Was genau ist Arbeit? Zusammenfassung der Diskussion

Diese Frage wurde beim Stammtisch der Initiative „Stellen anzeigen“ am 7. August 2014 gestellt. Wir möchten gerne für unsere Veranstaltung am 21. Oktober in der Flora Gelsenkirchen im Vorfeld bei unseren Stammtischen gemeinsam mit Interessierten das Thema „Arbeit im 21. Jahrhundert“ diskutieren und gegebenenfalls neu definieren. Arbeit hat sich verändert. Die Technologie nimmt uns zum einen eine Menge Arbeit ab, andererseits gibt es Arbeitsmodelle, die nicht mehr sorgsam mit dem Menschen umgehen oder nicht für eine ausreichende Bezahlung ausgerichtet sind. Ist es nur die Politik, die was ändern kann oder können wir als Individuen auch ein Stückweit die Arbeitswelt verändern? Dieses spannende Thema mündete in einer lebhaften Diskussion, die ich im Groben hier gerne wiedergeben möchte.

Wir begannen die Diskussion mit der Frage: Was für ein Wort würde jeder einzelne Teilnehmer des Stammtisches mit Arbeit verbinden. Dabei ergab sich folgendes Bild:

Selbstbestimmung, Freude, Sinnhaftigkeit, Zwang, Leben, Gestaltungsmöglichkeit, Selbstverwirklichung, Kreativität, gesellschaftliche Teilhabe, Existenz.

Erstaunlich, wie positiv besetzt dieser Begriff von Arbeit eigentlich in dieser Runde war. Somit lenkten wir den Fokus auf dieses Merkmal der Arbeit und versuchten herauszufinden, wie wir es beeinflussen können, Arbeit positiv zu leben.

Recht früh wurde über das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) gesprochen. Es liegt nahe, dass Maschinen uns viel Arbeit abnehmen, so dass wir in einer wunderbaren Situation leben, uns ganz anderen Dingen zuwenden zu können. Natürlich wurden auch die Bedenken hervorgehoben, die bei einer Diskussion um das BGE immer wieder aufkommen. Wer würde dann die Arbeit erledigen, die sonst keiner machen möchte? Hierzu gab es verschiedene Ansätze. Zum einen steht zu vermuten, dass die Arbeiten bei einer anständigen und motivierenden Bezahlung durchaus erledigt würden. Zum anderen wurde die Theorie entwickelt, dass Menschen auch diese Arbeiten erledigen, weil klar ist, dass sie gemacht werden müssen. Wir wurden informiert, dass Gandhi Toiletten säuberte mit den Worten, dass man sich nicht zu schade für derartige Arbeiten sein sollte. Darüber hinaus war es ihm wichtig, dies in seiner Position vorzuleben. Zum Thema BGE, welches wirklich sehr umfangreich zu diskutieren ist, planen wir von der Initiative „Stellen anzeigen“ noch Diskussionsmöglichkeiten. Daher sei dieses Thema nur kurz angerissen.

Mit einer Arbeitszeitverkürzung (beispielsweise einer 30-Std.-Woche) bestünden mehr Möglichkeiten für die Menschen, ihre Talente zu finden und auch auszuleben. Ein Teil der Zeit wird in eine bezahlte Erwerbsarbeit investiert, der andere Teil in das eigene Leben und Talent. Gerade zur Entwicklung von Handwerk, Kunst, Musik bestünden mehr Möglichkeiten, der Entwicklung. Kultur ist ein hohes Gut der Gesellschaft, welche der Bildung und dem Austausch dient. Hier entstand die Beziehung zu Arbeit und Talent.

„Arbeit ist nötig, um sich am Leben zu erhalten“ - „Ich will spüren, dass ich lebe“. Das sind Aussagen, die näher besprochen wurden. Wir überlegten, ob es wirklich nur die Bezahlung ist oder auch die Art und Sinnhaftigkeit der Arbeit. Denn nicht nur das Geld ist wichtig und hält den Menschen am Leben. Arbeit, die über- oder unterfordert so wie ein fehlender Sinn, führen oftmals in psychische Erkrankungen. An dieser Stelle stellten wir eine Bezug zu Arbeit und Leben her.

