Junge Familien wollen nicht in Bochum wohnen

Gescheitert - Bochumer Baulandkonzept | Foto: Stadt Bochum
  • Gescheitert - Bochumer Baulandkonzept
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Gerade mal 30 junge Familien konnte die Stadt mit dem Baulandkonzept von 2008 nach Bochum locken (WAZ 11.10.11). Ein weiteres gescheitertes Konzept der etablierten Bochumer Politik. Trotzdem durch das Konzept keinerlei nennenswerte Wirkung erzielt werden konnte, halten SPD und Grüne unbeirrt daran fest. Die Investoren schreckt die Flächenabgabe von 20% ab (RN 13.10.12), die jungen Familien die wenig bürgerfreundliche Bürokratie (WAZ 19.10.11).

Dabei ist dringender Handlungsbedarf geboten. Die Bochumer Bevölkerung nimmt rasant ab, um 8,5% in den nächsten 10 Jahren. Das ist Spitze in NRW. Jeder abgewanderte Einwohner kostet die Stadt 800-1000 Euro an Schlüsselzuweisungen pro Jahr, dass ergibt die gigantische Summe von fast 28 Mio., die in 10 Jahren dem Stadthaushalt pro Jahr gegenüber heute fehlen werden und bei den städtischen Leistungen und Einrichtungen bei ohnehin extrem angespannter Haushaltslage zusätzlich eingespart werden muss.

Während bei fast allen Großstädten in Deutschland die Bevölkerungszahlen zunehmen, nimmt sie im Ruhrgebiet rapide ab. Überdies ziehen tendenziell mehr Steuern zahlende Bürger ins Umland ab, während die Bürger, die auf staatliche Fürsorge angewiesen sind, es sich nicht leisten können, ins „Grüne“ zu ziehen. Die soziale Struktur in Bochum droht massiv in Schieflage zu geraten.

Entsprechend ist das Ziel der Stadt grundsätzlich nicht falsch: „Die Anzahl der Fortzüge – insbesondere von einkommensstärkeren Haushalten in der Familiengründungs- und Eigentumsbildungsphase in das Umland“ soll reduziert werden (Wohnungsmarktbericht 2011).

Doch reicht es aus um dieses Ziel zu erreichen günstiges Bauland auszuweisen? Und kann das Baulandkonzept dieses Ziel erreichen? Offensichtlich nicht.

94,7 ha Bauland ließen sich gemäß Wohnungsmarktbericht 2011 in fünf Jahren für neuen Wohnungsbau erschließen. Das ergäbe bei 300qm Grundfläche/ Haus die Zahl von immerhin 3.156 Wohnhäusern. Nur ein Drittel der Fläche ist jedoch kurzfristig erschließbar. Fraglich ist zudem auch, ob überhaupt die gesamte potentielle Fläche tatsächlich erschlossen werden kann und für junge Familien attraktiv ist.

Offensichtlich ist das Bauland überdies zu teuer bzw. der Erwerb ist zu kompliziert. Dazu bevorzugt die Stadt offensichtlich Investoren gegenüber Einzelkäufern. Es finden sich trotz angeblichen Angebotes kaum junge Familien, die sich ansiedeln.

„Wir müssen die Menschen, die hier arbeiten und studieren, zu Bürgern dieser Stadt machen“, fordert Mitschke, der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU (RN 13.10.12), und er hat Recht.

Die Erschließung von Bauland und die Erschließung der benötigten Flächen mittels Baulandkonzept funktioniert jedoch nicht. Also müssen offensichtlich andere Wege beschritten werden.

Deshalb ist eine Analyse der Zielgruppe erforderlich. Was bewegt junge Familien sich in Bochum anzusiedeln?

