Amtsgericht: Sexuelle Tat kostet Job und Geld

Den 17. Dezember 2012 wird der Angeklagte wohl niemals vergessen. An diesem Tag tat er das, was zum Verlust seines Arbeitsplatzes führte, ihm eine Geldstrafe von 500 Euro einbrachte, zusätzlich die Zahlung von Schmerzensgeld von 1560 Euro sowie die anwaltlichen und gerichtlichen Kosten der Nebenklage. Der 60jährige lebt heute von Hartz IV und wird dies alles nur in Raten schultern können.

Dabei schien es endlich wieder aufwärts zu gehen. Seit einiger Zeit schon war der damals 59jährige arbeitslos und endlich tat sich ihm in einem Hattinger Unternehmen eine neue Chance auf. Zum 1. Mai 2012 wurde er vom damaligen Betriebsleiter in seinen Job eingearbeitet.
Sein Vertrag war zwar zunächst befristet, doch endlich zeigte sich ein Silberstreifen am Horizont. „Ich war dankbar für diese Chance“, sagt er vor Gericht. Auch seine Familie freut sich mit ihm. Seit 39 Jahren ist er verheiratet, hat ein erwachsenes Kind.
Im Dezember 2012 geht es der Firma nicht so gut. Zu sechzig Prozent wird Kurzarbeit gefahren. „Für viele Mitarbeiter war das schwer, besonders wenn beide Partner im Unternehmen gearbeitet haben“, erzählt er weiter. Das bisher sehr gute Betriebsklima und die wenig vorhandene Personalfluktuation wären komplizierter geworden.
An dem Montag, 17. Dezember, habe er ein Gespräch mit einer Mitarbeiterin an der Packstation gesucht, um ihr einen Arbeitsauftrag zu erteilen. „Weil es dort aufgrund der Maschinen sehr laut ist und die Mitarbeiterin mit dem Rücken zur Tür sitzt, bin ich in den Raum gegangen, habe sie von hinten auf den Rücken getippt und mich dann zu ihr gebeugt, um mit ihr zu reden.“
Mehr soll nicht passiert sein.
Das sieht die Mitarbeiterin allerdings völlig anders. Sie sagt aus, sie habe nach dem Antippen ihren Hochstuhl herumgedreht, um den Gesprächspartner ansehen zu können. Dabei habe sein Bein zwischen den ihren gestanden und er habe sein Geschlechtsteil an ihrem Knie- und Oberschenkel mehrfach gerieben. Sie habe sich dann sofort wieder weggedreht. Das Gespräch sei auch dann beendet gewesen.
Eine ebenfalls im Raum anwesende Kollegen, die auf der anderen Seite des Packtisches stand, hat den Vorfall beobachtet und gibt die gleiche Einschätzung in der Hauptverhandlung wieder.
Nein, eine zufällige Berührung sei dies nicht gewesen, sondern zielgerichtet.
Für den Angeklagten hat dies bittere Folgen. Nachdem die Mitarbeiterin am nächsten Tag die Vertrausensfrau einschaltet, diese dann den Zweigniederlassungsleiter des Unternehmens informiert, der wiederum die Geschäftsführung in Nürnberg unterrichtet, kommt es zu einer fristlosen Kündigung des Mannes. Später wird es nach einem Arbeitsprozess einen Vergleich geben.
In jedem Fall ist der Mann seinen Job los. Im Strafverfahren berichtet das Opfer als Zeugin und Nebenklägerin von den psychischen Problemen, die aus der Tat entstanden sein sollen. So könne sie kaum mehr allein in dem Raum arbeiten, sie könne keine Männer mehr umarmen, noch nicht einmal ihren Schwiegersohn und ihren 19jährigen Enkel. Sie habe eine ambulante Reha-Maßnahme abbrechen müssen, weil in der Wassergymnastik auch Männer gewesen seien. Drei Atteste belegen die Probleme der Frau.
Richter und Verteidigung sehen diese Reaktion zwar als ungewöhnlich an, gleichwohl ist sie aber tragisch.
Die Verteidigung stellt einen Beweisantrag auf Ortsbegehung, um zu zeigen, dass ein von der Zeugin geschilderter Körperkontakt im Sinne der Anklage aus der Situation heraus nicht möglich ist. Doch der Vorsitzende Richter lehnt den Beweisantrag ab. Die Fotos des Zweigstellenniederlassungsleiters vom „Tatort“ und die Aussagen der Zeugen reichen für seine Urteilsfindung aus.
Auch die Staatsanwaltschaft braucht keine weiteren Beweise. Für sie ist die Tat im Sinne der Anklage erwiesen und sie fordert eine Geldstrafe von sechzig mal zehn Euro.
Die Verteidigung sieht die sexuelle Beleidigung nicht erwiesen und will einen Freispruch.
Zweimal versucht der Richter vor den jeweiligen Plädoyers eine Einstellung mit Zahlung eines Geldbetrages zu erreichen. Das aber will der Angeklagte nicht, denn er bleibt bei seiner Darstellung, nichts gemacht zu haben.
Der Richter hingegen sieht die Tat als erwiesen an. Er verurteilt den Angeklagten zur Zahlung von 500 Euro Geldstrafe. Außerdem macht er vom Adhäsionsverfahren Gebrauch. Im deutschen Prozessrecht können zivilrechtliche Ansprüche, die aus einer Straftat erwachsen, statt in einem eigenen zivilgerichtlichen Verfahren unmittelbar im Strafprozess geltend gemacht werden, sofern der Streitgegenstand noch nicht anderweitig gerichtlich anhängig gemacht worden ist.
Der Angeklagte muss hier 1560 Euro an die Geschädigte zahlen. Außerdem muss er ihre gerichtlichen und anwaltlichen Kosten als Nebenklägerin übernehmen.
„Sie haben sich zwar bisher nichts zu schulden kommen lassen, aber dieses Augenblicksversagen ist vor allem im Hinblick auf die psychischen Folgen des Opfers tragisch.“

Autor:

Dr. Anja Pielorz aus Hattingen

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