Diamorphinambulanz Essen
Stellungnahme zur derzeitigen Debatte um eine Diamorphinambulanz in Essen (exemplarisch für ganz Nordrhein-Westfalen)

Sehr geehrte LeserInnen und Interessierte am Thema Diamorphin/Heroin.

Mein Name ist Charlyn Eisenlauer,

Im Jahr 2013 begann ich in Düsseldorf „Soziale Arbeit“ zu studieren und spezialisierte mich schon schnell auf den Bereich „Sucht- und Drogenhilfe“. Im Rahmen meines Studiums lernte ich viele Einrichtungen der Suchthilfe und einige der Wohnungslosenhilfe in Düsseldorf kennen. Noch während meines Studiums begann ich in der gerade frisch eröffneten Düsseldorfer Diamorphinambulanz zu arbeiten. Dort blieb ich zwei Jahre, machte dann berufliche Erfahrungen im „Ambulant Betreutem Wohnen“ und verschiedenen anderen Bereichen der Suchtberatung, um schließlich im Juli 2022 wieder zurück in die Düsseldorfer Diamorphin Ambulanz zu kehren, welche Bestandteil der MEDIKUS Gruppe ist.
Diese Stellungnahme wollte ich bereits vor 2 Monaten schreiben, als die Diskussionen um die neu geplanten Ambulanzen in Bielefeld und Dortmund abseits der Fachkreise sehr öffentlich geführt wurden und seitens der Presse sehr einseitig dargestellt wurden.

Die öffentliche Debatte zum Standort Essen ähnelt doch sehr der Debatte um Bielefeld. Ich kann als Sozialarbeiterin tatsächlich nicht verstehen, warum hier so viel Gegenwind weht. Geht es den Beteiligten hier noch um die Sache an sich, also um die heroinabhängigen KlientInnen in prekären Lebenssituationen und deren Behandlungsmöglichkeiten, oder um Ängste, man könnte sich gegenseitig etwas wegnehmen?
Wurden hierzu betroffene KlientInnen neutral befragt? Gefragt, wieso es Menschen gibt, die sich freien Willens dazu entschließen, weite Wege an 365 Tagen im Jahr auf sich zu nehmen, um eine ärztliche Behandlung und psychosozialer Begleitung in Anspruch zu nehmen?

Ja, wir sprechen von den gesetzlich so definierten „Schwerstabhängigen“, was jedoch
nicht bedeutet, dass das nur solche KlientInnen sind, die Stadtbilder zerstören, auffallen, Probleme bereiten.

Als ich 2017 erstmals als Studentin in der Düsseldorfer Diamorphinambulanz beschäftigt war, habe ich einen Patienten sehr fasziniert interviewt, nachdem er mir mitteilte, er hätte seit 20 Jahren keinen Beikonsum mehr. Ich fragte „dann musst du doch endlich viel mehr Geld zur Verfügung haben?“ Seine Antwort überraschte mich, vor allem, weil er dabei über beide Backen grinste: „nein, ich habe viel weniger Geld als vorher… ich muss zum ersten Mal keine Drogen mehr verkaufen. Aber ich kann auch zum ersten Mal zur Ruhe kommen.“ Diese Aussage hat meine Einstellung zu der Diamorphinbehandlung maßgeblich geprägt.
Ich habe 3 Jahre zwischendurch in anderen Bereichen der Drogenhilfe gearbeitet, bin jedoch wieder zur Düsseldorfer Diamorphinambulanz – zukünftig Essener Diamorphinambulanz- zurückgekommen. Hier habe ich das Gefühl, etwas verändern zu können und nicht ausschließlich in einer gewachsenen „Komm-Struktur“ zu verweilen. Im Ergebnis treffen wir SozialarbeiterInnen dann auf Menschen, die plötzlich erfahren, welche positiven Veränderung es in ihrem Leben noch geben kann, woran sie nach all den Jahren nicht mehr geglaubt haben.
Dürfen diese KlientInnen nicht selbst über Ihre Behandlung entscheiden, wie wir „Normalbürger“ -wie die Öffentlichkeit es vielleicht definieren würde- es auch können? Geht es nicht am Ende um deren Benefit, um das körperliche und psychische Wohlergehen dieser Menschen?
In Anbetracht der aktuellen Berichterstattung habe ich jedoch das Gefühl, es geht nur um euch. Um die Suchthilfeeinrichtungen, die Politiker, die Angst haben vor Veränderungen.
Was sagen die Presseberichte über die Ambulanzen in Wuppertal, in Düsseldorf oder in Iserlohn? Nicht viel, wenn ich Google schnell durchsuche. Was sagen Ordnungsämter, Polizei, andere Suchthilfeeinrichtungen oder kennt uns der Oberbürgermeister in Düsseldorf überhaupt? Sind wir da ein solches Thema? Fragt gerne nach bei den örtlichen Ordnungsbehörden, diese werden dies sicherlich gerne bestätigen. Es wird nicht immer so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Gerade werden aber Ängste geschürt, die Politik und die Bevölkerung werden angestachelt.
Dabei ist Diamorphin nachweislich die bessere Behandlung unter der sogar die Delinquenzrate deutlich zurückgeht und stabil bleibt und der gesundheitliche Zustand sich mehr verbessert als unter Methadonsubstitution. Die gesellschaftliche Reintegration verläuft ebenfalls besser mit der Diamorphinbehandlung. Der Beikonsum geht zurück. (vgl. HRRS Dezember 2016: Bendek - Die diamorphingestützte Substitutionsbehandlung in Deutschland · hrr-strafrecht.de) Also was ist hier die tatsächliche Sorge?
Und um Ängste vor „Unmengen an stadtfremden Heroinabhängigen“ vorzubeugen, stellt die Medikus-Gruppe, die übrigens als Geldmacher dargestellt werden, eigene SozialarbeiterInnen wie mich zur Verfügung, welche die riesigen Aufenthaltsbereiche für und mit den KlientInnen betreuen. Innenliegende Raucherräume machen einerseits das Verweilen in Gruppen vor dem Gebäude unnötig, die Aufenthaltsarea mit TV-, Billiard-, Kicker-, Dart-, Fitness-, Musik- und Ruhebereich bietet Abwechslung. Im Café-Bereich können warme Getränke und selbst /unter Anleitung zubereitete Speisen verzehrt werden. Die Menschen können sich vor, während und auch nach Ihrer medizinischen Behandlung bei uns aufhalten, wenn sie das möchten und für erforderlich erachten oder einfach den ihnen entgegengebrachten Respekt wertschätzen.