Arbeit soll ein Beitrag für die Gesellschaft sein. Ein Ansatz, den wir weiter verfolgten. In dieser vielfältigen Welt ist es recht schwierig zu abstrahieren, wie Arbeit nicht für Konzerne und Überproduktionen verbraucht wird, sondern, wie Arbeit direkt dem Überleben und auch dem Miteinander dienen kann und soll. Ist es nicht so, dass man grundsätzlich arbeitet, um zu leben? Im letzten Absatz sind wir ja schon darauf eingegangen. Ich erinnerte mich an eine Doku, die beim Fernsehsender 3Sat ausgestrahlt wurde. Diese Doku beeindruckte mich nachhaltig. Es wurde ein Experiment gestartet, um 1:1 ein Leben wie in der Steinzeit nachzuempfinden. Eine Szene fand ich sehr bemerkenswert: Zwei Männer dieser Sippe waren der Landwirtschaft zugeteilt. Der Eine war in seinem Element, konnte die Sippe somit primär ernähren. Im wirklichen Leben erfüllte er ähnliche aufgaben. Der zweite Mann war mit dieser Arbeit todunglücklich und er fühlte sich minderwertig. Die Aufgabe, die ihm zugeteilt wurde, oblag ihm überhaupt nicht. Im wahren leben war er Künstler. Also setzte er sich durch, ging seinem Talent nach und gestaltete Schalen und Schmuck. Einen Teil davon tauschte er im Nachbarort gegen Getreide und Hülsenfrüchte. Somit trug auch er zu Ernährung der Sippe bei. Es ist also egal, was man arbeitet, man sollte die Fürsorge für die Gesellschaft nie aus den Augen verlieren. Genau so, kann auch ein Vorstandsvorsitzender seinen Konzern führen. Er geht fürsorglich mit den Mitarbeitern um, die auch nach ihren Talenten, Kompetenzen und Ausbildungen im Unternehmen eingesetzt werden. Die Beziehung zwischen Arbeit und Gesellschaft wurde hergestellt.

Tipp: „Zeitreise in die Steinzeit“: Teil I, Teil II, Teil III, Teil IV

Nun begaben wir uns in die Thematik, wo Arbeit denn überhaupt beginnt? Eine Mutter, die ihr Kind erzieht, das ist Arbeit. Im Allgemeinen ist das einleuchtend. Es leuchtet jedoch nicht ein, wieso diese Arbeit nicht bezahlt wird. Das ist eine 24 Std. und 365-Tage Arbeit. Welcher Manager würde so viel für einen 0-Euro-Job tun? Und das noch ohne Anerkennung. Wenn ein Mensch existiert, arbeiten Organe, Gehirn, der ganze Körper. Ohne diese Arbeit könnten wir gar nicht leben. Ist Arbeit bereits hier anzusetzen? Wollen wir den Begriff Arbeit philosophisch oder pragmatisch definieren? Das ist ein Themenfeld, was so leicht nicht zu klären ist. Hier entsteht die Beziehung zu Arbeit und Ursprung.

Ein intensiver Bestandteil der Diskussion war das Ehrenamt. Es wurde angesprochen, dass es immer schwieriger wird, Menschen in die Vereine zu bekommen. Damit bricht zunehmend die ehrenamtliche Arbeit weg. Ein Verein muss verwaltet werden. Im Sportverein geht es um die Organisation von Turnieren, bei der Musik geht es um die Auftritte. Die Mitgliedsbeiträge müssen verwaltet werden, etc. Wir fragten uns, was wohl die Ursache dafür sein könnte. Ob es die fehlende Zeit oder das fehlende Geld ist? Oder könnte es auch daran liegen, dass viele Menschen gar nicht wissen, was für Talente in ihnen schlummern? Fehlt ihnen das Selbstbewusstsein, sich irgendetwas zuzutrauen? Dies könnte tatsächlich der gesellschaftlichen Struktur geschuldet sein, in der wir derzeit leben. Das Individuum in unserer Gesellschaft fällt auf, stört. „Du kannst nicht singen,“ meinen beispielsweise ungelernte Gesangs“lehrer“ zu beurteilen, ohne zu wissen, was singen überhaupt ist. Das Selbstbewusstsein in der Musik wird gerade auch durch neunmalkluge Menschen gehemmt, die alles besser wissen. Gerade in der Musik und Kultur ist es wichtig, sich zu öffnen. Mag der Rückgang von Mitgliedern in Vereinen und Chören mit dem Selbstbewusstsein zusammenhängen? Es mag verschiedene Gründe geben.