  • Besonders gefragt sind Eigenheime mit ausreichend Platz, wenn möglich mit Garten,
  • ein beschränktes Budget kann aufgrund der finanziellen Situation nicht überschritten werden. Daher dürfen die Immobilien nicht zu teuer sein,
  • weiterer und eigentlich wohl sogar der wichtigste Faktor ist aber besonders für junge Familien ein attraktives Wohnumfeld. Dazu zählen insbesondere: ansprechende Wohnlage, kindergerechte Verkehrssituation, gute Kindergärten und Schulen, gute Nahversorgung, allgemeine Sicherheit.
  • Gerade beim letzten, dem entscheidenden Punkt sind die Defizite in Bochum leider eklatant. Ansprechende Wohnlagen sind selten, Verkehrslärm, zersiedelte Wohnviertel, soziale Brennpunkte machen das Wohnen in vielen Stadtbereichen für junge Familien völlig unattraktiv. Hier hilft auch günstiges Bauland nicht. Eine kindergerechte Verkehrssituation gibt es kaum, fast keine Schule ist z.B. auf dem Rad gefahrlos von jungen Kindern zu erreichen. Die Verkehrspolitik stellt in Bochum das Auto in den Vordergrund und vernachlässigt seit 40 Jahren konsequent die Bedürfnisse der schwächsten Verkehrsteilnehmer. Insbesondere viele Schulen sind in einem bedauernswerten, ja teilweise regelrecht abstoßenden Zustand. Es fehlt an U3-Plätzen. Eine gute Nahversorgung ist in vielen Stadtteilen schwierig. Riemke, Werne, Gerthe und andere Stadtteilzentren liegen in den letzten Zügen, nach einem jahrelangen Niedergang. Die ganze Stadt ist darauf ausgerichtet, dass die Einwohner für die Befriedigung jeglicher Bedürfnisse das Auto anlassen. Das macht es attraktiv im Umland zu wohnen und zur Bedarfsbefriedigung nach Bochum zu fahren. Für junge Familien gibt es also wenige Gründe ausgerechnet in Bochum wohnen zu wollen, statt im regelmäßig günstigeren Umland.

    Junge Familien wollen regelmäßig, wenn möglich, in verkehrsberuhigten baulich attraktiven Wohnvierteln wohnen, von denen sie und ihre Kinder mit dem Rad oder zu Fuß gefahrlos die wichtigsten Bedürfnisse im nahen Umfeld befriedigen können. Für junge Familien ist eine hohe Identifikation mit ihrem Stadtviertel wichtig sowie ein guter gesellschaftlich Zusammenhalt mit den anderen Anwohnern. Städte mit hohen Anteilen von jungen Familien (z.B. Borken, Nantes) zeichnen sich genau durch diese Wohnlagen und eine entsprechende Ausrichtung der gesamten Stadt aus.

    Unumgänglich ist also ein konsequenter Umbau der städtischen Infrastruktur nach dem Leitbild einer familienfreundlichen Stadt. Eine Stadt, die mit dem Prädikat besonders familienfreundlich werben kann, wird junge Familien in Scharen anziehen. Bauland kann noch so billig sein, dieser Faktor reicht niemals allein aus, um Familien in Bochum zum Bleiben zu bewegen oder sich hier anzusiedeln. Eine familienfreundliche Stadt verstärkt überdies die Identifikation mit der Stadt: Kinder, die eine glückliche Kindheit in einer familienfreundlichen Stadt verlebt haben, wollen, dass auch ihre Kinder an diesem Ort aufwachsen.

    Abschließend sei noch erwähnt, dass die vorhandenen Flächen in Bochum auf Dauer nicht ausreichen werden, dass jede ansiedlungswillige Familie mit einem Einfamilienhaus versorgt werden kann. Entsprechend muss versucht werden alternative Wohnformen anzubieten. In anderen Großstädten nimmt die Nachfrage nach repräsentativen familienfreundlichen Eigentumswohnungen zu. Der Nachteil eines fehlenden Gartens wird durch Loggien mit bester Aussicht, Wohnen auf einer Ebene in zentraler Innenstadtlage mit Kinderbetreuung vor Ort aufgewogen (Beispiel Zürich: Zölly-Hochhaus). Auch macht es bei solchen Projekten Sinn darüber nachzudenken kombinierte Wohnungen und Büroflächen für freiberuflich arbeitende Selbständige z.B. aus Kreativberufen anzubieten, da die Zahl von Familien die Beruf und Familie direkt vereinbaren wollen, beständig steigt. Es wäre einen Versuch wert, einen Investor zu suchen, der bereit ist, ein derartiges Wohnvorhaben in Bochum zu realisieren, z.B. auf dem Justiz- und Telekomgelände (siehe auch Freitreppe am Husemannplatz). Die Ansiedlung von 300 neuen Einwohnern, insbesondere junger Familien mit z.B. KITA im Haus direkt in der Innenstadt bedeutet dort neue Kaufkraft und einige neue Arbeitskräfte, junges Leben in der Stadt und ein zusätzliche Mittelzuweisungen für die Stadt in Höhe von 270.000 Euro pro Jahr.

    Das Baulandkonzept ist gescheitert. Es war vielleicht einen Versuch wert. Von offensichtlichem Nutzlosem muss man sich aber verabschieden können. Um den demografischen Wandel zumindest zu bremsen, muss Bochum eine familienfreundliche Stadt werden*. Endlich muss ein neues Leitbild her. Die familienfreundliche Stadt ist heute, die autogerechte Stadt war gestern.

    Volker Steude (Ruhrblogxpublik)

    *eine Maßnahme dazu: Schuletat verdoppeln

    Autor:

    Dr. Volker Steude aus Bochum

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