Ene Mene Muh, raus bist Du!

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Thema dieses Artikels hätte eigentlich ein junger Mann sein sollen, der die Hürde vom Schüler mit einem besonderen Leben in das Arbeitsleben genommen hat. Eigentlich! Hätte der Ausbildungsbetrieb nicht wenige Tage vor Arbeitsbeginn ohne Angabe von Gründen den Ausbildungsplatz zurückgezogen. Die Ausbildung findet nicht statt!

Justin Anderson, 21 Jahre alt, lebt in Lünen ein Leben mit Behinderungen. Schule abgeschlossen! Ausbildung geplatzt! Arbeitslos! Das haut den stärksten Indianer aus den Schlappen – egal, ob mit oder ohne Behinderung. Der Traum sich vom ersten selbst verdienten Geld etwas kaufen zu können, hat sich erledigt. Epilepsie, Ehlers-Danlos-Syndrom, Blutgerinnungsstörung und Konzentrationsschwächen. Justin hat gleich mehrere Handicaps. Mit Krampfanfällen muss Justin oft morgens nach dem Wachwerden umgehen, tagsüber hat er seltener Krämpfe. Das Ehlers-Danlos-Syndrom bedeutet laienhaft formuliert, dass jedes Umknicken eine Gewebe- und Gelenkverletzung bedeuten kann. Das Bett in meinem Schlafzimmer befindet sich seit Jahren an ein und demselben Fleck und wie oft laufe ich morgens, noch schlaftrunken, gegen die Ecke. Was wäre mit Justin, wenn er so schusselig wäre wie ich? Bei mir setzt das Kopfkino ein. Wer wird mir gegenübersitzen? Ein unkontrolliert zuckender junger Mann, mit Protektoren an den Gelenken in einem Schutzanzug? Ich bin neugierig. Wer ist dieser Justin? Der Termin findet dort statt, wo Justin lebt, in seinem Elternhaus. Mein „Kopfkino“ entpuppt sich als peinliches Vorurteilsdenken, denn mir gegenüber befindet sich ein junger Mann, dem man keines seiner Handicaps ansieht. Auf dem Tisch, an dem wir sitzen, liegt eine handgemalte Skala. Sie beginnt bei 10 und endet bei 140. Es ist Justins Emotionsskala. Bis 50 geht der „Grüne Bereich“. 50 bis 90 bedeutet „Wütend“. Der Bereich von 90 bis 140 ist „Alarm-Stufe“. Bei 120 ist ein roter Pfeil neben dem steht „Hier bin ich“. Auf die Bedeutung angesprochen, erklärt mir Justin mit rot werdendem Kopf und Händen, die die Armlehne seines Stuhls fest im Griff haben: „Das ist die Situation, in der ich bin!“ Justin ist ehrgeizig und zielstrebig. Seinen Hauptschulabschluss, er besuchte die Leoschule in Lünen und die Georgschule in Dortmund, nennt Justin selber „Der war nicht so“. Die Nachfrage auf den Notenschnitt beantwortet er mit „2,5“.

Meine Gedanken vor dem Interview sind mir nicht mehr peinlich, sie stellen sich als absurd heraus. „Ich spiele Schlagzeug“ sagt Justin und wir sprechen über Bands und Künstler, die Musikgeschichte geschrieben haben. Justins Lieblingsband sind die "Toten Hosen“. Seit Kurzem musiziert er mit einem Freund, der E-Gitarre spielt. Neben der Musik spielt Fußball eine große Rolle. Der BVB-Fan ist beim TuS Westfalia Wethmar als Betreuer in der zweiten Mannschaft aktiv. Seine Aufgaben sind der einwandfreie Zustand der Mannschaftskleidung, Spieler, die vom Platz kommen, mit Getränken zu versorgen und er motiviert die Spieler. Zudem hat Justin die Fischerprüfung erfolgreich absolviert und ist stolzer Besitzer des Bundesfischereischeins. Das wirkt wie das Leben irgendeines jungen Mannes. Ist es aber nicht. Justins hat keinen Auto-Führerschein, die Koordination von lenken, schalten, fahren und allem, was um das Auto herum passiert, das ist zu viel auf einmal. Seine Aufgabe für sich ist es, Verletzungsrisiken zu erkennen und zu vermeiden, denn die Folgen können verheerend sein. Öffentliche Verkehrsmittel nutzt er nicht, die Gefahr sich zu stoßen ist zu hoch. Wenn Justin das Haus verlässt, dann ist er mit einem Betreuer unterwegs, der aktiv wird, wenn andere sagen würden „Aua, Mist, nicht aufgepasst - egal!“. Bei Justin ist dann eine ärztliche Versorgung erforderlich. Der 21-Jährige antwortet auf die Frage, wo er sich in fünf Jahren sieht: „Ich arbeite, habe eine Freundin und lebe in meiner eigenen Wohnung“. Justin geht seinen Weg und hat mich beeindruckt. Ich hoffe, dass seine Wünsche wahr werden und die Menschen die im begegnen, vorbehaltsloser sind als ich.

Ene Mene Muh, raus bist Du? Raus bist Du noch lange nicht …

Autor:

Peter Adam aus Lünen

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