Hereinspaziert. Essener Schaustellermuseum bewahrt buntes Jahrmarkttreiben vergangener Jahrhunderte

4Bilder

Der Rummelplatz als Tummelplatz der Gefühle faszinierte schon lange die Menschen. Aus reichen Sammlungsbeständen bis in die Gegenwart entstand in mühevoller Kleinarbeit ein eigenes Museum in freier Trägerschaft. Der 2011 verstorbene Schausteller Erich Knocke und seine Mitstreiter gründeten das Markt- und Schaustellermuseum Essen mit Sitz auf der Hachestraße unweit des Hauptbahnhofs. Träger ist der Arbeitskreis Kultur und Brauchtum.

Zu den üblichen Handelsmärkten gesellten sich im Laufe der letzten Jahrhunderte Gaukler, Artisten und Guckkastenbetreiber. Schon im 19. Jahrhundert wanderten Karussells, Schaukeln und Riesenräder von Platz zu Platz. Sie sorgten für Abwechslung im Alltagseinerlei von Arbeiterfamilien und landwirtschaftlichen Anwohnern. Nebenbei vermittelten sie über koloniale Motive auf Wagen und Wänden exotische Welten durch die Brille der europäischen Eroberer. "Hau den Lukas", "Sieh den Messerwerfer", Mutproben und Nervenkitzel gehören zum Jahrmarkt ebenso wie das Ausleben des Geschwindigkeitsrauschs. Im 20. Jahrhundert wird dieser mit Achterbahn und Hightechkarussells manchmal bis zu Schmerzgrenze gesteigert.

Auch den Klang des Jahrmarkts hat das Museum konserviert: funktionstüchtige Dreh- und Walzenorgeln, Rückenklaviere, Harmonien und Orchestrien lassen Melodien aus Uromas Notenheft erklingen.

Als "fahrendes Volk" waren die Schausteller bei den Sesshaften nicht immer beliebt, da sie eigenes Gebaren und eigene Wertvorstellungen hatten. "Reisende" nennen sich die Jahrmarktbetreiber bis heute selbst. Die Vielfalt der bereisten Orte schärfte ihren Blick für Menschen und ihr Gefühl für Trends. Schaustellerfrauen trugen oft modische wie teure Kleidung und Frisuren.

Wer kennt nicht zumindest von Abbildungen "die dicke Dame" oder Zwergwüchsige? Menschen mit Übergewicht, Liliputaner, Großwüchsige oder Ganzkörperbehaarte fanden auf dem Jahrmarkt ihr wirtschaftliches Auskommen. Zur Schau gestellt, konnte an ihnen menschlicher Voyeurismus ausgelebt werden. Jenseits des grauen Alltags bot die Kirmes Raum für Spektakuläres.

Das Schaustellermuseum: ein Schatzkästchen, was Kultur- und Sozialgeschichte einfacher Menschen erzählt. Auf dem Jahrmarkt konnten Besucher Sensationslust, Bewegungsrausch und Kräftemessen praktizieren; ein- oder zweimal im Jahr im überschaubaren Rahmen. Erich Knockes zentrales Anliegen war es, das Schaustellerwesen als respektables Gewerbe darzustellen. Die Museumsführungen durch Andrea Stadler und Brigitte Aust richten sich daran aus. Ebenso einfühlsam wie kompetent vermitteln sie das Jahrmarktgeschehen. Andrea Stadler ist als Oberstudienrätin, Kunsthistorikerin und Museologin ausgewiesene Expertin auf dem Gebiet.

Das einzigartige Museum kann nur mit einer Führung gebucht werden, Termine sind der Homepage www. schaustellermuseum.de zu entnehmen. Leider ist das Museum seit Mai 2022 geschlossen, die Sammlung wird aufgelöst.

Autor:

Dr. Michaela de Groot aus Bottrop

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

4 folgen diesem Profil

5 Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.