Gottes Wort ist eine gute Richtschnur für unser Handeln! Superintendentin Marion Greve grüßt die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Essen zum Jahreswechsel

Superintendentin Marion Greve. Pressefoto: Alexandra Roth/Kirchenkreis Essen
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In ihrem Grußwort zum Jahreswechsel an die Bürgerinnen und Bürger der Stadt ruft Superintendentin Marion Greve dazu auf, sich die Verwundbarkeit des Lebens neu bewusst zu machen – und gerade daraus die Kraft für eine Erneuerung zu beziehen, die den Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und einen menschlichen Umgang miteinander zum Ziel hat. Dabei könne Gottes Wort zur Richtschnur unseres Handelns werden: Die Bibel enthalte „viele Impulse dafür, was es heißt, sich gemeinsam mit vielen anderen für den Frieden und einen menschlichen Umgang miteinander einzusetzen, für den fairen Ausgleich zwischen Arm und Reich, zwischen Jung und Alt. Was es heißt, sich für die Heiligkeit Gottes und die Würde des Menschen einzusetzen“, sagt die leitende Theologin des Kirchenkreises Essen. Nachfolgend das Grußwort im Wortlaut.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

in meinen Gesprächen erlebe ich häufig, dass sich viele Menschen Sorgen über den Zustand unserer Gesellschaft machen. Und die Nachrichten der letzten Wochen und Monate scheinen ihnen Recht zu geben.

Da liegt ein hilfloser Mann in Essen vor einem Geldautomaten auf dem Boden – und die Videoaufnahmen zeigten uns, wie andere Menschen den offensichtlich Hilflosen ignorieren; über ihn hinwegsteigen. Da ist jene heimtückische Attacke in einer Berliner U-Bahn-Station, bei der eine junge Frau hinterrücks die Treppe hinuntergetreten wurde. Da sind die schrecklichen Terrorakte und die Anschläge in Berlin, Brüssel, Nizza.

Was treibt Menschen an, mit Hass und Gewalt das Leben anderer, das Leben von Jungen und Alten zu zerstören? Wie konnte ein gewalttätiger und radikalisierter Mann wie Anis Amri mutmaßlich die Mordtat auf dem Weihnachtsmarkt im Herzen Berlins begehen? Viele machen sich angesichts von Terror und Gewalt zunehmend Sorgen um ihre eigene Sicherheit. Beim Euro, bei der Rente, an den Grenzen – es geht um sichere Straßen, sichere Wohnungen und sichere Lebensverhältnisse. Ist also an der Jahresschwelle zu 2017 plötzlich die Sicherheit das höchste Gebot?

Natürlich passt diese Frage in keiner Weise zur Weihnachtsbotschaft, die wir alle am Heiligen Abend gehört haben. In der Weihnachtsgeschichte kommt Gott als schutzloses und verletzliches Kind zu den Menschen. Seine weitere Vita weist auf ein ungesichertes Leben als Wanderprediger hin. Später dann wird er wegen staatsgefährdender Umtriebe verhaftet; er stirbt gefoltert und erniedrigt am Kreuz.

In allen Lebensphasen verzichtete Jesus auf Macht und Sicherheit – stellte menschengemachte Sicherheitsmaßstäbe in Frage. In der Überlieferung von Jesu Versuchung bietet der Teufel Jesus alle Macht und Herrlichkeit an – doch Jesus lehnt all diese Sicherheiten ab, mit dem Verweis darauf, dass allein die Beziehung zu Gott das ist, was trägt: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen“ (Lukas 4,8).

Da stehe ich nun – mit meinen Gedanken und Sorgen, mit meiner eigenen Beklommenheit, mit meinem persönlichen Sicherheitsbedürfnis an der Schwelle zum neuen Jahr. Anstelle einer schnellen Beruhigung kehrt die Weihnachtsgeschichte weltliche Sicherheitsvorstellungen um: stark ist das Schwache! Jesus kommt nicht als Kriegsfürst, nicht als Präsident – sondern er kommt als Mensch in aller Verletzlichkeit. Diese Botschaft ist für uns alle, die wir nach Sicherheit und Heil suchen, nur schwer auszuhalten. Und sie kratzt am Selbstbewusstsein der vermeintlich Starken. Es ist jedoch genau diese Botschaft, die wir als Christen in die öffentlichen Diskussionen einbringen können.

