Premiere bei der VolXbühne Mülheim
"Twins" lotet Lust und Last der Zwillingsexistenz aus

Die chilenischen Musikerinnen Pia (links) und Paz Miranda stehen im Mittelpunkt von "Twins", der jüngsten Produktion der Mülheimer VolXbühne. Die Musikperformance ist eine Koproduktion mit dem A.Tonal-Theater. | Foto: Jürgen Brinkmann
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  • Die chilenischen Musikerinnen Pia (links) und Paz Miranda stehen im Mittelpunkt von "Twins", der jüngsten Produktion der Mülheimer VolXbühne. Die Musikperformance ist eine Koproduktion mit dem A.Tonal-Theater.
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Der Abend an der VolXbühne beginnt mit einer Irritation, wie sie für eineiige Zwillinge typisch ist. Die da gerade auf der Bühne gesprochen hat, ist nicht die, für die man sie gehalten hat. Für Zwillinge ist die gedoppelte Existenz nicht immer ein Spaß, oftmals eine Last. Gerne hätten Pia und Paz aus ihrer Verwechselbarkeit in der Schule Kapital geschlagen, ergänzten sich doch ihre Talente geradezu komplementär. Doch ihre unterschiedlichen Handschriften hätten sie prompt entlarvt, zumal die Klaue der Einen für die Andere kaum zu entziffern gewesen wäre.

Spannungen sind spürbar

Das Publikum bemerkt das Spiel mit der Irritation erst nach zehn Minuten, denn die Frau, die man für Pia, die Posaunistin, gehalten hat, greift zur Querflöte, dem Instrument ihrer Schwester Paz. In einem harmonischen Duett umschmeicheln sie sich und doch sind doch auf Abstand bedacht und umkreisen sich wachsam. Da gleitet die Melodie ins Dissonant-Schräge ab. Man spürt die Spannung zwischen den Schwestern, die sich dann wieder in Wohlgefallen auflöst. In einer Zwillings-Konstellation hat man ein Double, das zur Gefahr der eigenen Individualität wird, heißt es später in "Twins - Ich und Ich".

Es ist die neueste Produktion von Regisseur Jörg Fürst an der Mülheimer VolXbühne. Abgesehen vom thematischen Interesse der Durchleutung von Identitäten passt das Stück ideal in die Corona-Zeit. Denn als Geschwister müssen Pia und Paz Miranda keinen Abstand halten. Für die 44-jährige Posaunistin Pia Miranda, die 1994 zum Studium nach Köln gekommen ist, ist es bereits nach „Fremd 4.0“ und „Jeder:Jederzeit“ die dritte Arbeit an der VolXbühne an der Adolfstraße 89 A.

Der Abend ist voller Emotionen und auch sehr humorvoll. Pia ist die extrovertierte der beiden Schwestern. | Foto: Jürgen Brinkmann
  • Der Abend ist voller Emotionen und auch sehr humorvoll. Pia ist die extrovertierte der beiden Schwestern.
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Nach der ersten musikalischen Umkreisung scheint das Stück von neuem zu beginnen. Jetzt wechseln die Zwillinge die Rollen und sprechen noch einmal den Text. Aber wenn zwei den gleichen Text sprechen, ist das noch nicht dasselbe. Jenseits von Äußerlichkeiten spielen dann doch unterschiedliche Temperamente und Prägungen eine Rolle, führen zu kleinen, aber erkennbaren Variationen in Text und Verhalten, auf die die Schwester dann wiederum reagiert. Es geht eben nicht nur um Äußerlichkeiten.

Das Zwillingsdasein ist ambivalent. Die Schwestern möchten sich voneinander lösen und spüren doch die besondere Bindung. Diese Spannung lotet der Abend in 70 Minuten facettenreich aus, indem er die Biografie der chilenischen Musiker-Schwestern beleuchtet. War die Wahl des Instrumentes nur Zufall oder doch unbewusst passend, die wohl männlichere Posaune für Pia passender als die weibliche Querflöte? Wie war die Trennung, als die eine nach Deutschland ging, um Musik zu studieren, für die Zurückgelassene? Wie das erneute Zusammentreffen nach drei Jahren, wie die Reaktion auf die Partnerwahl der einen und dann die Schwangerschaft der anderen?

Sehnsucht nach dem eigenen Ich

Den beiden Musikerinnen auf den Fersen ist Susann Martin mit der Videokamera, die die Dopplung der Individuen visuell auch noch einmal greifbar macht. Immer wieder sind auch große, expressive Schatten zu sehen. Schon der Großvater nannte Pia und Paz in einem Atemzug der Einfachheit halber in einem Atemzug als "Piapaz". So treten sie, wie es sich für Zwillinge gehört, im rosa Partnerlook auf. Zuweilen bewegen sie sich auch synchron, dann auch spiegelbildlich. Die enge Verbundenheit spiegelt sich auch in einem Detail (Köstüme: Monika Odenthal): Von den Ohrringpaar trägt die eine den rechten, die andere den linken.

Paz trägt den Ohrring links. Unter der langen Trennungszeit von der Zwillingsschwester hat sie sehr gelitten.
  • Paz trägt den Ohrring links. Unter der langen Trennungszeit von der Zwillingsschwester hat sie sehr gelitten.
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So rosig ist das Zwillingsdasein zweifellos nicht. Das Wir wird zur Last, entsteht eine Sehnsucht nach dem eigenen Ich, aber die Abnabelung schmerzt. Die geschwisterliche Auseinandersetzung wirkt in "Twins" aber nie dozierend oder vorwurfsvoll. Für Leichtigkeit sorgen die musikalischen Einlagen und die sympathische Art, mit denen Pia und Paz ihre Geschichte mit einer Prise Humor präsentierten. Es ist ein poetischer Abend, von dem man sich gerne bezaubern lässt.
Info: www.volxbuehne.de (Steffen Tost)

Autor:

Steffen Tost aus Mülheim an der Ruhr

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