Peinlicher Thoelke: „Decken, nicht Tisch decken!“ - Kaffeeservice für den EM-Sieg

Vor Beginn des Films gab es vor der Sponsorenwand des 26. Lüner Kinofestes 2015 das erste Foto für die Fußballerinnen des Lüner SV – fast alle im LSV-Trikot. Es zeigt diese mit (v. l.) Trainer Ralph Koch, Michelle Schramm, Sabrina Nocon, Hannah Sieg, Michelle Eschner, Pia Oberndorf, Jannika Meyer, (u. v. l.) Kara Gayer, Anna Ache und Kira Guzik. Foto Janning
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  • Vor Beginn des Films gab es vor der Sponsorenwand des 26. Lüner Kinofestes 2015 das erste Foto für die Fußballerinnen des Lüner SV – fast alle im LSV-Trikot. Es zeigt diese mit (v. l.) Trainer Ralph Koch, Michelle Schramm, Sabrina Nocon, Hannah Sieg, Michelle Eschner, Pia Oberndorf, Jannika Meyer, (u. v. l.) Kara Gayer, Anna Ache und Kira Guzik. Foto Janning
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Von Bernd Janning

Lünen. In dem Dokumentarfilm „Die schönste Nebensache der Welt“ beschreibt Regisseurin Tanja Bubbel die Entstehung des deutschen Frauenfußballs. Im Mittelpunkt – und auch 2015 in Lünen beim 26. Kinofest präsent – waren vier Spielerinnen von Fortuna Dortmund: Christa Kleinhans, Renate Bress, Anne Droste und Inge Kwast. Das Quartett lief von 1955 bis 1965 für die Fortunen. Der Verein löste sich vor 50 Jahren auf. „Damen-Fußball" war vom DFB verpönt. In Lünen mit dabei war auch Nationalspielerin Petra Landers, die 1989 für den Gewinn der Europameisterschaft mit einem Kaffeeservice belohnt wurde.
Hannah Sieg und Anna Carina Ache gehörten damals beim Kinofest mit zu den zehn Kreisliga-Spielerinnen des Lüner SV, die sich zusammen mit ihrem Trainer Ralph Koch in Vereinstrikots den Streifen ansehen. Sie waren begeistert, erstaunt und nachdenklich zugleich, fanden den Rückblick aber auch witzig gemacht.
Das Duo: „Es war schon erstaunlich, das Schreiben lesen zu können, mit dem der damalige DFB-Präsident Peco Bauwens versuchte, im März 1957 in München ein Spiel der deutschen Frauen im Dante-Stadion gegen Westholland zu verhindern. Bauwens warf dem Münchener Bürgermeister vor, dem DFB in den Rücken zu fallen.“
Erstaunt waren die LSV-Spielerinnen über das Selbstbewusstsein ihrer Vorgängerinnen, deren unbändiger Kampfkraft für ihren Sport: „Wegen des Fußballs der Frauen scheiterten Ehen, liefen die Männer weg. Die Frauen aus Dortmund sind durch ihren Sport von einst so fest verbunden, dass sie sich heute noch regelmäßig treffen.“
Schmunzeln kann das Duo nur über die Prämie „Kaffeeservice“, lachen über das Gehabe der Männerwelt in der damaligen Zeit: „Wenn Frauen-Spiele gefilmt wurden, zeigten die Kameras die Beine und die Hinterteile in den kurz geschnittenen Hosen sowie Brüste, Sport-BHs wie heute gab es noch nicht. Das hat sich in den letzten Jahren ganz zum Vorteil des Frauen-Fußballs geändert. Jetzt kommen die Zuschauer, um unseren Sport, unser Spiel zu sehen, nicht, um uns zu begaffen.“
Zurück zur Geschichte des Frauen-Fußballs: Das Spiel galt als moralisch verwerflich, wurde in den 1920er Jahren in Deutschland verboten. Turnvereine nahmen keine Frauen auf. Diese organisierten sich in eigenen Klubs. Gleichzeitig warnten Gynäkologen vor einer “Vermännlichung der Sportlerinnen und einer Verzögerung der Aufnahme mütterlicher Pflichten”.
Im Juni 1955, in der neuen Bundesrepublik, kam das DFB-Verbot: „Unseren Vereinen ist nicht gestattet, Damenfußball-Abteilungen zu gründen oder Damenfußball-Abteilungen bei sich aufzunehmen, unseren Vereinen ist verboten, soweit sie im Besitz eigener Plätze sind, diese für Damenfußballspiele zur Verfügung zu stellen, unseren Schieds- und Linienrichtern ist untersagt, Damenfußballspiele zu leiten.“
Weiter heiß es „Diese Kampfsportart ist der Natur des Weibes im Wesentlichen fremd. Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zur Schau stellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.“ Zudem gab der DFB in seiner Begründung eine angeblich gesundheitsschädigende Wirkung des Sportes auf Frauen an, da dadurch ihre Gebärfähigkeit beeinträchtigt würde.
Die Frauen machten jedoch weiter. Juli 1955 ließ der niederrheinische Fußball-Verband beim Spiel zwischen DFC Duisburg-Hamborn und Gruga Essen den Platz zwangsweise räumen. Stärkstes Team war damals Fortuna Dortmund.
Trotz des DFB-Verbotes kam es 1956 in Essen zum inoffiziellen Länderspiel zwischen Deutschland und den Niederlanden, wurde der Westdeutsche Damen-Fußball-Verband gegründet. 70 weitere “illegale Spiele“ folgten bis 1963. Erst 1970 hob der DFB sein Verbot des Frauen-Fußballs auf – mit Einschränkungen wegen der “schwächeren Natur” wie Winterpause, ohne Stollenschuhe, kürzerer Spielzeit und kleinerem Ball.
1970 witzelte Moderator Wim Thoelke noch im Aktuellen Sportstudio peinlich gegenüber Spielerinnen der inoffiziellen deutschen National-Elf: „Decken, decken – nicht Tisch decken“
1989 sicherte sich Deutschland gegen die favorisierten Norweger im mit 23.000 Zuschauern ausverkauften Osnabrücker Stadion erstmals mit 4:1 den Titel des Europameisters. Vor fast 30 Jahren war dies ein immer noch belächelter Erfolg, aber gleichzeitig auch der Durchbruch für den deutschen Frauenfußball. Kurios: Als „Siegprämie“ erhielt jede Nationalspielerin ein Kaffeeservice.
Mit insgesamt acht Europa-, zwei Weltmeister-Titel und 2016 mit dem Sieg bei den Olympischen Spielen gaben die Frauen sportlich die beste Antwort.

Autor:

Lüner SV Fußball e.V. aus Lünen

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