Psychologen sagen: ein Mensch, der weiß, wie verletzlich er ist, kommt besser mit Verwundungen und Krisen zurecht. Geht gestärkter durch das Leben. Das lässt sich durchaus auf unsere Gesellschaft übertragen: Wir sind dann stärker, wenn wir um unsere Verletzlichkeit, um die Unsicherheit des Lebens wissen. Ein Leben ohne Unsicherheiten gibt es nicht: nicht in Essen, nicht in anderen Städten der Welt. Maschinenpistolen, Geheimdienste und mehr Polizeipräsenz werden uns auch im neuen Jahr nicht vor allen Bombenbastlern bewahren können.

Drei Dinge mögen uns in dieser Situation helfen. Erstens: Die Erkenntnis, dass alles Leben gefährdet ist. Zweitens: Die Fähigkeit zu differenzieren – gegen die Wort-und Bildgewalt aller Fundamentalisten. Das klingt theoretisch, ist jedoch sehr konkret gemeint. Es gibt in allen Religionen Anhänger, die fundamentalistisch sind und andere Menschen bedrohen – aber es ist nicht die Religionsgemeinschaft an sich, die fundamentalistisch ist und andere bedroht. Und drittens: Was uns helfen kann ist, dass wir schon vor jeder Anstrengung etwas von Gott geschenkt bekommen. Ohne Mühe und erbrachte Leistung, ohne Stress und Anspruch – wir sind Beschenkte! Gott sagt uns zu: so wie du bist, mit deiner Ungeduld, deinen Sorgen, deinem Sicherheitsbedürfnis: du bist in Ordnung.

Gottes Wort, wie wir es in der Bibel finden, gibt uns viele Impulse dafür, was es heißt, sich gemeinsam mit vielen anderen für den Frieden und einen menschlichen Umgang miteinander einzusetzen, für den fairen Ausgleich zwischen Arm und Reich, zwischen Jung und Alt. Was es heißt, sich für die Heiligkeit Gottes und die Würde des Menschen einzusetzen. In unserer Zeit, in der alles immer schneller und effektiver geschehen soll, halte inne, nimm dir Zeit für Gott, für die Menschen und für dich selbst. Und frage dich bei all dem, was du tust: Kommt die Botschaft von Jesus Christus in deinem Tun und Handeln zum Ausdruck?

Es braucht gar nicht viel dafür: Genaues Beobachten. Sich angesprochen fühlen, wenn Unrecht geschieht, nicht nur einem selbst, sondern auch anderen. Nicht nachlassendes Differenzieren – auch wenn es anstrengend ist. Aushalten der eigenen Selbstzweifel und Verletzlichkeit.

Genau das ruft uns auch die biblische Jahreslosung für das neue Jahr zu: „Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch“ (Ezechiel 36,26). Mitten in mein Überlegen und Fragen am Ende des alten Jahres nimmt Gott sich die Freiheit, von Erneuerung zu reden. Er zieht keine Zäune, liefert keine Waffen und ruft nicht vorschnell zum Überdenken und Neujustieren der Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik auf. Stattdessen spricht er von einem neuen Geist. Von dem Geist, der zur Begegnung und zum Dialog ruft. Auch wir können im Vertrauen auf Gottes Zusage im Neuen Jahr solche Begegnungen wagen. Vielleicht wird das Jahr 2017 ja auch zu unserer eigenen, persönlichen Erneuerung, die uns gut tut und uns erfrischt. Und uns aufstehen lässt für den Frieden in unserer Stadt und unserem Land.

Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes und friedvolles Jahr 2017!

Marion Greve
Superintendentin des Kirchenkreises Essen

Autor:

Stefan Koppelmann aus Essen

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