Wir sind keine „Diamorphintankstelle“, in welcher die KlientInnen nach dem „Abspritzen“ schnell die Praxis verlassen müssen, wir betreuen ganzheitlich. Gerne auch gemeinsam mit euch, liebe AkteurInnen der etablierten Suchthilfe-Systeme. Aber das will ja leider niemand hören. Mit uns reden ja nicht alle, wir sind der Feind, der wegignoriert wird. Wir möchten nichts Bestehendes kaputt machen, wir wollen ergänzen und euch gerne mit einbeziehen. Betreut eure PSBlerInnen weiter, gerne auch bei uns vor Ort, wenn die KlientInnen ohnehin dort sind. Und die stadtfremden KlientInnen, die bei euch nicht betreut werden können, können und sollen gerne in ihren bisherigen Suchthilfeeinrichtungen betreut werden. Wenn das aus irgendwelchen Gründen nicht möglich ist, komme ich dort ins Spiel, dann betreue ich die KlientInnen oder begleite nötigenfalls sogar bis in ihre eigene Stadt, um sie dort anzubinden an Schuldnerberatungen etc.
Wir wollen eure Städte nicht überfluten und keinem etwas wegnehmen.

Als junge Sozialarbeiterin lauschte ich immer fasziniert den Geschichten, wie ihr in den 80ern und 90ern alles für unsere heutige Arbeit verändert habt.

Ihr wart revolutionär, habt das Methadonprogramm eingeführt, habt Spritzenautomaten auf den Weg gebracht- und sogar teilweise selbst aufgestellt- und den Weg für Konsumräume geebnet… Ihr habt gemacht, für und mit den KlientInnen gekämpft. Damals seid ihr auf die Straße gegangen für Veränderungen, heute geht ihr in die Presse gegen Veränderung.

Aber Veränderung ist wichtig. Sie kann Angst machen aber auch Chancen bieten.

Etliche Jahre wurde von vielen Seiten geradezu nach mehr Diamorphinambulanzen geschrien. Nach Abschluss der bundesdeutschen Heroinstudie meldeten viele Städte ihr Interesse an. Keine Stadt hat aus eigenen Kräften etwas gemacht. Alle haben immer gesagt, Diamorphin, das geht nicht, das ist zu schwer, zu aufwendig. Und dann kam Dr. Plattner, der hat es dann einfach gemacht.
Wir schauen immer wieder etwas verstohlen und neidisch in die Schweiz, doch Veränderung ist ein stetiger Prozess, in dem erstmal ein Stein zum Rollen gebracht werden muss. Wir haben angefangen es zu machen, und jetzt will es plötzlich keiner mehr? Es ist aber großartig, wenn die Städte nachziehen, ich finde es toll, wenn ihr nun eigene Ambulanzen eröffnet. Nur so kommen wir irgendwann zu einer flächendeckenden Substitutionsversorgung in Deutschland!

Ich bitte sämtliche AkteurInnen eigentlich nur um wenige Dinge, lernt uns kennen, kommt uns besuchen, verschafft euch ein eigenes realistisches Bild, sprecht mit den KlientInnen
und fragt euch bitte geht´s es hier um euer Wohlbefinden oder um das der KlientInnen?

Liebe Grüße,
Charlyn

Autor:

Charlyn Eisenlauer aus Essen

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