"Ich träume in Deutsch"

Seit fast 50 Jahren lebt der 74jährige Inder Mustahsan Hamid Khan in Deutschland, davon 42 Jahre in Hattingen. 
Foto: Kamphorst
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  • hochgeladen von Dr. Anja Pielorz

(von Cay Kamphorst) Deutschland hat er sich ausgesucht, weil er seit seiner Jugendzeit die Komponisten Beethoven, Brahms und Schubert verehrt. Der 74jährige Mustahsan Hamid Khan studierte Metallurgie (Eisenhüttenkunde) an der technischen Hochschule in Aachen und arbeitete bis zu seiner Pensionierung 1992 auf der Henrichshütte in Hattingen.
Mustahsan Hamid Khan stammt ursprünglich aus Indien. „Mein Vater war ein Diplomat und arbeitete für die UNESCO. Er war im Bildungsbereich für fünf Länder tätig – ein Gesandter der indischen Regierung.“ Darum besuchte der Sohn seine gesamte Schulzeit bis zum Abitur ein Internat in Neu-Delhi, der Hauptstadt Indiens.
Mit dem Abitur in der Tasche ging es zum Vater nach Paris in Frankreich. „Ich habe dort dann zwei Monate an einem College für Ölförderung studiert, aber festgestellt, dass Paris eine viel zu verführerische und wunderschöne Stadt für einen jungen Mann ist“, schmunzelt Mustahsan Hamid Khan. „Viel zu viele schöne Frauen, da fiel mir das Studium sehr schwer. Ich sagte meinem Vater, dass ich hier so viel Ablenkung habe, dass ich in 20 Jahren noch studieren würde, was auch viel Geld koste und ich lieber in einem anderen Land studieren wolle.“ Sein Vater war einverstanden.
Doch anstatt nach Großbritannien zu gehen, wie seine Geschwister, entschied sich der damals 21jährige für Deutschland. „Seit ich zehn Jahre alt bin, liebe ich die Musik von Beethoven, Brahms und Schubert. Dazu gefiel mir der Fleiß in Deutschland und die Qualität der Waren ‚Made in Germany‘. Darum wollte ich in Deutschland studieren.“
Dafür musste Mustahsan Hamid Khan erstmal ein Praktikum nachweisen. Ein Bekannter aus Frankfurt besorgte ihm einen Platz bei der Firma „Bopp und Reuter Armaturenfabrik“ in Mannheim. Dort lernte er auch seine Frau Inge kennen, mit der er dieses Jahr die goldene Hochzeit begeht.
„Ab 1959 studierte ich dann an der technischen Hochschule in Aachen Metallurgie. Meine Frau wohnte zu der Zeit noch in Mannheim. Anhand ermäßigter Bahnkarten, die immer abgestempelt wurden, kann ich heute noch nachvollziehen, dass ich in den sieben Jahren der Studienzeit 96.000 Kilometer mit der Bahn fuhr, um meine Frau sehen zu können“, lacht der 74jährige und fügt verliebt hinzu: „Eine tolle Frau, ich würde sie auch noch in 101 Jahren immer wieder heiraten.“ Sie haben eine Tochter, die in Duisburg Staatsanwältin ist. „Für mehr Kinder hatte ich keine Zeit“, sagt der Inder zwinkernd. „Ich habe immer gerne und viel gearbeitet.“
Lustige Anekdoten aus seiner Studienzeit weiß Mustahsan Hamid Khan auch zu berichten: „Ich saß in der Vorlesung und als ich was beim ersten Mal nicht verstanden hatte, hob ich meinen Finger. Das war absolut verboten in der Uni. Mein damaliger Institutsdirektor, Professor Schenck, kam zu mir und fragte, was ich wolle. Ich antwortete, dass ich was nicht verstanden habe. Und seitdem schaute mich der Professor immer erst an, wenn er was erklärt hatte und wenn ich nickte, redete er weiter.“
„Ein anderes Mal hatte ich eine Vier im Vordiplom im Fach Chemie erhalten. Das wollte ich aber nicht hinnehmen, weil ich das ungerecht fand. So ging ich zum damaligen Direktor Professor Schmeißer. Er sagte mir, ich solle am nächsten Tag ins Institut kommen. Also zog ich mich gut an mit Anzug und Krawatte und ging rüber. Der Professor bot mir an, dass er mir drei Fragen stellen würde. Bei jeder richtigen Antwort, bekäme ich eine Note höher. Die ersten beiden Fragen hatte ich richtig beantwortet und war bereits zu einer Zwei aufgestiegen, dann sollte die letzte Frage kommen.“
