, sondern auch derjenigen, die aus schwierigen sozialen Verhältnissen kommen, die das Erreichen eines guten Schulabschlusses heute schwer machen. Die Schulen Bochums und Wattenscheid müssen zügig saniert und zeitgemäß ausgestattet werden. Die Stadt sollte den Anspruch haben, eine vorbildliche Schullandschaft zu schaffen zum Wohle aller Einwohner. Gelingt das nachhaltig, kann die Politik wieder Vertrauen zurück gewinnen und die Bürger werden anerkennen, dass sich die Politik für die Zukunft der Stadt und den Zusammenhalt der Gesellschaft engagiert.

Für den mangelnden Einsatz bisher kann es nicht mehr geben als die rote Karte. Die Amtszeit des Schuldezernenten Townsend läuft im Oktober 2015 aus. Er konnte in seiner Amtszeit nichts Nachhaltiges bewegen. Auch personell sollte die Politik daher ein Zeichen des Aufbruchs setzen. Wenn es jedoch weiter läuft wie bisher, besteht die Gefahr, dass die Resultate der verfehlten Schulpolitik die Vorbehalte gegenüber Migranten verschärfen und manche die Schuld an der Bildungsmisere ungerechtfertigter Weise, statt der Politik den Zuwanderern zuweisen.

Auch damit das nicht passiert, sollten Investitionen in gute Schulbildung ein wirksames Mittel sein... .

Volker Steude
Die STADTGESTALTER - politisch aber parteilos

BoWäH - Bochum und Wattenscheid ändern mit Herz

Autor:

Dr. Volker Steude aus Bochum

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