Natürlich kam auch das Gespräch auf die verwalteten Ehrenämter. Diese, welche sich Agenturen bedienen müssen, um Menschen in ein Ehrenamt zu bringen, welches vielleicht nicht so ehrenhaft ist. So werden z.B beim Deutschen Roten Kreuz Menschen ehrenamtlich eingesetzt, welche jedoch Arbeiten verrichten, die durchaus Textilfachverkäuferinnen übernehmen könnten. Hier sind die Grenzen zwischen Ehrenamt und Schaffen eines 0-Euro-Jobs fließend. Es sind auf dem Arbeitsmarkt Tendenzen erkennbar, welche sich in die Richtung der unbezahlten Arbeit entwickeln und mit dem eigentlichen ursprünglichen Sinn des Ehrenamtes nichts mehr zu tun haben. In Hamburg ist ein Modell geplant, welches 500 unbezahlte Jobs sogar per Gesetz schaffen kann. Die Entwicklung ist besorgniserregend. Daher gilt es, das Thema Ehrenamt weiter zu beobachten, dass hiermit nicht eine „Gewöhnung“ geschaffen wird, welche dann in der Gesellschaft als selbstverständlich gesehen wird. Ehrenamt, ja! Unehrenhafte Ausbeutung, Nein! Die Beziehung zu Arbeit und Ehrenamt muss weiterhin diskutiert werden.

Was auch immer wieder einen Schwerpunkt in diesen Diskussionen findet, ist das Menschenbild. Es ist in der Gesellschaft scheinbar tief verankert, dass Arbeitslose ein Volk von faulen, biertrinkenden Nutznießern sind. Und diese Menschen haben quasi gar kein Recht auf Existenz! Woher dieses Menschenbild kommt, bleibt mir nach wie vor ein Rätsel. Kaum wird hinterfragt, wieso es eben auch Menschen gibt, die keine Hoffnung und auch Perspektiven mehr haben und somit aufgeben. Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte und sein Schicksal, an dem die Gesellschaft vielleicht noch nicht mal unschuldig ist. Ist es nicht im Sinne einer Gesellschaft, auch den Menschen zu helfen, die eben nicht dem optimalen Bild eines fleißigen, redlichen und vorbildhaften Arbeitenden entsprechen? Eine Beziehung, die ganz dringend vertieft werden muss ist Arbeit und Menschenbild.

Wir begannen über den Arbeits-MARKT zu sprechen. Während wir über den Beginn, Ursprung und die Definition von Arbeit diskutierten, wurde uns bewusst, dass es ganz klar einen Markt gibt. Unsere Talente und unser Wirken wird gekauft und verkauft. Wenn man sich dessen bewusst wird, wird klar, wie pervers das klingt. Wer will bestimmen, was eine Leistung wert ist? Die Rede ist mittlerweile sogar von einem I. II. und III. Arbeitsmarkt. Ist die Operation am offenen Herzen mehr wert, als das Streichen von Zimmerdecken? Geht es hier also nicht eher um Leistung, als um Arbeit? Und schon war sie da, die Beziehung zu Arbeit und Leistung.

Im Laufe des Abends fiel der Begriff „Work-liefe-Balance“. Diese Theorie widmet sich dem Gleichgewicht des Arbeits- und Privatlebens. Wir lesen oft in der Presse, dass es Urteile gibt oder dass Gewerkschaften sich dafür einsetzen, dass die Erreichbarkeit der Mitarbeiter über den Feierabend hinaus abgeschafft wird. Eine Trennung zwischen Arbeits- und Privatleben ist nicht wirklich das Optimum, was es anzustreben gilt. Ist es nicht vielmehr passender, wenn sich Arbeit gar nicht als Solche anfühlt und man sie in sein Leben integrieren kann? Hier entsteht die Beziehung zu Arbeit und Hobby.

Ich kann gar nicht alles wiedergeben, was an diesem Abend an Eindrücken und Informationen geflossen sind. Für uns „Stellen anzeiger“ war es jedoch ein Erlebnis der besonderen Art. Unsere Philosophie, wie wir das Thema „Arbeit“ mit unserer Auftaktveranstaltung beleuchten wollten, ging auf. Daraus ergibt sich, dass wir zu diesen verschiedenen Ansätzen, das Thema Arbeit in Beziehung zu etwas gesetzt haben. Das könnte für uns der weitere Weg sein, wenn wir den nächsten Stammtisch planen. Wir werden noch darüber beratschlagen, wie wir das Thema weiter gestalten werden und möchten auch gerne eine Struktur finden. Eine Struktur, die unser Bewusstsein berührt, eine Struktur, die uns interaktiv werden lässt, eine Struktur, die vielleicht auch neue Wege ebnet.

Der nächste Stammtisch wird am 4. September um 19 Uhr in der Lokalität Kenkenberg, Gildenstraße 11, 45879 Gelsenkirchen stattfinden. Wir freuen uns auf eine rege Teilnahme und lebendige Diskussionen.

Autor:

Sandra Stoffers aus Recklinghausen

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