Der besonnene Inder hat sichtlich Spaß bei seiner Erinnerung an alte Zeiten. „Der Professor sagte mir, wenn ich die richtig beantworte, dann würde ich eine Eins bekommen, sollte ich aber falsch antworten, würde ich wieder auf eine Vier fallen. Da hab ich mich dann doch nicht mehr getraut, die letzte Frage zu beantworten und bin mit der Zwei rausgegangen. Aber es war damals ein sehr ungewöhnliches Verhalten, dass ein Student wegen einer schlechten Note beim Direktor vorsprach und das hatte ihn wohl beeindruckt.“
Nach dem Studium ging es für ihn zuerst nach Dortmund zu den Hoesch Hüttenwerken, wo er eine Assistentenstelle erhielt. Von dort ging es nach Hattingen auf die Henrichshütte. Seitdem wohnen er und seine Frau hier. „Am 11. August 1969 fing ich in der Schmiede als Assistent an und arbeitete später als Leiter der Ring- und Reifenvergü­terei. Bis 1992 war ich dort beschäftigt.“
Deutsch habe er erst während seines Studiums nebenbei gelernt. „Ich kann jedem nur raten, vor Beginn eines Studiums erst mal die Sprache zu lernen. So war es schwieriger für mich. Wenn ich mal etwas nicht wusste, habe ich es in Englisch geschrieben. Das wurde auch anerkannt.“
Mustahsan Hamid Khan ist Moslem, seine Frau Inge evangelische Christin. „Das ist kein Problem. Ich gehe in die Moschee, begleite meine Frau aber auch in die Kirche. Ich habe auch überhaupt kein Problem damit, wenn Kinder im Glauben der Frau erzogen werden, da sie sich ja die meiste Zeit mit ihnen beschäftigt.“
Der Mensch solle Mensch bleiben, sagt Mustahsan Hamid Khan und „dass alle Religionen den einen Gott haben. Toleranz und Vergebung sind die Essenzen des Lebens. Im muslimischen Glauben gibt es keine Vergebung von Mensch zu Mensch, sondern nur über Gott. Aber ich finde, dass auch der Mensch dem Menschen vergeben kann und muss.“
Der Wille zur Integration müsse von beiden Seiten kommen, von den Deutschen und von den Migranten. Vor allem müsse die Regierung den ersten Schritt machen.
„Ich wohne jetzt schon so lange hier und erst in den letzten fünf Jahren hat sich die Politik um eine gute Integration der Migranten gekümmert. Die Politik muss die Ausländer viel mehr fördern, auch in Hinsicht auf die Landeskunde.“ Da lobe er sich die Migrantenpolitik Schwedens. „Dort erhalten Ausländer neben Sprachkursen auch Kurse über die Sitten und Gebräuche des Landes, so dass sie sich viel besser zurecht finden können. Bildung ist das Geheimnis einer funktionierenden Gesellschaft. Ich kann über Deutschland absolut nicht meckern. Ich habe nur Gutes erlebt.“
Allerdings sei ihm ein Ausspruch des früheren NRW-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers bitter aufgestoßen. „Er prägte damals den Satz ‚Kinder statt Inder‘, was große Wellen in Indien schlug. Das ist eine direkte Beleidigung der Inder. Natürlich ist es verständlich, dass ein Land seine eigenen Kinder entsprechend fördern sollte, anstatt gut ausgebildete Ausländer in das Land zu holen. Die Inder sind bekannt für ihre hochqualifizierten Kenntnisse im Bereich des Computerwesens. Dennoch kann man nicht auf der einen Seite über Integrationsförderung sprechen und auf der anderen Seite die Ausländer derart vor den Kopf stoßen.“ Der Satz an sich sei falsch gewählt worden und wurde als regelrechte Hetze empfunden.
Mustahsan Hamid Khan sieht sich als Schüler Mahatma Gandhis und durfte ihn auch persönlich kennenlernen. „Gandhi sagte mal, dass man die Toleranz eines Landes daran erkenne, wie es mit seinen Minderheiten umgehe.“
Letztes Jahr schenkte er der Universität in Neu-Delhi Briefe und Schriften Mahatma Gandhis sowie des ersten Ministerpräsidenten Nehru, dazu Kalligrafien mit einem Wert von mehreren zehntausend Euro aus dem Erbe seines Vaters, der 1963 starb. Nun seien die wertvollen Dinge dort, wo sie hingehörten, sagt Mustahsan Hamid Khan mit Freude und Wehmut zugleich.
Alle zwei Jahre besuchen Mustahsan Hamid Khan und seine Frau Indien. Das Land ist zwar sein Vaterland und dennoch sagt er: „Ich träume in Deutsch und bin stolz auf mein Heimatland Deutschland. Seit 1972 habe ich die deutsche Staatsbürgerschaft und für mich gibt es kein besseres Land. Und Hattingen ist zu meiner Heimatstadt geworden.“

Autor:

Dr. Anja Pielorz aus Hattingen

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